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Frank Thelen – Die Autobiografie. Frank ThelenЧитать онлайн книгу.

Frank Thelen – Die Autobiografie - Frank Thelen


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kurzer Zeit sowohl ihre Firma als auch ihr Eigenheim verloren. Wie gesagt, Severin und ich hatten aber nicht einmal die Option, uns privat weiter zu verschulden, was wir sogar zweifellos getan hätten. Die ersten Gläubiger wurden ungeduldig. Ich kann mich noch daran erinnern, wie der erste persönlich bei uns vorbeikam und Severin ein unangenehmes Gespräch führen musste. Ein anderer trug höchstpersönlich unsere – oder besser: seine – Computer wütend aus unserem Hosting-Raum. Jetzt merkten natürlich auch die Mitarbeiter, was im Markt im Allgemeinen und bei uns im Besonderen los war. Bisher hatten Severin und ich uns optimistisch geäußert, das war ja auch ein Teil unserer Aufgabe. Aber mit verzögerten Gehaltszahlungen, absolutem Investitionsstopp und zunehmenden Besuchen von Gläubigern und Gerichtsvollziehern konnten wir die aufziehende Katastrophe nicht weiter von unserem Team fernhalten.

      Der Tag der Insolvenz

      Severin und ich blickten uns eines Tages in die Augen und wussten: Es ist vorbei. Als Erstes würden wir das Team informieren müssen. Wir wussten, dass viele Fragen, Emotionen und Enttäuschungen auf uns warteten. Und zum ersten Mal hatten wir keine Antworten, zumindest keine, die Hoffnung machten. Da war nichts mehr schönzureden.

      »Es tut uns sehr leid«, konnten wir nur vor versammelter Mannschaft sagen, »aber heute ist der letzte Tag der twisd AG, ab morgen wird ein Insolvenzverwalter die Geschäfte führen.« Nie im Leben werde ich die Sekunde vergessen, in der diese Botschaft allen ins Bewusstsein sickerte. Die Stille, die Blicke. Verständliches Entsetzen, einige waren einfach traurig, andere haben uns persönlich angegriffen. Manche verließen wortlos den Raum. Das war wirklich ein Horrortag, sehr belastend. Auch ich hatte Panik, durfte es aber nicht zeigen. Und das war erst der erste Teil des Tages. Severin und ich machten eine kurze Pause bei unserem Dönermann um die Ecke. Dass wir Champions hier mal so sitzen würden, so klein, so verzweifelt, so alleine: Das war noch vor wenigen Wochen, wenn nicht vor wenigen Tagen undenkbar gewesen. Aber nach kurzer Stärkung machten wir uns auf den Weg in die Innenstadt zum Amtsgericht, um die Insolvenz unserer über alles geliebten twisd AG anzumelden.

      Es gibt eine Sache, auf die ich bis heute stolz bin: Wir haben immer die Gehälter unserer Mitarbeiter bezahlt, mit zwei Ausnahmen: die von Severin und mir. Diese Kapitänsehre unterscheidet für mich den echten Unternehmer vom Manager. Der Kapitän verlässt das sinkende Schiff zuletzt. Ich glaube, diese Tatsache und noch einige andere Punkte führten auch dazu, dass der Insolvenzverwalter uns nicht direkt alle Rechte entzog, sondern uns vertraute und eine sogenannte »Insolvenz in Eigenregie« ermöglichte. Das hieß: Wir behielten die Schlüssel – und am nächsten Morgen saßen Severin und ich wieder im Büro. Wie jeden Tag.

      Heute allerdings war es gespenstisch leer. Bis gestern herrschte hier eine lebhafte Atmosphäre der Kreativität und des Aufbruchs. Überall junge Menschen, die an der Zukunft arbeiteten und dachten: Die Welt von morgen gehört uns. Und jetzt: nichts. Die Hochglanz-Kaffeemaschine von Jura stand noch da, und Severin machte uns einen Kaffee mit den exklusiven Bohnen – ein Vorrat, der für uns zwei noch sehr lange halten würde. Mein voll ausgestatteter BMW ging zurück an den Händler, die Leasingraten konnte ich ja auch nicht mehr bezahlen. Ich kaufte mir von meinem persönlich Ersparten einen Ford Ka ohne jedes Extra: 50 PS.

      Ich bin sehr dankbar, dass Severin und ich uns auch in dieser unfassbar schweren Zeit nie gestritten haben. Wir haben das zusammen sauber durchgezogen und bis heute freundschaftlichen Kontakt. Er war übrigens danach einige Jahre als Berater im Bereich Internetmarketing aktiv und ist inzwischen in der Energiebranche gelandet. So ganz kann er vom Internet aber doch nicht lassen und ist in seiner Freizeit als Blogger aktiv.

      Rückblickend frage ich mich noch manchmal, ob das unschöne Ende der twisd AG vermeidbar gewesen wäre. Sicher beantworten kann ich es nicht, sehe aber, dass wir doch einige entscheidende Fehler gemacht haben. Dass wir so manche Zeichen der Zeit nicht erkannt hatten, habe ich ja schon geschildert. Wesentlich für das Scheitern war aber auch, dass wir uns nicht zu 100 Prozent auf unser Produkt, den kleinen Internetserver, konzentriert haben. Für den hatten wir ja schließlich das Investment erhalten. Nein, wir tanzten noch auf anderen Hochzeiten. Das Projektgeschäft hatten wir weiter betrieben, also das Erstellen der Multimedia-CDs und der Internet-Seiten, denn hierin hatten die Ursprünge unseres gemeinsamen Unternehmens gelegen, und die wollten wir nicht aufgeben. Natürlich brachte dies zwar gute Umsätze, band aber auch viele unserer Ressourcen, die wir besser in die Entwicklung unseres Produkts hätten investieren sollen. Als im Zuge der Krise des Neuen Markts wichtige Kunden von uns in die Insolvenz gingen, sorgte dieser Geschäftszweig sogar für hohe Forderungsausfälle. Geld, das uns dann umso mehr bei der Produktentwicklung fehlte. Hätte ich heute den jungen Frank bei Die Höhle der Löwen vor mir und er würde mir seine twisd AG vorstellen, würde ich ihm einen ganz klaren Rat geben: Konzentriere dich auf eine Sache. Und zwar auf das Produkt, das du effektiv skalieren kannst. Doch hinterher ist man immer klüger.

      Die letzte Firewall wird durchbrochen

      Ach ja, ich hatte damals noch etwas Wichtiges vergessen, leider. Die Abwicklung der Firma, das Entlassen der Mitarbeiter, die Überlegungen, was als Nächstes kommen würde – das alles hatte mich völlig in Beschlag genommen. Mittlerweile wohnte ich wieder bei meinen Eltern, und ich hatte noch keinen Plan, wie es weitergehen sollte. Aber da gab es noch ein winzig kleines Detail – die »klitzekleine Formalität«. Die Bürgschaft, die ich in dem unbedachten Moment unterschrieben hatte.

      An jenem grausamen Morgen war ich unterwegs zu einem Kumpel, der mir eine neue Softwaretechnologie zeigen wollte. Ich war gerade bei ihm angekommen, als mein Telefon klingelte. Meine Mutter war dran, fassungslos, schockiert, verzweifelt. Sie hatte einen Brief der Bank an mich geöffnet, in dem mir recht formlos mitgeteilt wurde, dass ich unverzüglich eine Million Euro zurückzuzahlen habe – oder zumindest schon einmal die acht Prozent Zinsen pro Jahr, also 80.000 Euro, ohne damit einen Cent zu tilgen. 80.000 Euro jährlich alleine an Zinsen! Und – wo sollte ich eine Million hernehmen? Ich lebte doch schon in meinem alten Kinderzimmer, ohne Job, ohne Verdienst! Das war eine Todesbotschaft. Der Brief kam aus einem großen Bankhaus mit Tausenden Sachbearbeitern, da denkt keiner darüber nach, ob dieser Brief das Leben eines Menschen zerstört oder ob ein persönliches Gespräch nicht vielleicht der bessere Weg wäre. Aber ich will mich nicht rausreden, die Schuld lag vor allem bei mir: Ich hatte das Damoklesschwert der persönlichen Bürgschaft einfach zu lange verdrängt. Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass da irgendwann etwas kommt. Heute kann ich das auch nicht mehr begreifen, aber die menschliche Psyche ist ein raffiniertes Ding.

      Ich fuhr direkt nach Hause, ich musste meinen Eltern Rede und Antwort stehen. Die Realität hatte zugeschlagen – und zwar mitten auf die Zwölf. Jetzt war ich wieder voll da, mit einem Schlag war ich gelandet. Und das war keine harte Landung – das war ein katastrophaler Crash. Der Weg zur Wohnung, das Umdrehen der Schlüssel. Meine Mutter und mein Vater saßen an dem Esstisch, an dem wir fast zwei Jahrzehnte lang gemeinsam unzählige Gespräche geführt hatten. Viele gute, einige schwierige. Aber nie hatte ich Angst, noch nie hatte ich mich geschämt an diesem Tisch. Jetzt hatte ich sogar Panik. Mein Vater fing an: »Mein Junge, was hast du da gemacht? Wir können dir nicht mal helfen, die Zinsen zu begleichen! Wie konntest du das unterschreiben – ohne Rücksprache mit uns?« Meine Eltern hatten 25 Jahre in mich investiert. Sie waren immer für mich da gewesen, vom Fußballverein über die Schule bis zu den Klamotten, Skateboards und Urlauben. Sie hatten für mich gesorgt, alles für mich gezahlt. Ob ich schlechte Noten nach Hause brachte oder mein Fußball in der Scheibe des Nachbarn landete, sie standen immer bedingungslos hinter mir. Ich glaube, sie hätten auch jetzt alles für mich gezahlt, aber das war einfach zu viel. Das konnten sie nicht leisten. Und jetzt?

      Meine Freunde starteten gerade ihre Karrieren, verdienten jetzt ihr erstes eigenes Geld, luden auch mal ihre Eltern ein. Auf kleinem Niveau, aber solide, genau die Freunde, die ich vor kurzem noch ausgelacht hatte, weil sie einen ordentlichen Beruf erlernt hatten. Ein monatliches Festgehalt, von dem man damals gerade die Leasingraten meines BMWs hätte bezahlen können? Das war doch was für Spießer und Verlierer, so hatte ich bisher gedacht. Und jetzt hätte ich alles gegeben, um in genau ihrer Position zu sein: einen langsamen, soliden Start hinlegen mit viel Stabilität und Luft nach oben.

      Aber ich


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