Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur. Manuel Caballero GonzálezЧитать онлайн книгу.
Hyppokrates unter einem besonderen Begriff: Epilepsie. Es ist klar, dass diese Beschreibung auch für Euripides’ Herakles gilt, dessen Wahnsinn nicht inszeniert, sondern von einem Boten berichtet wird. In diesem letzten Fall gibt es aber ein neues Anzeichen, das wahrscheinlich von Sophokles’ Aiax angenommen wurde: das wahnsinnige Lachen. Genauso ist das Hinschlachten von Herakles’ Frau und Kindern ein treues Abbild vom fehlgeschlagenen Mordversuch des Aiax: Io bringt niemanden um. Abgesehen von der Aufführung von Aischylos’ Athamas kann es auch sein, dass Aischylos’ Lykurgos, der seine Frau und sein Kind tötete, auf Euripides Einfluss hatte. Euripides’ Herakles ist dann eine Synthese des von Aischylos und Sophokles aufgeführten WahnsinnWahnsinns.
Der größte Unterschied zwischen diesen beiden Autoren und Euripides liegt darin, dass die ersten beiden Tragiker den übernatürlichen Ursprung des Wahnsinns betonen, Euripides aber den Irrsinn für mehr psychologisch und in der menschlichen Natur begründet hält. Allerdings meint Aélion in ihrem Buch: „Si nous écartons toute idée préconçue et si nous respectons ce que dit le texte, nous devons reconnaître qu’Euripide a voulu que la folie d’Héraclès eût une cause surnaturelle: c’est Héra qui l’a voulue, c’est Lyssa qui l’a causée, c’est Athéna qui y a mis fin“14.
Die einzelne Figur, die sowohl Aischylos als auch Euripides in derselben Situation inszeniert haben, ist Agamemnons Sohn, Orestes15, dessen Wahnsinn aus der Angst und dem Schuldgefühl wegen des Muttermords16 entsteht. Bei dem in Iphigenie bei den Taurern inszenierten Orestes taucht ein neues Zeichen des Wahnsinns, nämlich das Handzittern, auf. Dabei werden die üblichen Züge (beschleunigter Herzschlag, keuchender Atmen, unsteter Blick und rasende Sprünge) nicht beachtet. In Euripides’ Orestes wird die einzige Darstellung eines Anfalls von Wahnsinn aufgeführt; diese, wie im Fall von Io, weicht sehr von der des Athamas ab, denn der AiolidAiolide hat den Tod seiner Kinder zum Ziel, Orestes’ und Ios Wahnsinn aber ist Bestrafung, unter der sie leiden müssen.
Nach Aélion bestehen die Größe und die Originalität von Euripides hauptsächlich darin, dass er sowohl für Orestes als auch für Herakles und Pentheus, die zum Paroxysmus neigen, die religiöse und psychologische Erklärung offen lässt. Diese französische Forscherin hält Aischylos’ Athamas für ein wesentliches Theaterstück, weil dieser Tragiker Athamas’ Wahnsinn ganz anders vorstellt als den von Orestes und Io. Wahrscheinlich hatte diese Darstellung einen großen Einfluss auf die Weise, wie Euripides seine ‚Wahnsinnige‘ begriff.
Radt behauptet, „Adesp. F 100sq. huc pertinere coniecit Italie ms.“, wenn auch dieser Vorschlag eine Annahme nur von diesem Gelehrten ist, weil Wilamowitz dieses Fragment und das folgende auf Euripides’ Ino zurückführte, und zwar zur Zeit des deus-ex-machina17.
In Bezug auf die Zuweisung dieses Werkes zu einer Trilogie gibt es zwei wichtige Hypothesen:
1) Hartung18: ̓Αθάμας – Τοξότιδες – Πενθεύς (= Ξάντριαι) – Σεμέλη.
Gantz begründet diesen Vorschlag folgendermaßen: „If it was part of a connected trilogy, then it was probably linked to Toxotides (concerning the death of SemeleSemele’s suitor, Aktaion) and the Semele (about Semele’s pregnancy and death)“19. Lucas de Dios glaubt, dass dieser Standpunkt des Werkes Athamas eng mit DionysosDionysos verknüpft20.
2) Snell – Welcker – Untersteiner21: ̓Αθάμας – ; – Θεωροί – ?
Mette behauptet, „daß auf die Begründung dieser Spiele durch Sisyphos zum mindesten Bezug genommen wurde, ist sehr wahrscheinlich“22, sogar wenn der König, der inszeniert wurde, nicht Sisyphos gewesen wäre, sondern einer seiner Nachfolger. Darum glaubt er, vermuten zu dürfen, „daß dieses Satyrspiel zu derselben Tetralogie gehörte, aus der auch der ‘Athamas’ stammt“23.
Untersteiner24 ist der Forscher, der das Werk intensiver analysiert hat; er nimmt eine vorhergehende, vielschichtige Etappe an, die von den vorigen Taten berichtet: Athamas sollte ThemistoThemisto-NepheleNephele (zwei Namen einer einzigen Person) wegen Heras ZornZorn, dessen Ursprung unbekannt bleibt, verlassen; danach folgt der HassHass der StiefmutterStiefmutter Ino, die allgemeine Not und das OpferOpfer des Phrixos25. Die TragödieTragödie hätte sich auf die Aufnahme des Kindes DionysosDionysos konzentriert. Dieses Werk wäre das erste der dem Aioliden gewidmeten Tetralogie26. Das zweite Werk, Die Epigonen, sollte die Rettung Athamas’ durch Kytissoros erzählen. Das dritte Werk wäre Die Pilger des IsthmosIsthmos gewesen. Schließlich sollte das Satyrspiel Sisyphos, der Flüchtling folgen. Seine Meinung wird aber heutzutage wenig unterstützt. Eine andere Möglichkeit schlägt Deforge vor, wie man bei Lucas de Dios lesen kann; Deforge will Athamas mit Die Bakchen und dem Satyrspiel Die Boten oder Die Teilnehmer bei den Isthmischen SpielenIsthmische Spiele verknüpfen. Lucas de Dios aber sieht ihre Lokalisierung in einer Trilogie als problematisch27.
Im weiteren Verlauf des Mythos stößt man bei Lucas de Dios auf eine sehr interessante Zusammenfassung über die Ehen von Athamas. Der spanische Forscher analysiert sie und bemerkt, wie das Themengebiet der ‚StiefmutterStiefmutter‘ allen diesen Ehen zugrunde liegt. Die von mir genannte I-L-M-Version trennt sich aber von den üblichen Ehekonflikten in Athamas’ Mythos28.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Chronologie von Heras Rache die Rekonstruktion der Tragödie von Aischylos beeinflusst. Zwei Möglichkeiten der Rache stehen offen, entweder verspätete oder unmittelbare Rache. Bei den meisten literarischen Autoren, wie z.B. Euripides, findet man diese Rache „bastante posterior a la crianza de Dioniso en casa de Atamante e Ino“29. Bei Apollod III 4,3 oder in den M.V. II 100Mythographi VaticaniM.V. II 100 folgt die Reaktion unmittelbar nach der Aufnahme des DionysosDionysos.
Die Einrichtung der Isthmischen SpieleIsthmische Spiele zu Ehren von MelikertesMelikertes wird schon in Frg. 5–6 MaehlerPindarFrg. 5–6 Maehler bei Pindar beschrieben; Maehler ergänzt diese Fragmente mit Hilfe des Schol. in Pi. I. Hyp. Arg. I a (S. 192) DrachmannScholia zu PindarSchol. in Pi. I. Hyp. Arg. I a Drachmann, in dem ein Chor von Nereiden Sysiphos befiehlt, diese Spiele einzurichten, weswegen Untersteiner30 einen Chor von Nereiden in Aischylos’ Tragödie vorschlägt. Wenn man auch nicht sicher behaupten kann, dass Pindar sich auf die Aufnahme von Dionysos bezieht, kann es auch nicht kategorisch abgelehnt werden. Mette, der dieses Scholion zitiert, um zu beweisen, dass auch Pindar die Einrichtung des Wettbewerbs in KorinthKorinth behandelte, erwähnt die Handschrift P. Oxy. 2451 (Bd. 26) Frg. 1, Sp. 1 lin. 3–4 und stellt fest, „daß die Isthmischen SpieleIsthmische Spiele zu Ehren des LearchosLearchos gestiftet wurden: ἐπὶ Λεάρχωι ὄντι υἱῶ<ι> [ ] … ̓Αθάμαντος“31.
Lucas de Dios erklärt, dass der Beleg zu τὸν μὲν τρίπους ἐδέξατ’ οἰκεῖος (;) λέβης die Episode des Todes von Melikertes andeuten könnte, den seine rasende Mutter in den Kessel mit kochendem Wasser warf. Die zwei Verse dieses Fragmentes kämen aus dem Munde eines Boten, der diese schreckliche Nachricht auf der Bühne überbringen würde32. In der Tat konnte der Ausdruck τὸν μὲν mit einem τὸν δὲ, was sich auf Learchos bezog, ergänzt werden. Lucas de Dios aber weist darauf hin, „esta conjetura tiene el inconveniente de lo sucinto de la descripción, que debería ser más pormenorizada en una escena de desenlace, a no ser que se trate de las típicas líneas de avance de la noticia“33. Bemerkenswert ist, dass die Erwähnung des Todes von Melikertes im Kessel erstmalig in der Apollodor zugeschriebenen Bibliothek auftaucht. McHardy ist derselben Meinung wie Prof. Lucas de Dios: „It is possible (although this is highly speculative) that this version34 fanned the plot of Aeschylus’ Athamas since one fragment refers to someone being cast into a cauldron“35. Vorsichtiger ist aber Aélion; die Forscherin stellt sich zu diesem Fragment die Frage: „Est-ce un indice suffisant pour que l’on suppose que c’est dans l’Athamas d’Eschyle qu’Apollodore l’avait trouvé la version qu’il rapporte et où figure un chaudron bouillant?“36. Sie schließt aus dem Mangel an Angaben, dass man nur sehr vorsichtig Behauptungen aufstellen kann. Allerdings fügt sie einen anderen