Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried HerderЧитать онлайн книгу.
wird nach einer undenklichen Zeit eben so poetisch verstanden werden müssen, als ein Bildhauer seines Weibes.
Es giebt in dem Tempel der Gelehrsamkeit würklich einen Götzen, der unter seinem Bilde die Aufschrift der philosophischen Geschichte trägt; und dem es an Hohenpriestern und Leviten nicht gefehlt. Stanley und Brucker haben uns Kolossen geliefert, die eben so sonderbar und unvollendet sind als jenes Bild der Schönheit, das ein Grieche aus den Reitzen aller Schönen, deren Eindruck ihm Absicht und Zufall verschaffen konnte, zusammensetzte. Meisterstücke, die von gelehrten Kennern der Künste immer sehr möchten bewundert und gesucht; von Klugen hingegen als abentheuerliche Gewächse und Chimären in der Stille belacht oder auch für die lange Weile und in theatralischen Zeichnungen nachgeahmt werden.
Weil Stanley ein Britte und Brucker ein Schwabe ist: so haben sie beyde die lange Weile des Publicums zu ihrem Ruhm vertrieben; wiewohl das Publicum auch für die Gefälligkeit, womit es die ungleichen Fehler dieser national Schriftsteller übersehen, gelobt zu werden verdient.
Deslandes, ein Autor von encyclischen Witz hat eine chinesische Kaminpuppe für das Kabinet des gallicanischen Geschmacks hervorgebracht. Der Schöpfer der schönen Natur scheint die grösten Köpfe Frankreichs, wie Jupiter ehmals die Cyclopen zur Schmiede der Strahlen und Schwärmer verdammt zu haben, die er zum tauben Wetterleuchten und ätherischen Feuerwerken nöthig hat.
Aus denen Urtheilen, die ich über alle diese ehrliche und feine Versuche von einem kritischen System der philosophischen Geschichte gefällt, läßt sich mehr als wahrscheinlich schlüßen, daß ich keines davon gelesen; sondern blos den Schwung und Ton des gelehrten Haufens nachzuahmen, und denenjenigen, zu deren Besten ich schreibe, durch ihre Nachahmung zu schmäucheln suche. Unterdessen glaube ich zuverläßiger, daß unsere Philosophie eine andere Gestalt nothwendig haben müste, wenn man die Schicksale dieses Namens oder Wortes: Philosophie, nach den Schattierungen der Zeiten, Köpfe, Geschlechter und Völker, nicht wie ein Gelehrter oder Weltweiser selbst, sondern als ein müßiger Zuschauer ihrer olympischen Spiele studiert hätte oder zu studieren wüste ως γραφευς τ' αποσταθεις.
Ein Phrygier, wie Äsop, der sich nach den Gesetzen seines Klima, wie man jetzt redt, Zeit nehmen muste, klug zu werden, und ein so natürlicher Tropf, als ein La Fontaine, der sich besser in die Denkungsart der Thiere als der Menschen zu schicken und zu verwandeln wuste, würden uns an statt gemalter Philosophen oder ihrer zierlich verstümmelter Brustbilder, ganz andere Geschöpfe zeigen, und ihre Sitten und Sprüche, die Legenden ihrer Lehren und Thaten mit Farben nachahmen, die dem Leben näher kämen.
Doch sind vielleicht die philosophischen Chroniken und Bildergallerien weniger zu tadeln, als der schlechte Gebrauch, den ihre Liebhaber davon machen. Ein wenig Schwärmerey und Aberglauben würde hier nicht nur Nachsicht verdienen, sondern etwas von diesem Sauerteige gehört dazu, um die Seele zu einem philosophischen Heroismus in Gährung zu setzen. Ein durstiger Ehrgeitz nach Wahrheit und Tugend, und eine Eroberungswuth aller Lügen und Laster, die nämlich nicht dafür erkannt werden, noch seyn wollen; hierinn besteht der Heldengeist eines Weltweisen.
Wenn Cäsar Trähnen vergießt bey der Säule des macedonischen Jünglings, und dieser bey dem Grabe Achills mit Eyfersucht an einen Herold des Ruhms denkt, wie der blinde Minnesänger war: so biegt ein Erasmus im Spott sein Knie für den heiligen Sokrates, und die hellenistische Muse unsers von Bar muß den komischen Schatten eines Thomas Diafoirus beunruhigen, um uns die unterirrdische Wahrheit zu predigen; daß es göttliche Menschen unter den Heyden gab, daß wir die Wolke dieser Zeugen nicht verachten sollen, daß sie der Himmel zu seinen Boten und Dollmetschern salbte, und zu eben den Beruf unter ihrem Geschlechte einweihte, den die Propheten unter den Juden hatten.
Wie die Natur uns gegeben, unsere Augen zu öfnen; so die Geschichte, unsere Ohren. Einen Körper und eine Begebenheit bis auf ihre ersten Elemente zergliedern, heißt, Gottes unsichtbares Wesen, seine ewige Kraft und Gottheit ertappen wollen. Wer Mose und den Propheten nicht glaubt, wird daher immer ein Dichter, wieder sein Wissen und Wollen, wie Buffon über die Geschichte der Schöpfung und Montesquieu über die Geschichte des Römischen Reichs.
Wenn kein junger Sperling ohne unsern Gott auf die Erde fällt; so ist kein Denkmal alter Zeiten für uns verloren gegangen, das wir zu beklagen hätten. Sollte seine Vorsorge sich nicht über Schriften erstrecken, da Er Selbst ein Schriftsteller geworden, und der Geist Gottes so genau gewesen den Werth der ersten verbotenen Bücher aufzuzeichnen, die ein frommer Eyfer unserer Religion dem Feuer geopfert? Wir bewundern es an Pompejus als eine kluge und edle Handlung, daß er die Schriften seines Feindes Sertorius aus dem Wege räumte; warum nicht an unserm HErrn, daß er die Schriften eines Celsus untergehen lassen? Ich meyne also nicht ohne Grund, daß Gott für alle Bücher, woran uns was gelegen, wenigstens so viel Aufmerksamkeit getragen als Cäsar für die beschriebene Rolle, mit der er in die See sprang, oder Paulus für sein Pergamen zu Troada.
Hatte der Künstler, welcher mit einer Linse durch ein Nadelöhr traf, nicht an einen Scheffel Linsen genung zur Übung seiner erworbenen Geschicklichkeit? Diese Frage möchte man an alle Gelehrte thun, welche die Werke der Alten nicht klüger, als jener die Linsen, zu brauchen wißen. Wenn wir mehr hätten, als uns die Zeit hat schenken wollen; so würden wir selbst genöthiget werden unsere Ladungen über Bord zu werfen, unsere Bibliothecken in Brand zu stecken, oder es wie die Holländer mit dem Gewürz zu machen.
Mich wundert daß noch keiner soviel über die Historie gewagt, als Bacon für die Physik gethan. Bollingbroke giebt seinem Schüler den Rath, die ältere Geschichte überhaupt wie die heydnische Götterlehre und als ein poetisch Wörterbuch zu studieren. Doch vielleicht ist die ganze Historie mehr Mythologie, als es dieser Philosoph meynt, und gleich der Natur ein versiegelt Buch, ein verdecktes Zeugnis, ein Räthsel, das sich nicht auflösen läßt, ohne mit einem andern Kalbe, als unserer Vernunft zu pflügen.
Meine Absicht ist es nicht, ein Historiograph des Sokrates zu seyn; ich schreibe blos seine Denkwürdigkeiten wie Düclos dergleichen zur Geschichte des XVIIIten Jahrhunderts für die lange Weile des schönen Publicums herausgegeben.
Es liesse sich freylich ein so sinnreicher Versuch über das Leben Sokrates schreiben als Blackwell über den Homer geliefert. Sollte der Vater der Weltweisheit nicht dieser Ehre näher gewesen seyn als der Vater der Dichtkunst? Was Cooper herausgegeben ist nichts als eine Schulübung, die den Eckel so wohl einer Lob- als Streit-Schrift mit sich führt.
Sokrates besuchte öfters die Werkstätte eines Gerbers, der sein Freund war, und wie der Wirth des Apostel Petrus zu Joppe Simon hieß. Der Handwerker hatte den ersten Einfall die Gespräche des Sokrates aufzuschreiben. Dieser erkannte sich vielleicht in denselben besser als in Platons, bey deren Lesung er gestutzt und gefragt haben soll: Was hat dieser junge Mensch im Sinn aus mir zu machen? – – Wenn ich nur so gut als Simon der Gerber meinen Held verstehe!
Erster Abschnitt.
Sokrates hatte nicht umsonst einen Bildhauer und eine Wehmutter zu Eltern gehabt. Sein Unterricht ist jederzeit mit den Hebammenkünsten verglichen worden. Man vergnügt sich noch diesen Einfall zu wiederholen, ohne daß man selbigen als das Saamkorn einer fruchtbaren Wahrheit hätte aufgehen lassen. Dieser Ausdruck ist nicht blos tropisch, sondern zugleich ein Knäuel vortreflicher Begriffe, die jeder Lehrer zum Leitfaden in der Erziehung des Verstandes nöthig hat. Wie der Mensch nach der Gleichheit Gottes erschaffen worden, so scheint der Leib eine Figur oder Bild der Seelen zu seyn. Wenn uns unser Gebein verholen ist, weil wir im Verborgenen gemacht, weil wir gebildet werden unten in der Erde; wie viel mehr werden unsere Begriffe im Verborgenen gemacht, und können als Gliedmassen unsers Verstandes betrachtet werden. Daß ich sie Gliedmaassen des Verstandes nenne, hindert nicht, jeden Begrif als eine besondere und ganze Geburt selbst anzusehen. Sokrates war also bescheiden genung seine Schulweisheit mit der Kunst eines alten Weibes zu vergleichen, welches blos der Arbeit der Mutter und ihrer zeitigen Frucht zu