Professor Unrat. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
des Kampfes war er nicht dazu angetan, es zu würdigen, daß die Älteren in der Stadt seinen Namen, sogar wenn sie ihm das Wort laut an den Kopf sagten, nicht aussprachen, um ihn zu verletzen, sondern Jugenderinnerungen zuliebe, die ihnen mittlerweile harmlos heiter aussahen; und daß er in der Stadt eine Figur war, die für jeden Komik umhertrug, aber für manchen eine zärtliche Komik. Er hörte nicht den Meinungsaustausch zweier Schüler aus der allerersten Generation, die an einer Straßenecke stehenblieben und ihm, er meinte voll Hohn, nachblickten.
»Was ist denn mit dem Unrat? Er wird alt.«
»Und immer schmutziger.«
»Anders als schmutzig hab ich ihn nie gekannt.«
»Oh, das wissen Sie wohl nicht mehr. Als Hilfslehrer war er noch 'n ganz adretter Mensch.«
»So? Was der Name tut. Ich kann ihn mir überhaupt nicht sauber vorstellen.«
»Wissen Sie, was ich glaube? Er sich selber auch nicht. Gegen so 'n Namen kann auf die Dauer keiner an.«
III. Kapitel
Unrat hastete die stille Gasse wieder hinauf, denn er hatte einen Gedanken gehabt, dessen Richtigkeit er sofort, aber sofort nachprüfen wollte. Er wußte durch plötzliche Erleuchtung, Rosa Fröhlich sei die Barfußtänzerin, von der man jetzt so viel Aufhebens machte. Sie sollte herkommen und in dem Saal der Gesellschaft für Gemeinsinn ihre Künste sehen lassen. Unrat entsann sich ganz deutlich, wie Oberlehrer Wittkopp, ein Mitglied dieser Gesellschaft, davon erzählt hatte. Er war im Lehrerzimmer an sein Wandschränkchen getreten, hatte es aufgeschlossen, einen Packen Exerzitienhefte hineingelegt und dazu gesagt: »Nun bekommen wir hier also auch die berühmte Rosa Fröhlich, die auf bloßen Füßen griechisch tanzt.«
Unrat sah Wittkopp vor sich, wie er sich wichtig machte, eitel um seinen Klemmer herumschielte und die Lippen spitzte, um auszusprechen: »Rosa Fröhlich.« Ganz ohne Zweifel, er hatte gesagt: »Rosa Fröhlich.« Unrat hörte ja jeden der vier Laute, in Wittkopps gekünstelter Sprechweise und mit dem gesäuselten R. Das hätte ihm früher einfallen sollen! Zweifellos war die Barfußtänzerin Fröhlich inzwischen eingetroffen, und der Schüler Lohmann war mit ihr in Verbindung getreten. Unrat war nun auf dem Wege, beide zu »fassen«.
Er erreichte die Siebenbergstraße, er hatte sie halb durcheilt, da ging donnernd ein Rolladen nieder vor einem Schaufenster, und Unrat blieb, einige Schritte davor, vernichtet stehn. Denn der Rolladen gehörte dem Musikalienhändler Kellner, der bei solchen Gelegenheiten die Karten verkaufte und alles Nähere wußte. Es schien, als sollte Unrat die zwei, denen er nachsetzte, heute nicht mehr einholen.
Trotzdem konnte er sich nicht denken, daß er jetzt nach Haus gelangen und sein Nachtessen herunterbringen werde. Er war in Jagdleidenschaft geraten. Er gab sich noch ein paar Minuten, machte einen letzten Umweg. Am Rosmarinweg hielt er, ganz erschüttert, vor einem schiefgetretenen Holztreppchen den Schritt an. Es klomm steil bis vor eine schmale Ladentür mit der Inschrift: »Johannes Rindfleisch, Schuhmachermeister.« Eine Warenauslage war nicht da; hinter den Spiegelscheiben der zwei kleinen Fenster standen Blumentöpfe. Und Unrat bedauerte, von seinem guten Geschick nicht schon längst hierhergeführt zu sein, zu der Behausung eines rechtschaffenen und harmlosen Mannes, eines Herrnhuters, der kein Scheltwort in den Mund nahm, niemals kränkend die Miene verzog, und der über die Künstlerin Fröhlich anstandslos Auskunft erteilen würde!
Er öffnete die Tür. Eine Glocke schlug an, und der Ton schwang freundlich nach. Die Werkstatt lag sauber aufgeräumt im Halbdunkel. Eingefaßt in den Rahmen der Tür zum Nebenzimmer, zeigte sich das mild beleuchtete Bild der Schustersfamilie beim Abendbrot. Der Geselle kaute an der Seite der Haustochter. Den kleinen Kindern gab die Mutter Kartoffeln zur Mettwurst. Der Vater setzte die bauchige Flasche mit Braunbier neben die Lampe, erhob sich und sah nach dem Kunden.
»Nabend, Herr Professor.« Er schluckte erst umständlich seinen Bissen hinunter. »Und womit kann ich dienen?«
»Ja«, versetzte Unrat, rieb sich unsicher lächelnd die Hände und schluckte auch, mit leerer Kehle.
»Entschuldigen Sie man«, setzte der Schuhmacher hinzu, »daß hier schon allens duster is. Hier machen wir um Klock sieben Feierabend. Der Rest des Abends gehört dem Herrn. Wer da noch arbeiten tut, da is doch kein Segen auf.«
»Das mag ja denn einerseits – ganz richtig sein«, stotterte Unrat.
Der Schuhmacher war einen Kopf höher. Er hatte knochige Schultern und unter seinem Schutzfell einen unvermittelten Spitzbauch. Ergrauende Löckchen, ein wenig ölig, machten den Bogen um sein langes, bleifarbenes Gesicht, dessen Wangen in einen keilförmigen Bart hineinhingen, und das langsam lächelte. Rindfleisch schob immerfort über dem Magen die Finger ineinander, löste sie und steckte sie wieder zusammen.
»Aber das ist es andererseits freilich nicht, weshalb ich komme«, erklärte Unrat.
»Herr Professor, Nabend, Herr Professor«, sagte die Frau von der Schwelle her und knickste. »Was stehst du da in 'n Schummern mit Herrn Professor, Johannes, laß ihm doch rein. Herr Professor, wenn Sie es man nich übelnehmen, daß wir uns' Mettwuß essen.«
»Das liegt mir ganz und gar fern, gute Frau.«
Unrat entschloß sich zu einem Opfer.
»Meister Rindfleisch, ich unterbreche ungern Ihr Mahl, aber ich ging grade vorbei, und da kam mir der Gedanke, daß Sie mir – aufgemerkt nun also! – ein Paar Stiefel anmessen sollen.«
»Zu dienen, Herr Professor«, und die Frau knickste, »zu dienen.«
Rindfleisch bedachte sich; dann verlangte er die Lampe.
»Denn sitten wi jä all in 'n Dustern bi 'n Eeten«, bemerkte die Frau heiter. »Nöh, Herr Professor, kommen Sie man rein, ich mach Licht für Ihnen in der blauen Stube.«
Sie ging voran in einen Raum, wo es kalt war, und zündete Unrat zu Ehren die beiden unversehrten rosa Kerzen an, die sich über ihren krausen Manschetten und flankiert von zwei großen Muscheln im Trumeau spiegelten. An den kraßblauen Wänden verweilten in sonntäglicher Haltung Großvatermöbel aus Mahagoni. Auf der gehäkelten Decke des Sofatisches breitete ein segnender Christus seine Biskuitarme aus.
Unrat wartete, bis Frau Rindfleisch hinaus war. Als er den Schuhmacher hinter geschlossener Tür und recht in seiner Gewalt hatte, setzte er ein.
»Vorwärts denn also, Meister, jetzt heißt es zeigen, daß Sie, der Sie einige kleinere Arbeiten zur Zufriedenheit des Leh – zu meiner Zufriedenheit bewerkstelligten, auch ein recht braves Paar Stiefel schaffen können.«
»O ja, Herr Professor, o-o-oh ja«, erwiderte Rindfleisch demütig und beflissen wie ein Primus.
»Mag ich immerhin schon im Besitz zweier Paare sein, so kann bei der jetzt vorwaltenden Nässe doch niemand sich genugtun an guter, warmer Fußbekleidung.«
Rindfleisch kniete und maß. Er hatte den Bleistift zwischen den Zähnen und grunzte nur.
»Andererseits ist dies die Jahreszeit, die gewöhnlich etwas Neues in die Stadt bringt, ein wenig – sicherlich doch – geistige Erholung. Die ist es denn wohl auch, die dem Menschen not tut.«
Rindfleisch sah auf.
»Sagen Sie das man noch mal, Herr Professor. Jajajah, die tuhet dem Menschen not. Und das weiß unsere Brüdergemeihende auch.«
»Soso«, machte Unrat. »Aber ich denke an den Besuch ausgezeichneter, unter den Menschen hervorragender Persönlichkeiten.«
»Da denk ich auch an, Herr Professor, und da denkt auch die Gemeihende an und versammelet uns Brüder am morgigen Abende zum Gebet mit einem berühmten Missionar. Ja, o jah.«
Unrat fand es schwierig, zu Künstlerin Fröhlich zu gelangen. Er suchte eine Weile, und als er keinen Umweg mehr fand, ging er gradaus.
»Auch in der Gesellschaft für Gemeinsinn zeigt sich uns nächstens – immer mal wieder – eine Berühmtheit. Eine