Damals bei uns daheim. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
zur grob gesplissenen Hühnerfeder. War aber gar erst die große Maschine zum Reinigen der Bettfedern in Gang, und ich konnte hineinsehen in den tanzenden, sich drehenden Wirbel aus Federn und Staub, so kannte mein Entzücken keine Grenzen!
Hans Fötsch wieder bevorzugte die Lebensmittelabteilung. Da ging er mit seiner sommers wie winters sprossigen Nase genußsüchtig witternd auf und ab, sah andächtig zu, wie herkulische Fleischer mit Rindervierteln und Schweinehälften jonglierten, wie starke Hirsche ausgeworfen wurden, und stand zum Schluß am längsten vor den Glasbassins mit den lebenden Flussfischen. Blau- und gelbschuppige Karpfen bewegten sich dort, träge die Flossen rührend, während ihre Erbfeinde, die Hechte, jetzt ohne alle Angriffsabsicht still und reglos über dem Grunde standen, auf dem sich Aale verknäult hatten.
Zum Schluß gingen wir meist noch in die Uhrenabteilung, die leider nur klein war. Wir lauschten andächtig dem Ticken vieler, vieler Uhren. Es schien hier gewissermaßen eine Werkstatt der Zeit zu sein, dieses unbegreifbaren Dinges Zeit, das wir nie verstehen konnten, das uns jeden Tag unfaßlich verwandelte, uns uns selber immer fremder machte. Dieser unheimlichen Zeit schienen wir hier näher gekommen beim Kuckucksruf der Schwarzwälder Uhr, beim Gongschlag der Standuhren und Regulatoren, und vor allem bei jenen Uhren, die wir »Schleifuhren« getauft hatten. Sie saßen unter einem Glassturz, und das blanke, messingpolierte Werk bewegte sich offen vor unsern Augen, vorwärts, rückwärts, immer eine halbe Drehung, völlig lautlos, aber eben sichtbar. So stellte ich mir »Zeit« vor: rückwärts, vorwärts, vor allem aber lautlos.
Sahen wir dann wirklich einmal auf das Zifferblatt dieser Uhren, so entdeckten wir oft, daß es zum Heimlaufen schon viel zu spät war. Willig opferten wir den letzten Groschen unseres Taschengeldes und fuhren mit der Elektrischen. Glücklich und strahlend kamen wir daheim an, verrieten aber, um einem etwaigen Verbot vorzubeugen, den Eltern nie das Ziel unserer Exkursionen. Wir waren ganz einfach spazieren gegangen. Wohin? Och ...
Dann kam ein Tag unter den Tagen, da der Zauber des Warenhauses für uns verblaßt war. Wir gingen ratlos darin umher und begriffen weder, warum wir dies einmal hinreißend schön gefunden hatten, noch warum es jetzt plötzlich nicht mehr schön sein sollte. Wir suchten unsere besten Attraktionen auf: sie blieben ohne alle Wirkung auf uns. Wir fanden alles einfach langweilig. Die Zauberbetten hatten jetzt die überzeugendste Ähnlichkeit mit unsern Betten zu Haus, in denen wir jede Nacht ohne Aufhebens schliefen. Der Käse stank, und die Karpfen riefen die Erinnerung an »Karpfen polnisch« wach, den es zu Silvester gab und der uns nicht grade besonders schmeckte.
War diese Entdeckung schon schlimm genug, so war die Lösung der Frage: Was fangen wir mit unserm langen freien Nachmittag an? noch viel heikler. Wir waren das Herumstromern so gewöhnt, daß uns bei dem Gedanken, daheim in unsern Buden über Büchern zu sitzen, entsetzte. Unser Sitzfleisch juckte uns.
Schließlich machte Hans Fötsch einen Vorschlag, der mir einleuchtete: »Wir gehen einfach durch die Linden zum Schloß, da bin ich lange nicht gewesen. Wollen doch mal sehen, ob SM zu Hause ist.«
Wir verließen also das Warenhaus durch den Ausgang nach der Voßstraße und gingen am düsteren Justizministerium vorbei durch die Wilhelmstraße zu den Linden. Es war ein trüber, aber trockener Nachmittag im November. Auf dem Mittelweg unter den mächtigen Linden klebte das feuchte, tote Laub sich an unsern Schuhen fest. Die prunkvollen Läden anzusehen, verschmähten wir, wir waren von Prunk gesättigt.
Als wir aber in die Nähe der Passage kamen, meinte Hans Fötsch, wir könnten uns wenigstens den Eingang von Kastans Panoptikum ansehen. Diese Wachsfigurenschau genoß damals bei den Berlinern großes Ansehen. Fötsch war schon ein paarmal darin gewesen, mich hatten noch immer Geldmangel und ein strenges Verbot vom Vater ferngehalten. Der dicke, goldbetresste Portier imponierte mir schon sehr, als ich mich dann aber durch die Neugierigen vor dem Schaufenster gedrängt hatte, kannte mein Entzücken keine Grenzen.
Vor einem panoramaartig gemalten Hintergrund, der eine märkische Kiefernlandschaft zeigte, sogar mit einem azurblauen Seezipfel, stand ein schlanker Herr in schwarzem Gehrock mit grau gestreiften Hosen, auf dem Haupte einen Zylinderhut. Das etwas blasierte Gesicht hatte hübsche rote Bäckchen, im Auge trug der Herr ein blitzendes Monokel, und sein schöner brauner Vollbart lag so untadelig in Locken, als habe ihn eben erst der Hoffriseur des Kaisers, Herr Haby, gekräuselt.
In der Hand hielt dieser Herr einen Revolver, gesenkt zur Erde, und der Blick seiner etwas blöden Puppenaugen war auf einen ihm zu Füßen liegenden, ähnlich gekleideten Herrn gerichtet, auf dessen weißer Hemdenbrust ein bräunlich-roter Fleck sichtbar war. Dieser Erschossene, mit grauenhaft naturgetreu brechendem Blick, vertrat aber den schwarzen, bleichen Typus. Ein Kind sah sofort, daß dies der Schurke, der Blonde aber der Held war, der dem Schuft die verdiente Strafe erteilt hatte. Unter dem Ganzen stand »Der Rächer seiner Ehre«, und die Szene war sicher eine Darstellung der damals recht häufigen Duelle, in denen der betrogene Gatte nicht so sehr die eigene Ehre wie die seiner Frau zu rächen meinte.
Wie gesagt, diese Gruppe machte in ihrer maskenhaften Starrheit und dabei doch mich völlig überzeugenden Lebendigkeit den tiefsten Eindruck auf meine Phantasie. Das Groteske in der Darstellung, vor allem, daß der Erschossene mit seinen Füßen gegen die Schuhe des Gegners stieß (was durch die Enge des Schaufensters bedingt war), störte mich gar nicht. Ich stand sehr lange vor der Gruppe, beobachtete jedes Detail: die am Boden liegende Pistole des Erschossenen, ein Bündel verstaubtes Heidekraut, das direkt neben der bleichen Wange der Leiche lag, die gelbliche Wachshand mit den langen bläulichen Wachsnägeln.
Dann begann meine Phantasie zu arbeiten, und ich stellte mir vor, was das überlebende Puppengesicht nun wohl tun würde. Die Frage, was er mit seiner Pistole tun sollte, beschäftigte mich sehr. Würde er sie zu der andern legen oder sie offen in der Hand nach Hause tragen? Wie kam er überhaupt nach Haus? Selbst wenn dies der Grunewald war, also nächste Nähe Berlins, schien mir seine Kleidung für einen Spaziergänger doch zu auffallend, auch wenn es ihm gelingen sollte, die Pistole in den Schößen seines Rockes zu verbergen.
Ich prüfte jede Einzelheit des Panoramas, es fand sich aber nicht die geringste Andeutung auf Sekundanten, einen wartenden Wagen. Aber – würde er überhaupt fliehen wollen? Oder würde er sich stellen? Ich wußte vom Vater, daß diese Art der Tötung beinahe erlaubt war. Es gab »bloß« Festung dafür, und Festung war nichts Ehrenrühriges. Ich überlegte mir, was ich in der Lage des Lockenbartes tun würde, aber ich wußte es auch nicht ... Am besten fuhr man wohl rasch nach Hamburg und wurde Schiffsjunge, aber wenn man ein Monokel trug und einen Vollbart hatte, konnte man wohl kaum Schiffsjunge werden ...
Ich hätte wohl noch lange vor der Wachsfigurengruppe gestanden. Aber Hans Fötsch stieß mich an, und wir gingen weiter, auf das Schloß zu. Währenddessen erzählte mir mein Freund mancherlei aus dem Panoptikum. Es gab »saublöde« Sachen darin wie Schneewittchen mit den sieben Zwergen, so richtiger Weiberkram im offenem Haar und rosa Schleifen am Kleid, aber es gab auch eine Schreckenskammer zu sehen (für einen Groschen extra) und ein anatomisches Museum (zwei und einen halben Groschen extra), in dem man ganz genau sehen konnte, wie verschieden Männer und Frauen gebaut waren. Bei diesem Umstand verharrte Hans Fötsch mit einer gewissen Hartnäckigkeit, fand aber bei mir wenig Aufmerksamkeit. Dieses interessierte mich (noch) nicht. Immerhin faßte ich den Entschluss zu äußerster Sparsamkeit in den nächsten Wochen, um eines Tages viel an Kastans Panoptikum verschwenden zu können.
Das Schloß lag grau und düster unter dem grauen und düsteren Novemberhimmel. Unser Kaiser, den wir nach Berliner Gewohnheit nur SM – Abkürzung für Seine Majestät – nannten, war mal wieder unterwegs, keine Kaiserstandarte wehte auf dem Flaggenmast. Nun, es war kein Wunder. Nicht umsonst hieß er der Reisekaiser, er hielt es nirgendwo lange aus. Die Fanfare seines Autos Tatü! Tata! klang all seinen Untertanen mit »Bald hier, bald da!« in den Ohren.
Nach einem kurzen Zögern entschlossen wir uns, in ganz unbekannte Gegenden vorzustoßen, der Turm des Rathauses der Stadt Berlin, des Roten Schlosses, winkte uns. Wir folgten diesem Wink und pilgerten weiter bis zum Alexanderplatz, von wo uns der Zufall in das Scheunenviertel trieb.
Diese Unterwelt, die wir hier betraten, erregte unser lebhaftes Staunen, von diesem Berlin hatten wir noch nichts gesehen. Das ganze Leben seiner Bewohner schien sich