Wir hatten mal ein Kind. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
im Sarge gelegen und ihr rabenschwarzes Haar war gut anzusehen gewesen, aber in ihrem Kopf hatte diese Verachtung gesessen. Nun wachte er nachts davon auf, daß er sie gesehen hatte, im Traum, wie sie dalag, weiß und still. Er hatte sich über sie gebeugt, er hatte ihre Lippen noch einmal küssen wollen, aber da hatten diese Lippen sich zurückgezogen von den Zähnen, sie hatte ihre fahlen Zähne mit einem Lächeln entblößt. Der Mund hatte sich ganz geöffnet und ihre Zunge hatte sie herausgestreckt, eine häßliche, geschwollene, blauschwarze Zunge, schrecklich anzusehen.
Davon war er erwacht, und nun grübelte er darüber, wie die Tote zu versöhnen, wie das Versäumte nachzuholen sei. Aber darüber war alles Grübeln vergeblich, nichts war mehr nachzuholen.
Jetzt fürchtete er sich auch vor dem Schlaf, denn es war nicht abzusehen, was von einer Toten zu erwarten war, die ihre Zunge so entblößte. Ihm wurde schwindlig, er klammerte sich daran, daß sie doch seine Tochter sei – und alles verging in einem Nebel. Als er wieder wach war, saß er da und lauschte auf das Huschen und Laufen, oben, auf dem Boden. Ratten, sagte er, Ratten. Sie waren eingedrungen in dies verwahrloste Haus, schon lange hatte er ihre Spuren auf den Getreidehaufen oben gemerkt, es mußten sehr viele sein, Scharen. Sicher war es, daß Hete auch sie geschickt hatte. Nicht nur seine Erinnerungen, das Haus mit allem, was darin war, sollte zerstört werden. Er sollte immer nur an sie denken.
In der nächsten Nacht träumte er wieder von Hete. Sie sah nicht böse aus, aber sie lächelte auch nicht, ihr Gesicht trug einen Ausdruck von zärtlicher Betrübtheit. Plötzlich zog es sich angstvoll zusammen, und da sah er eine große, grauschwarze Ratte, die unter ihrem Kleid verschwand. Er wollte das Tier verscheuchen, er griff schon nach ihrem Kleide, aber dann schauderte er davor zurück. Ihr Gesicht war so kummervoll verzogen, sie mußte Schmerzen haben, er rief mit Angst: Aber, Hete, ich kann dir doch nicht helfen! Hete! Hete! – Sie lag schon wieder still da, schweigend und bleich.
Am nächsten Tag ging er nach Kirchdorf und kaufte Gift gegen die Ratten. Es war sein erster Ausgang nach langer Zeit, fast ein Jahr war vergangen, seit Hete gestorben war, und die Felder grünten, die Bäume blühten wieder. Seine von ewiger Dämmerung blöden Augen schmerzten vom Blühen und Licht, er setzte sich, nachdem seine Besorgung erledigt war, in einen Winkel der Schenke und trank und trank. Aber so viel er auch trank, er wurde nicht betrunken, er begriff: er entging ihr nicht.
Als er in der Morgendämmerung in sein Haus zurückgekehrt war und sich zu kurzem Schlaf hingelegt hatte, erschien sie ihm wieder. Ihr Gesicht war zornig, sie hielt auf ihrer Brust zwei Ratten, die ihre langen gelben Zähne entblößten und ihre nackten Schwänze entzückt bewegten. Da tat er das Gift fort, vergrub es tief in der Erde, und als sie ihm in der nächsten und übernächsten Nacht nicht mehr erschien, begriff er, daß er das Rechte getroffen und ihren Willen erfüllt hatte.
Dann aber erschien sie wieder, in einem ermüdend gleichmäßigen Zuge erschien sie durch alle seine Nächte, im Sarge liegend, unverändert, mit totem, blassem Gesicht. Was wollte sie noch? Sie erschien so gleichmäßig, als wollte sie ihn nur erinnern, daß sie noch da sei, daß er sie nicht vergessen dürfte, die Versäumte.
Er vergaß sie schon nicht, sie war immer da, aber sie hatte sich so seltsam verwandelt, sie war wie eine Erkrankung seines Blutes geworden, wie eine Veränderung seines Hirns. Manchmal wußte er nicht mehr, ob er es war, der da auf und ab ging, oder sie. Ob sein Herz in ihrer Brust den Todesschlaf hielt oder ihres.
Das kam anfangs nur wie Wolken und zog vorbei, aber schließlich wurde es doch so, daß er die Spiegel zerschlug. Er mußte es tun, er durfte nicht die Verwandlung belauschen, die unmerklich. Tag für Tag, mit ihm vorging. Er durfte nicht wissen, wo sie heute von ihm Besitz ergriffen hatte und wo gestern. Manchmal, kamen seine Hände vor seine Augen, heftete er seine wie klein gewordenen Blicke darauf, zitternd vor Angst und Begierde, er könne die verwunschene Veränderung schauen. Aber er lenkte die Augen beschämt fort: wer war er, daß er schon hätte sehen dürfen? Er hatte nur zu warten. Alles geschah durch die Verstorbene. Sie hatte ihn angenommen.
Wie ermüdend, oh! wie quälend, jede Nacht die gleiche im Sarge zu sehen. Geschah denn nichts mit ihr, da doch so unendlich viel mit ihm geschah? Gar nichts? Er sah angstvoll ihr Gesicht, ihre Hände an, die immer unverändert blieben. Bis er eines Nachts durch einen zufälligen Seitenblick zu entdecken glaubte, daß der Saum ihres Rockes sich ein ganz wenig von ihren Schuhen emporgeschoben hatte. Er wartete die nächste Nacht ab. Ja, langsam und allmählich schob sich Nacht für Nacht der Saum ihres Rockes empor. Nun zitterte er nicht mehr vor einer Entblößung: nein, diese Verwandlung geschah geheimnisvoller und in einer andern Welt.
Ihre Füße lagen im Schatten, aber doch meinte der Spähende zu sehen, daß es nicht mehr ihr schmaler Spangenschuh war, der dort lag, sondern sein breiter fester Stiefel. Zuerst zweifelte er noch, aber Nacht für Nacht stieg seine Gewissheit, daß er dort einzog, von wo sie floh. Er bekam den Tod und sie gewann das Leben, so war es nur recht.
Dann war er eines Tages gewiß, daß es nun an der Zeit sei, auch äußerlich die Verwandlung zu bestätigen. Seine Angst war fort, als er die Tür zu ihrem Zimmer öffnete – ging er nicht in ihr Zimmer? Ging sie nicht in ihr Zimmer? Nun war es, als habe er hier immer gewohnt, ohne Zögern öffnete er Schubladen und Schränke, er zog sich zu diesem ersten Tage ein fröhliches Kleid an, er zog ihr ein hochzeitlich weißes Kleid an. Seine Hand zitterte nicht, als er die langen Strümpfe über das Bein streifte, seine Haut war glatt und frisch, seine Wade schwellte sich jung und fest. Als er fertig mit Anziehen war, ging er in das Zimmer ihrer gemeinsamen Träumereien hinüber, er war so froh, er setzte sich hin und sank in einen tiefen Schlaf. Wieder stand er an ihrem Sarg, nun in ihrem Kleid, und die halb schon Verwandelte, nun richtete sie sich zum Sitzen auf, ihre Wangen färbte ein leises glückliches Lebensrot, sie hob ihre Hand und legte sie auf die seine. Sie streichelte die Hand. Ein unnennbares Glück durchrieselte ihn.
Er ist aufgewacht, noch klopft sein Herz eilig und noch streichelt ihn ihre Hand. Ja, auch im Wachen dauert das Streicheln fort, Wonneschauer überströmen ihn, er kann sich nicht halten, in das Dunkel fragt er: Bist du da, Hete?
Die Ratte auf seiner Hand macht einen Satz und läuft fort. Er hört sie durch das Zimmer huschen. Es ist alles so einfach, es geschieht nichts klarer, es ist nur eine Ratte gewesen. Sie haben die Vorräte auf den Böden vertilgt, sie ziehen sich in die Stuben hinab, dorthin, wo er seine Essvorräte aufbewahrt. Nichts ist verständlicher. Aber ebenso sicher ist, daß diese Ratte ein Bote von ihr war, ihm zur Belohnung gesandt, daß er auf sich genommen zu tun, was er tat. Er hatte sie recht verstanden, als er die Ratten nicht getötet hatte.
Und die Tage vergehen und die Wochen vergehen und die Monate vergehen. Er weiß nicht mehr, was das ist: Zeit. Die Verwandlung ist fortgeschritten, die Verwandlung ist fast vollendet. Er fühlt: unter seinem Bart trägt er schon ihr Gesicht, nur das eine fehlt, daß sein Bart noch von ihm abfällt. Aber sie ist ungeduldig geworden, sie kann es nicht mehr erwarten, daß sie aus diesem Sarge aufstehen darf, in dem sie schon viel zu lange gelegen. Es fehlt doch nur noch ein Kleines, kann er es denn nicht erraten? Da geht er umher, in ihrer Gestalt, in ihren Kleidern, und immer noch trägt er diesen lächerlichen Bart? Will er etwa nicht verstehen? Ja, da muß sie ihm zeigen, was er zu tun hat.
Sie sitzt in ihrem Sarg, auf ihrer Hand hockt eine Ratte und nun beißt die Ratte zu. Sie reißt einen Fetzen Fleisch von ihrem Finger und läuft davon. Hat er nun verstanden?
Ja, er hat verstanden, aber noch einmal bäumt sich seine Seele auf: das ist zu schwer! Wohl hat er sich schon ganz an die Ratten gewöhnt, bei Tag und bei Nacht laufen sie über ihn hin, sie haben keine Scheu mehr vor dem Einsamen, sie streicheln alle seine Glieder. Er weiß ja, es sind ihre Boten, es sind ihre Hände, die ihn streicheln. Aber dies noch! Nein, dies kann er nicht. Er will es nicht!
Aber da kommt sie nicht mehr, sie bleibt einfach fort, sie läßt den schon fast Verwandelten im Stich, ja, ist es nicht so, als ob sie die Verwandlung wieder rückgängig zu machen beginnt?
Er muß sich entschließen und er weiß ja, daß sein Entschluss vom ersten Tage an, da er mit ihr zusammenlebte, gefaßt war. Er vernichtet den Rest der Esswaren, er legt sich auf sein Lager, er ist bereit, er wartet. Es dauert viele und viele Stunden, ehe die Ratten sich entschließen, ihm näher zu kommen, sich