Die Bauern. Anton TschechowЧитать онлайн книгу.
aus, tat ihn in den Koffer und legte sich wieder hin.
Marja kam zurück und begann den Ofen zu heizen. Sie schien noch nicht ausgeschlafen und wachte im Gehen allmählich auf. Sie hatte wohl etwas geträumt, oder die gestrigen Erzählungen kamen ihr in den Sinn, denn sie reckte sich wohlig vor dem Ofen und sagte:
»Nein, die Freiheit ist doch besser!«
7
Der »gnädige Herr« kam gefahren, – so nannte man im Dorfe den Kreispristaw. Daß er kommen würde und zu welchem Zweck, wußte man schon seit acht Tagen. In Schukowo gab es bloß vierzig Höfe, aber die Rückstände an den Staats- und den Semstwo-Steuern betrugen schon mehr als zweitausend Rubel.
Der Pristaw stieg in der Wirtschaft ab, trank zwei Glas Tee und begab sich dann zu Fuß zum Hause des Dorfältesten, wo auf ihn schon eine ganze Gesellschaft von Bauern, die mit der Steuer im Rückstande waren, wartete. Der Dorfälteste, Antip Ssedjelnikow war trotz seiner Jugend, – er war kaum über dreißig Jahre alt – sehr streng und hielt es immer mit der Obrigkeit, obwohl er selbst arm war und seine eigenen Steuern gar nicht pünktlich bezahlte. Daß er der Gemeindeälteste war, machte ihm viel Freude, und das Bewusstsein seiner Macht, die er nur durch Strenge zu zeigen verstand, amüsierte ihn. Die Bauern fürchteten ihn und gehorchten ihm; manchmal erwischte er auf der Straße oder vor dem Wirtshause einen Betrunkenen, fesselte ihm die Hände und sperrte ihn in Arrest; einmal steckte er auch die Großmutter für ganze vierundzwanzig Stunden ins Loch, weil sie statt Ossip zur Bauernversammlung gekommen war und ein großes Geschrei erhoben hatte. Er hatte zwar niemals in der Stadt gelebt und auch keinerlei Bücher gelesen, hatte sich aber irgendwie eine ganze Menge gebildeter Worte angeeignet, die er gerne im Gespräch gebrauchte; die Bauern achteten ihn dafür, obwohl sie seine Worte nicht immer verstanden.
Als Ossip mit seinem Steuerbuch ins Haus des Dorfältesten kam, saß der Pristaw, ein hagerer alter Mann mit grauem Backenbart in grauer Litewka am Tisch und schrieb etwas. In der Stube war es sauber, an den Wänden klebten aus Zeitschriften herausgeschnittene Bilder, und an sichtbarster Stelle neben den Heiligenbildern prangte das Bildnis des gewesenen Fürsten von Bulgarien, Alexander von Battenberg. Neben dem Tisch stand mit gekreuzten Armen Antip Ssedjelnikow.
»Er schuldet noch hundertneunzehn Rubel, Euer Hochwohlgeboren,« sagte er, als die Reihe an Ossip kam. »Vor der Osterwoche hat er einen Rubel eingezahlt, und seither keine Kopeke mehr.«
Der Pristaw sah Ossip an und sagte:
»Warum ist es so, mein Bester?«
»Erweisen Sie mir die göttliche Gnade, Euer Hochwohlgeboren,« begann Ossip in höchster Erregung: »Gestatten Sie mir, alles zu erzählen: vergangenes Jahr sagte mir der Gutsherr von Ljutoretzk: ›Ossip, verkauf mir dein Heu ...‹ Warum auch nicht? Ich hatte damals an die hundert Pud zum Verkauf, die die Weiber bei der Schlucht gemäht hatten ... Wir wurden handelseinig ... Alles war ordentlich und freiwillig ...«
Er beschwerte sich über den Dorfältesten und wandte sich jeden Augenblick zu den anderen Bauern um, als riefe er sie zu Zeugen an; sein Gesicht war rot und schweißig, und die Augen blickten böse und stechend.
»Ich verstehe nicht, wozu du mir das alles erzählst,« sagte der Pristaw. »Ich frage dich ... ich frage dich, warum du die Steuer nicht zahlst! Ihr alle zahlt nicht, und ich soll für euch haften?«
»Ich kann nicht ...«
»Diese Worte sind ohne jede Konsequenz, Euer Hochwohlgeboren,« sagte der Dorfälteste. »Die Tschikildejews gehören allerdings zu der unvermögenden Klasse, aber belieben nur die anderen zu befragen: der Hauptgrund ist der Schnaps; furchtbar ausgelassen sind die Leute. Haben gar kein Verständnis.«
Der Pristaw schrieb sich etwas auf und sagte zu Ossip so ruhig, wie wenn er ihn um ein Glas Wasser bäte:
»Scher dich hinaus.«
Bald darauf fuhr er ab; als er sich in seinen einfachen Wagen setzte, konnte man selbst seinem hageren Rücken ansehen, daß er den Ossip, den Dorfältesten und alle Steuerrückstände schon vergessen hatte und nur noch an seine eigenen Angelegenheiten dachte. Kaum war er eine Werst weit gefahren, als Antip Ssedjelnikow aus dem Hause der Tschikildejews den Samowar forttrug; die Großmutter ging ihm nach und zeterte mit gellender Stimme:
»Ich geb ihn nicht her! Ich geb ihn dir nicht her, du Verdammter!«
Er ging schnell, mit großen Schritten, und sie verfolgte ihn keuchend, wütend, mit krummem Rücken, beinahe hinfallend; das Kopftuch war ihr auf die Schultern gerutscht, und ihre grauen, grün angelaufenen Haare flatterten im Winde. Plötzlich blieb sie stehen, begann sich wie eine echte Aufrührerin mit den Fäusten vor die Brust zu schlagen und schrie mit lauter singender Stimme:
»Ihr Rechtgläubigen, die ihr an Gott glaubt! Man hat uns beleidigt! Man erdrückt uns, ihr Lieben! Tretet doch für uns ein!«
»Großmutter, Großmutter,« sagte der Dorfälteste streng, »hab doch Verstand in deinem Kopf!«
Ohne Samowar wurde es bei den Tschikildejews sehr traurig und langweilig. In dieser Entbehrung lag etwas Erniedrigendes, als hätte man das ganze Haus um seine Ehre gebracht. Wenn der Dorfälteste den Tisch mit allen Bänken und alle Töpfe davongetragen hätte, wäre es in der Stube doch nicht so leer geworden. Die Großmutter schrie, Marja weinte, und auch die Kinder heulten, als sie sie weinen sahen. Der Alte, der sich schuldig fühlte, saß traurig in der Ecke und schwieg. Auch Nikolai schwieg. Die Großmutter liebte und bemitleidete ihn; jetzt hatte sie aber ihr Mitleid vergessen: sie fiel über ihn plötzlich mit Flüchen und Vorwürfen her und fuchtelte mit den Fäusten vor seinem Gesicht. Sie schrie, daß er an allem schuld sei; warum hätte er aus Moskau so wenig geschickt, wenn er sogar selbst in seinen Briefen geprahlt hatte, daß er im Slawischen Bazar ganze fünfzig Rubel im Monat verdiene? Warum sei er jetzt hergekommen, und noch dazu mit Familie? Und wenn er hier sterben sollte, wo nimmt man das Geld für die Beerdigung her? Es war ein Jammer, Nikolai, Olga und Sascha anzusehen.
Der Alte räusperte sich, nahm die Mütze und ging zum Dorfältesten. Es dunkelte schon. Antip Ssedjelnikow stand mit geblähten Backen am Ofen und lötete etwas, und in der Stube war es dunstig. Seine mageren, ungewaschenen Kinder, die nicht besser als die Tschikildejewschen aussahen, balgten sich auf dem Fußboden; seine unschöne Frau mit Sommersprossen im Gesicht und dickem Bauch haspelte Seide. Es war eine unglückliche, arme Familie, und nur Antip allein sah hübsch und unternehmungslustig aus. Auf einer Bank standen in einer Reihe fünf Samowars. Der Alte bekreuzigte sich vor dem Bilde des Fürsten Battenberg und sagte:
»Antip, sei barmherzig, gib mir den Samowar wieder! Um Christi willen!«
»Bring erst drei Rubel, dann kannst du ihn haben.«
»Ich kann nicht!«
Antip blähte die Backen, das Feuer zischte und spiegelte sich in den Samowars. Der Alte zerknüllte seine Mütze in den Händen, dachte eine Weile nach und sagte:
»Gib ihn her!«
Der Dorfälteste sah ganz schwarz aus und erinnerte an einen Zauberer; er wandte sich zu Ossip um und sagte schnell und streng:
»Alles hängt vom Semstwo-Vorsteher ab. In der administrativen Sitzung am sechsundzwanzigsten dieses kannst du dich mündlich oder auch schriftlich beschweren.«
Ossip verstand kein Wort, gab sich aber damit zufrieden und ging nach Hause.
Nach zehn Tagen kam der Pristaw wieder gefahren, verbrachte in Schukowo eine Stunde und fuhr weiter. Das Wetter war in jenen Tagen kalt und windig; der Fluß war schon längst eingefroren, Schnee war aber noch nicht gefallen, und die Leute plagten sich ohne Schlittenweg furchtbar ab. Eines Abends, es war ein Feiertag, versammelten sich bei Ossip die Nachbarn. Sie unterhielten sich im Finstern, denn es war Sünde zu arbeiten, und ohne Not machte man kein Licht. Es gab einige nicht sehr erfreuliche Neuigkeiten. In zwei oder drei Häusern hatte man der Steuerrückstände wegen die Hühner konfisziert und in die Gemeindekanzlei gebracht, wo sie, da man sie nicht fütterte, krepierten; man hatte auch einige Schafe genommen, und während man sie gefesselt transportierte und in jedem Dorfe von