Blau Wasser. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
- seid so gut und geht an Eure Arbeit."
Tom war entlassen und sein Schicksal entschieden. Er wußte, daß er nichts weiter von Bitten noch Drohungen zu hoffen hatte, ja die letzteren seine Lage nur verschlimmern konnten, und war vernünftig genug, sich dem zu fügen. Unbelästigt von irgend Jemand - denn der dritte Harpunier hatte strengen Befehl bekommen, dem neuen Zimmermann des letzten Fluchtversuchs wegen keine weiteren Vorwürfe zu machen - verrichtete er jetzt seine Arbeit, und wenn ihm auch das Herz hätte brechen mögen, als das Schiff seinen Cours in die See hinaus nahm und Tubuai mehr und mehr am Horizont verschwand, verbiß er doch seinen Schmerz. Es sollte Niemand ahnen, was in ihm vorging - seine Zeit kam doch vielleicht.
Nicht so ruhig aber nahm Alohi den Abschied von seinem Vaterland. Im Anfang zwar hatte er sich mit ziemlicher Gleichgültigkeit dem Entschluß hingegeben, sein Schicksal an das seines Schwagers zu knüpfen - eine gewisse Furcht mochte ihn ebenfalls dazu getrieben haben, den Klagen der Schwester auszuweichen. Jetzt aber, als die palmenreiche Küste, als die grünen Gipfel seiner Berge niedriger und niedriger wurden, und endlich auch der letzte in die See versank und die weite Oede furchtbar bewältigend vor ihm lag, da wurde ihm doch recht weh und ängstlich zu Muthe, und er kauerte still und traurig an Deck nieder, senkte den Kopf und verhüllte sich das Gesicht mit seinem Schultertuch.
Niemand belästigte ihn an dem Tag; die Seeleute wußten schon aus früherer Zeit, daß sie den Eingeborenen, wenn sie /44/ deren einmal als Arbeiter auf ihre Schiffe bekommen, Raum zu ihrem Heimweh geben mußten. Nachher fanden sie sich schon besser hinein. Ihr leichter Sinn hob sie bald über den wirklichen Verlust hinweg und ließ sie in dem Neuen und Wunderbaren, das sie umgab, sogar das Vaterland vergessen - freilich nur bis irgend eine neue Hügelspitze am Horizont auftauchte, und die Sehnsucht dann wohl so stark zurückkehrte als je.
Tom war indeß fest entschlossen, jede nur mögliche Gelegenheit zu neuer Flucht zu benutzen, und mit Alohi's Hülfe, den die Indianer einer fremden Insel gewiß eher unterstützt als ausgeliefert hätten, hoffte er auch auf gutes Gelingen. So nachsichtig ihn aber auch der Capitain in See behandelte, so streng wurde er überwacht, so lange sie nur in Sicht einer der zahlreichen in den dortigen Meeren zerstreut liegenden Inseln kamen, und als sie später in Hilo auf Hawaii anlegten, durfte der arme Teufel nicht einmal das Zwischendeck, ausgenommen mit Bewachung, verlassen. An Flucht war da gar nicht zu denken. Alohi dagegen konnte frei umhergehen, wohin es ihm beliebte. Capitain Rogers wußte recht gut, daß ihm der nicht davonlaufen würde, so lange er nur den Schotten hielt.
Der einzige Feind, den Tom an Bord hatte, war der dritte Harpunier, Mr. Elgers, der ihm die damalige Flucht nicht vergessen konnte, und peinlich wurde dies Verhältniß sogar, als er und Alohi gerade seinem Boote zugetheilt wurden. So knapp war die Lucy Evans nämlich an Mannschaft, daß nicht einmal der Zimmermann, wenn nicht besonders nöthige Arbeit an Bord seine Anwesenheit erforderte, beim Fang der Fische entbehrt werden konnte.
Alohi besonders hatte dort eine schwere Zeit, denn an das eisige Klima nicht gewöhnt, konnte er sich, trotz der erhaltenen warmen Kleidung, gar nicht mehr erwärmen. Die schwere Arbeit dazu, das Rudern am Tag, das Auskochen bei Nacht - oder in der Dämmerung wenigstens, da es dort oben in den Sommermonaten nicht Nacht wurde - rieb seinen Körper fast auf. Aber keine Klage kam über seine Lippen, und nur manchmal, wenn er oben im Top der Masten den Ausguck /45/ nach Walfischen hatte, drangen die leisen wehmüthigen Töne eines kleinen heimischen Liedes, das Tom nur zu gut kannte, auf das Deck nieder und verriethen ihm wenigstens, wie weh es dem armen Indianer im Herzen sei.
Ihre Jagd war ziemlich glücklich. Sie nahmen so viel Fische, daß der Capitain beschloß, wenn auch sein Schiff noch nicht ganz gefüllt war, keine weitere Jahreszeit hier oben abzuwarten, sondern nach Hause zurückzukehren. Auf der Heimfahrt konnte er dann das Fehlende vielleicht noch nachholen. - Auf Oahu wurde das Schiff wieder mit frischen Provisionen und Wasser versehen, und der zweite Harpunier wie zwei Bootsteuerer, die auf den Sandwichs-Inseln zu bleiben wünschten, ausgezahlt. Es geschieht dies sehr häufig, wenn ein Schiff seine Heimfahrt antritt, und ist stets ein Nutzen für die an Bord Zurückbleibenden. Die Abgehenden brauchen nämlich nicht allein nicht mehr beköstigt zu werden, sondern sie sind auch genöthigt, ihren Antheil am Thran hier billiger anzunehmen, als es in England der Fall gewesen wäre.
Nur den Zimmermann und Böttcher brauchte das Schiff noch nothwendig für die weitere Fahrt, und trotz des ersten Harpuniers Bitte für Tom Burton, ihn in der Nähe seiner Heimath abzusetzen, wenn sie diese erreichen würden, erklärte der Capitain, ihn nothgedrungen mit nach Hause nehmen zu müssen, da er das Schiff nicht der Gefahr aussetzen durfte, unterwegs bei schwerem Wetter und so tief geladen zu Schaden zu kommen. Was konnten sie dann ohne Zimmermann anfangen? - Der Harpunier schwieg. Der Capitain hatte Recht - und auch nicht; er selber mochte mit der Sache nichts weiter zu thun haben.
Sobald sie den Aequator wieder passirt hatten, bat übrigens Tom ebenfalls den Capitain darum, bei Tubuai anzulaufen und sie Beide ihren Familien zurückzugeben; der Capitain gab ihm aber ganz aufrichtig dieselbe Antwort wie seinem Harpunier, und Tom war zu viel Zimmermann und Seemann, um nicht selber einzusehen, daß jener von seinem Standpunkt aus vollkommen Recht hatte. Aber zur Verzweiflung trieb es ihn bald, wenn er daran dachte, wie er jetzt vielleicht in einer Tagereise Entfernung an dem kleinen Inselland vorbeischwamm, /46/ das seine Heimath geworden und alle die Menschen in sich faßte, die ihm lieb und theuer waren, und daß trotzdem doch vielleicht noch Jahre vergehen müßten, ehe er den Boden wieder betreten konnte. Und doch sah er keine Möglichkeit zur Flucht.
Weiter und weiter verfolgte indessen das Schiff seine Bahn. Die Breite von Tubuai mußten sie jedenfalls schon passirt haben, und die Ungewißheit darüber fraß ihm nur noch mehr am Herzen. Der Capitain nämlich, der die Beobach¬tungen der Sonne selber nahm und berechnete, vermied stets, irgend jemand Anderem ihre Bahn mitzutheilen. Die Leute durften auch gar nicht danach fragen, und die Harpuniere bekümmerten sich nicht darum. Das war eine Sache, die sie nichts anging. S i e hatten nur mit dem Fang der Fische zu thun; das Schiff in den richtigen Hafen zu bringen, war des Capitains Sache.
Mehrfach tauchten jetzt wieder einzelne Inselgruppen am Horizont auf und Alohi hatte diese stets mit peinlichster Spannung beobachtet. Ihm allerdings hatte der Capitain freigestellt das Schiff zu verlassen, oder zu bleiben, der treue Bursche aber wollte nicht von Tomo weichen. Wohin der ginge, ginge er mit, und wenn die Weißen schlecht genug wären, den noch einmal mit fortzuschleppen, sollten sie ihn auch mitnehmen.
So standen die Sachen, als Tom Burton eines Morgens vorn an der Gallerie beschäftigt war, die Stevenpumpe in Ordnung zu bringen. Aber die Arbeit ging ihm heute nicht von statten. Da drüben, leewärts, lag wieder Land, lagen die Spitzen zweier, wie es schien, ziemlich hoher Inseln, und er konnte die Augen nicht abwenden von dem theuern Boden - vielleicht dem letzten Palmengrund, den sie zu sehen bekamen, ehe sie die schwere, kalte Fahrt um Cap Horn antraten. Was es für Inseln seien, konnte er freilich nicht errathen. Er hatte den ersten Harpunier, der immer noch am freundlichsten mit ihm gewesen, darum gefragt, aber dieser wußte es selber nicht, oder wollte es nicht wissen.
„Tomo," sagte da plötzlich eine leise scheue Stimme an seiner Seite - „weißt Du, was das da drüben für Land ist?" /47/
Tom fuhr von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt nach ihm herum. „Tubuai?" rief er mit angstgepreßter und doch wild herausgestoßener Stimme. „Aber nein - nein," setzte er dann leise und kopfschüttelnd hinzu, „das sind die heimischen Berge nicht, an deren Fuß wohnt nicht -"
„Halte Dich ruhig," flüsterte Alohi, „die Anderen brauchen nicht zu wissen, daß wir über das Land sprechen."
„Und was hülfe es uns? Haben wir ein Boot, daß wir es erreichen könnten?"
„Dorthin liegt nicht Tubuai," sprach Alohi vorsichtig. „Das ist Tahiti - die große Insel, auf der die Feranis wohnen. Die andere links davon ist Morea."
„Aber woher kennst Du die Inseln?"
„Als Knabe war ich mit dem Missionskutter einst auf Tahiti; ich habe den spitzen Gipfel nicht vergessen."
„Und Tubuai? Wohinaus liegt das?"
„Gerade dorthin, wo die Sterne Abends stehen, die Ihr das Kreuz nennt - nur ein wenig mehr nach leewärts