Im Eckfenster. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
wenig zu fügen, könnt ihr euch dann schon gefallen lassen und sie ertragen.“
„Kleine Unannehmlichkeit, Mama?“
„Sie l ä ß t sich ertragen“, erwiderte die Frau Oberstleutnant. „Wenn ihr erst einmal älter werdet, tritt solcher Zwang wohl noch schärfer an euch heran.“
„Sag einmal, Mama“, fragte Henriette, „was für ein Mann war denn eigentlich der alte Mäusebrod – ein ganz schrecklicher Name! Die Tante erwähnt ihn nie, und der Vater scheint auch nicht viel von ihm wissen zu wollen.“
Die Mutter zuckte mit den Achseln. „Es mag wohl keine sehr glückliche Ehe gewesen sein“, sagte sie. „Er war sehr reich, aber auch sehr kränklich und dadurch vielleicht voller Launen, soll die Tante auch nicht besonders behandelt haben.“
„Wie alt ist die Tante, Mama?“ fragte Flora, und Henriette richtete ihre Augen ebenfalls auf die Mutter, als ob sie die Frage mit täte.
„Ach, so alt gerade noch nicht“, sagte diese, vielleicht demselben Ideengange folgend. „Und so rüstig ja dabei, dass sie noch lange leben kann! Sie muss etwa im Anfange der Sechziger sein.“
„Das ist freilich noch sehr jung“, bemerkte Flora treuherzig, und Henriette konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
„Nun, so sehr jung doch auch nicht mehr“, sagte sie. „Wir sind jünger. Aber mit der versprochenen Erbschaft, Mama, da wir jetzt doch einmal unter uns sind, liegt mir, wie es scheint, die Sache noch in weitem Felde. Erstlich können wir selbst darüber alt und grau werden, und dann – wer weiß, ob nicht auch am Ende noch etwas dahinter steckt.“
„Dahintersteckt?“ fragte die Mutter. „Wie meinst du das?“
„Ich habe neulich einmal einen Roman gelesen,“ sagte das junge Mädchen, indem sie dabei sehr nachdenklich mit dem Kopf nickte, „wo sich ein alter Herr von seinem Neffen mit dem Versprechen einer sehr großen Erbschaft bis zu seinem Tode pflegen ließ und den armen jungen Menschen bis zum Äußersten dabei quälte. Als er starb, fand man, dass er gar nichts hinterlassen hatte, denn selbst sein Silberzeug war unecht, und der große eiserne Geldschrank enthielt nichts als Likörflaschen.“
„Aber, Henriette“, sagte die Mutter vorwurfsvoll. „Du traust doch deiner eigenen Tante nicht etwas Derartiges zu?“
„Das war auch der eigene Onkel, Mama....“
„Aber ein Roman, eine erdichtete Geschichte, Kind, die nie im wirklichen Leben passiert ist.“
„Wer kann’s wissen!“ antwortete achselzuckend das junge Mädchen. „Es sollen im wirklichen Leben viel wunderlichere und merkwürdigere Dinge vorfallen, als sie nur irgendein Mensch erfinden könnte.“
„Und was sollte die Tante dabei haben? Nur dass ihr sie dann und wann einmal besucht? Denn zu uns kommt sie doch selten genug, und sie ist immer so freundlich und liebevoll gegen euch...“
„Wenn wir dort sind“, sagte Flora, „so tut sie weiter nichts, als dass sie auf die Männer schimpft und kein gutes Haar an irgendeinem von ihnen lässt. Was sie nur dabei haben mag?“
„Sie hat wohl bittere Erfahrungen in ihrem Leben gemacht“, sagte die Mutter seufzend. „Es gibt nicht lauter so gute Männer wie euer Vater ist.“
„Aber nach den Äußerungen der Tante wären es alle Ungeheuer“, sagte Flora eifrig, „die nur ein armes Mädchen hinterlistig in den Ehestand locken, um ihre Frau dann langsam zu Tode zu quälen. Papa hat dich aber nicht zu Tode gequält und der Herr Mäusebrod die Tante auch nicht; er ist tot und sie lebt noch und sieht mir auch überhaupt gar nicht so aus, als ob sie je schlecht behandelt wäre oder sich auch hätte schlecht behandeln lassen.“
„Flora!“ rief die Frau Oberstleutnant in einem halb vorwurfsvollen Ton. „Es ist deine Tante!“ Dann setzte sie ruhiger hinzu: „Ich glaube und hoffe, dass ihr beide vernünftig genug seid, einer alten Frau eine vielleicht etwas überspannte Ansicht nachzusehen. Sie meint es mit euch jedenfalls gut, und wenn ihr meinem Rat folgt, so setzt ihr die Achtung und Liebe, die ihr ihr schuldet, nie außer Augen. Wie wäre es, wenn ihr noch vor Tische einen Spaziergang zu ihr macht? Das Wetter ist freundlich, und es dauert noch wenigstens eine Stunde, ehe wir essen.“
„Ach ja, Jettchen, lass uns gehen!“ rief Flora, die eben wieder einen Blick durch das Fenster geworfen und erneut den jungen Herrn mit dem schwarzen Samtrock da unten entdeckt hatte. „Die Luft ist gar zu schön, und wir müssen uns ja doch noch etwas von dem Band holen! Es fehlen noch wenigstens sechs bis acht Ellen!“
„Nun, ich habe nichts dagegen“, erwiderte Henriette, indem sie sich von ihrem Sitz erhob. „Dann ist es wieder auf einige Tage abgemacht.“
„Pfui, schäme dich, Jettchen!“ rief die Mutter.
„Nun, ein V e r g n ü g e n kannst du es doch nicht nennen, Mama“, entgegnete die zärtliche Nichte und zog die Oberlippe etwas hoch. „Ich tue es auch wirklich nur dir und dem Papa zuliebe.“
„Dann dürfen wir aber unsere neuen Hüte nicht aufsetzen, Hetty“, sagte Flora, die Schwester noch mit ihrem Kindernamen nennend. „Oder die Tante hält uns wieder eine ellenlange Strafpredigt.“
„Na, das fehlte mir auch noch, dass ich deshalb gerade mit dem alten Deckel über die Straße ginge!“ lautete die Antwort. „Wir müssen doch anständig aussehen und nicht wie die Vogelscheuchen!“
„Die Tante sagt immer, dass die jungen Mädchen zu ihrer Zeit ganz anders gewesen wären als jetzt – ob das wohl wahr ist, Mama?“ lächelte Flora.
„Inwiefern anders, Kind?“
„Nun, nicht so putzsüchtig, wie sie es nennt, und die Moden, meint sie, wären auch nicht so verrückt gewesen – aber weißt du, Hetty, das Blatt, das wir neulich hatten, in dem die alten Modenbilder stehen – wenn ich mir die Tante in einem solchen Aufzug denke – hahahaha!“
„Anständig und seinem Stande entsprechend muss man sich immer kleiden“, sagte die Mutter mit Würde. „Die Tante geht darin jedenfalls ein wenig zu weit, aber sie meint es doch gewiss gut.“
„Da drüben steht der Alte wieder am Fenster“, sagte Henriette, die gerade vor dem zwischen den Fenstern befindlichen Spiegel ihre Toilette beendet hatte und den Blick über die Straße warf. „Wahrhaftig Mama, er hat ein Opernglas – das ist aber wirklich unausstehlich! Der spioniert ja die ganze Nachbarschaft aus! Jetzt guckt er nach dem Hause da drüben hinüber!“
„Zeigt ihm nur um Gottes Willen nicht, dass ihr auf ihn achtet!“ sagte die Mutter. „Eine kleine Unannehmlichkeit hat jede Wohnung, und diese ist sonst in jeder Hinsicht angenehm und passend für uns, dass wir eine so unbedeutende Nachbarschaft auch wohl ertragen können.“
„Also adieu, Mama!“
„Adieu Kinder – kommt mir nur nicht zu spät zum Essen.“
„Nein, gewiss nicht – aber da ist der Papa schon – guten Tag, Papa!“
„Guten Tag, Kinder, guten Tag!“ rief der Oberstleutnant, der eben in die Tür trat. „Wohin soll es denn noch gehen? Ein Spaziergang?“
„Wir wollen noch einen Besuch bei der Tante machen.“
„Das ist recht, Kinder, das ist recht“, sagte der Vater vergnügt und schien Lust zu haben, sich die Hände zu reiben, woran er jedoch durch den Helm in der einen und ein Paket Schriften in der anderen Hand verhindert wurde. „Aber“, setzte er plötzlich hinzu, „ihr werdet sie wahrscheinlich nicht zu Hause treffen, ich bin ihr vorhin begegnet.“
„Das schadet dann nichts, Papa“, lache Flora. „Sie erfährt doch jedenfalls, dass wir dagewesen sind!“. Und die beiden jungen Damen huschten die Treppe hinab.
Der Oberstleutnant war eine sehr kleine und etwas sehr korpulente Gestalt, die eigentlich gar nicht so recht in eine Uniform passte und