Herzensangelegenheit. Nicole SeidelЧитать онлайн книгу.
grauer Vorzeit, das hieß in den ersten Jahrhunderten, die sich nach eines bestimmten Mannes Geburt daherschlichen, wurde Kurgan, wie jedes andere Kind auf der Welt, zunächst geboren. Sein Vater musste ein grausamer Krieger gewesen sein, sonst wäre der junge Kurgan nicht so verdorben worden. Wer weiß es auch genau, vielleicht war auch er eines der bedauernswerten Kinder, die man - der Freude wegen - in Gruben mit hungrigen Wölfen warf, damit sie um Fleisch kämpften. Eines war aber gewiss, er musste immer gewonnen haben, sonst wäre er nie so groß und stark geworden.
Nun denn, so oder auch anders, Kurgan wuchs heran, wurde zum jungen kräftigen Mann und lernte die Kunst des Reitens und die Blutkunst des Schwertes. Und er wurde ein Meister darin.
Aber eines Tages musste sich etwas ereignet haben, das sein ganzes, langes Leben verändern würde.
Ich nehme an, es trug sich in seiner rauen Heimat Kirgistans zu. In einem seiner ersten Kämpfe, als er dort schwer verwundet wurde, starb und doch nicht starb. Ob ihm zu diesem Zeitpunkt wirklich bewusst war, dass er gestorben und wiederauferstanden war, das kann nur Kurgan selbst uns beantworten. Irgendwann musste er seine Unsterblichkeit bemerken. Sicherlich war der Grund, warum er in die Welt hinauszog, um sie kennenzulernen und seine Grausamkeit auf ihr weiter auszudehnen.
Nachdem er also feststellte, dass er ein Auserwählter war, der nicht sterben konnte, machte er sich daran, die Welt zu erobern.
Er verdiente sich als schwarz gerüsteter Söldner sein Blutgeld und seine Fertigkeit im Kampf wurde legendär. Trotz seiner fast zwei Meter Körpergröße gewann er eine ansehnliche Gewandtheit, die ihm für jeden Gegner unberechenbar machte.
Es mag vielleicht ab und an Zeitspannen von wenigen Jahren gegeben haben, wo er sich einfach in ein unbewohnteres Gebiet zurückgezogen hatte, um für sich zu üben und die Träume anderer Unsterblicher zu analysieren. Doch die meiste Zeit wanderte Kurgan kämpfend durch die Jahrhunderte.
Er musste um die Zwanzig, vielleicht etwas jünger, gewesen sein, als ihn das Schicksal der Unsterblichkeit offenbart wurde. Und es vergingen an die sechs Jahrhunderte bis er auf Elaine treffen würde.
Elaine, die ich sehr gut kenne, da sie mit mir seelenverwandt war, war auch eine Auserwählte der Unsterblichkeit, aber auf eine ganz andere Art. Während Kurgan bereits über sechshundert Jahre alt war, waren an ihr erst knappe zweihundert Jahre vorübergegangen. Sie war untot auf der Basis des übernatürlichen Bösen. Sie war ein Blutsauger, ein weiblicher Vampir.
Mein Schicksalsgedanke wollte es nun, dass diese beiden aufeinander trafen.
Da Elaine in einem heruntergekommenen alten Haus inmitten eines Waldes wohnte, lag es nur nahe, dass Kurgan auf seiner langen Wanderschaft eines späten, regnerischen Tages an das Portal ihrer Wohnstätte pochte. Eigentlich bat er nicht erst um Einlass, sondern fiel mit der Tür ins Haus.
Bei Regenwetter stand Elaine immer etwas später auf, so kam es, dass sie noch in ihrer Gruft lag, als ihre Eingangstür mit lautem Getöse auseinander brach. Sofort hob sich ihr Sargdeckel und sie sprang heraus. Verwundert lauschte sie den schweren Schritten über ihr.
Ein ungebetener Besucher!
Seit fast zwei Jahrzehnte hatte sich keiner mehr in ihr Haus verirrt. Die meisten Wanderer waren von den umliegenden Dörfern ausreichend gewarnt worden.
Hastig richtete sich die schwarzhaarige, leichenblasse Frau und verschwand, um sich dem unerwarteten Besucher vorzustellen.
Kurgan stampfte in die Halle, blickte sich kurz um und betrat die Empore, die nach oben führte. Auf halben Weg erschien dann Elaine am oberen Treppenabsatz. Ihre weiße Haut leuchtete unter dem schwarzen Kleid hervor, bizarr und phosphoreszierend. Ihr dunkler Blick ruhte auf ihm.
Kurgan war stehen geblieben. Auf dem schwarzen Rüstleder klirrten die Metallplättchen gegeneinander und das Licht der Fackel in ihrer Hand brachten sie zum Funkeln. Die beinernen Tierschädel auf seinen Schultern grinsten ihr höhnisch zu. Er war ohne Zweifel ein feindlicher Krieger, statt eines erwünschten Gastes.
Elaine erkannte dies auf einen Blick und grüßte ihn dementsprechend forsch: „Warum dringen sie unerlaubt in mein Haus ein?”
„Ihr Haus ist abrissreif. Ich dachte nicht, dass hier noch jemand wohnt”, antwortete er und ging auf Elaine zu.
Wie ein abwehrendes Schild hielt die untote Frau die Fackel gegen ihn, ließ ihn aber herankommen. Trotz seines feindlichen Auftretens war er eine schmackhafte Mahlzeit für sie - so glaubte sie zunächst.
Kurgan hatte sie erreicht und grinste auf sie herab. „Willst du mich in deinem Haus nicht willkommen heißen?” fragte er mit dunkler, stumpfer Stimme.
„Wenn du Schwert und Rüstung ablegst, dann bist du mein Gast. Ansonsten muss ich annehmen, du fürchtest eine Frau! Ich bin allein.”
Elaine war für eine Frau sehr groß gewachsen und doch ging sie ihm gerade bis zur Schulter. Ihr schlanker, fast zerbrechlich wirkender Körper schien im krassen Gegensatz zu Kurgans muskeltrotzender Statur zu stehen.
Kurgan lachte kurz und löste seinen Waffengurt.
„Folge mir Krieger, du bist vom Regen völlig durchnässt.”
Sie führte ihn in einen wohnlich gemachten Raum, im Kamin brannte ein wärmendes Feuer. Dort legte er sein Schwert, den nassen Umhang und den Harnisch auf einem langen, staubigen Tisch im hinteren bereich des Zimmers ab. Sie holte ihm währenddessen einen Krug Wein aus ihrem uralten Keller und ein Stück Brot, das sie am Vorabend im nahen Dorf gestohlen hatte.
Achtlos schlang Kurgan das Brot herunter und kostete reichlich vom Wein. Elaine hatte sich ihm gegenüber an das runde Tischchen vor dem Kamin gesetzt.
Sie ließen einander nicht aus den Augen.
Elaine erkannte sehr schnell Kurgans Gesinnung und mörderischen Charakter - seine dunklen Augen sprachen Bände. Doch ließ sie sich keinesfalls aus der Ruhe bringen, Angst kannte sie nicht.
In Kurgan mussten ähnliche Gedanken vor sich gegangen sein, er roch ihre Andersartigkeit, konnte diese aber nicht definieren. Nur vermutete er in ihr in keinster Weise eine Gefahr. Für ihn war Elaine eine attraktive Frau, die durch den unerwartet schnellen Tod ihrer Familienangehörigen vom Schicksal gezeichnet worden war. Für ihn hatte sie sicher nicht mehr alle Tassen im Schrank, wenn es stimmte, dass sie alleine in diesem heruntergekommenen staubigen Haus lebte. Alle Anzeichen sprachen zumindest dafür.
Der Wein bekam ihm gut. Nur wunderte er sich, warum sie nicht mit ihm trank und fragte danach.
„So früh am Abend trinke ich noch keinen Wein”, meinte Elaine. „Woher kommt ihr und was treibt euch in dieses Land?”
„Ich komme von weither. Ich bin auf der Wanderschaft, will die Welt kennen lernen und suche Abenteuer.”
„Bei mir wirst du kein Abenteuer finden”. sagte sie und dachte im Anschluss daran: und wenn, kann es dein letztes sein.
„Das sehe ich anders Mädchen.” Er grinste und sein Blick glitt offensichtlich an Elaines Körper entlang.
Sie war aufgestanden und hatte sich vor dem Kamin gestellt. Sie blickte ihn ebenfalls an, lächelte ebenso hintergründig und wusste, von welch einem Abenteuer er in Bezug auf sie gesprochen hatte. Doch damit war sie keinesfalls einverstanden. Sie mochte seine grobe Art nicht, die oberflächlich, unpersönlich und voll Gewalt war. Darum funkelten ihre Augen gefährlich.
Kurgan bemerkte dieses warnende Funkeln nicht, als er auf sie zuging. Er war sehr von seiner unsterblichen Kraft überzeugt.
Elaine ließ ihn an sich herankommen. Und als er seinen Arm um ihre Taille legte blieb sie immer noch ruhig und regungslos. Erst als er seine vollen Lippen auf ihre blutleeren presste, begann sie sich zu wehren. Sie bog sich unter ihm, doch er packte sie mit seiner anderen Hand an der Schulter, ihr Körperkontakt wurde noch enger. Da krallte sie sich mit ihren klauenbewachsenen Händen in seinem Gesicht fest. Ihre spitzen, scharfen Nägel drangen im sichelförmigen Halbkreis an seiner Schläfe ein und rissen seltsame, blutende