Reisen Band 2. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
ohne sich auch nur im Mindesten darum zu bekümmern, ob sie Platz hätten. Der Begriff „Platz“ /67/ umgreift überhaupt auf einer australischen Postkutsche den des Eistierens, oder selbst der Möglichkeit des Existierens, und wir fanden bald darauf zu unserem Erstaunen zehn Personen in einem Raum untergebracht, den ich früher nicht für im Stande gehalten hatte, um sechs ordentlich zu fassen und zu halten. An S i t ze n war aber auch gar nicht zu denken, unsere Beine - und fünf von den Zehn waren Frauen - staken wild durcheinander, die meinigen so fest eingeklemmt, daß ich sie auch nicht einen Zoll hätte bewegen können, wäre mein Leben damit zu retten gewesen. Es schien auch schon, als ob wir da oben nicht vor einer Stunde mit Durchcinanderschreien und Raumsuchen, wo keiner zu finden war, fertig geworden wären, als plötzlich der Kutscher unseren Bedenklichkeiten ein gewaltsames zwar, aber auch vollkommenes Ende machte.
Ein Schlag seiner Peitsche trieb die Pferde an, die Kutsche - wenn ich mich einer so groben Schmeichelei schuldig machen darf, ein solches Fuhrwerk Kutsche zu nennen - schoß vorwärts, und mit dem plötzlichen Ruck, oder ich möchte sagen der nachfolgenden „Onantität von Rucken“, wurden wir so ohne weiteres Erbarmen durcheinander geschüttelt, daß sich ein Teil der Passagiere setzte, d. h. nicht etwa in unserem civilisirten und gesellschaftlichen Sinne, sondern wie durch irgend einen chemischen Proceß, als Bodensatz formiert wurde, während die andere, leichtere Hälfte obenauf zu liegen kam. Ich saß - oder sitzen sollte hier eigentlich ein passives Verbum sein - ich wurde also gesessen.
Um die Sache noch vollkommen zu machen, fing es etwa um zehn Uhr Abends an zu regnen, und um zwölf Uhr goß es, so daß wir in der Tat jede gegründete Ursache hatten, uns elend zu befinden, und vollkommen entschuldigt gewesen wären, hätten wir unserem Unmut in Flüchen und anderen Zeichen grimmigen Zornes Luft gemacht. Aber Gott bewahre! Die Extreme berührten sich auch hier. Ich weiß mich der Zeit nicht zu erinnern, daß ich eine ganze Nacht hindurch, selbst in der angenehmsten Gesellschaft und unter den erfreulichsten Verhältnissen, mehr gelacht und mich besser amüsiert hätte, als auf diesem fliegenden Marterkasten. Obgleich fast Keiner noch das Gesicht des Andern gesehen hatte, ausgenommen beim /68/ ersten Einsteigen, wo man doch wenig auf einander achtet, noch dazu da so Viele unterwegs ausstiegen, und man nicht einmal wissen konnte wer eigentlich sitzen geblieben war, und später vielleicht die wenigen Secunden beim Abendessen, lachten und schwatzten wir doch Alle so gemütlich mit einander, als ob wir schon die längsten Reisen mitsammen gemacht hätten, und Anekdoten und Geschichten wurden erzählt, und Lieder gesungen die ganze Nacht hindurch. Wir mußten dabei einen steilen Berg übersteigen, den sogenannten razor-back (Rasiermesserrücken). Es regnete zugleich wie aus kleinen Eimern, die Pferde konnten den Wagen kaum leer hinaufschleppen, die armen Frauen kaum ihr eigenes Selbst hinaufbringen, und ich trug außer meiner Büchsflinte, die ich nicht aus den Händen ließ, noch kleine Kinder den Razorback hinauf und wieder hinunter - auch eine sehr schöne Beschäftigung für einen reisenden Literaten - aber nichts vermochte unsere gute Laune zu stören, und der Kutscher schüttelte nur immer verwundert den Kopf und meinte, solch' wunderliches Volk sei ihm in seiner ganzen Praxis noch nicht vorgekommen, und er hätte doch noch stärkere Ladungen bei noch scheußlicherem Wetter hier herauf und hinunter gefahren.
Naß wie die Katzen und über und über voll Schlamm stiegen wir wieder ein, unsere gute Laune blieb aber immer dieselbe, und nur gegen Morgen, als es zu regnen aufhörte und der kalte, fröstelnde Morgenwind über die Bergkuppen strich, wurden die Gespräche zuerst einsilbiger, das Lachen kürzer und einzelner. Hier und da fing Einer oder der Andere an zu nicken, und knöpfte sich fester in seinen Rock ein, wenn er durch das Schaukeln des Wagens, der ihm nicht die geringste Rücklehne bot, emporgeschnellt wurde, und nun vor Kälte zitternd fand, daß er - nicht etwa in seinem Bette, was er vielleicht eben in flüchtigen Umrissen geträumt, sondern an Bord einer australischen königlichen Postkutsche sei.
Als der Morgen endlich dämmernd anbrach, wünschte ich mir zeichnen zu können, denn eine solche Gruppe betrübter Gestalten habe ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen; wir mußten in der Tat Alle laut auflachen, als wir einander /69/ ansichtig wurden. Das komischste Bild war ein mir gegenübersitzender Kollege, ein Mr. Johnson, der Herausgeber des Goulbourne Herald, der nach Sidney eine kleine Vergnügungstour im schönsten Wetter gemacht hatte, und jetzt im kalten Regen, nur mit einem dünnen Sommerröckchen bekleidet, fröstelnd, die zusammengefalteten Hände zwischen die Knie geklemmt, den fadennassen Seidenhut tief in die Stirn gedrückt, dasaß und - ein Bild des Leidens und der Resignation - seinen Rockkragen zu einer doppelten Wasserrinne dienen ließ, indem er rechts das jetzt wieder niederträufelnde Regenwasser von einem hellblauen baumwollenen Regenschirm und links von einem grünen Sonnenschirm geduldig auffing, und aus sein Vorhemdchen nicht allein weiter beförderte, sondern diesem auch die entsprechende hellblaue und grüne Farbe getreu und unparteiisch mitgeteilt hatte.
Auf einer der Zwischenstationen, deren Namen ich vergessen habe, ließen wir einen Teil der Passagiere und bekamen nun hinreichenden Raum; in Goulbourne setzten wir auch den Editor des Goulbourne Herald, der sich heilig verschwor, unsere Reise auf das Genaueste zu beschreiben, an seiner eigenen Tür ab, wo der gute, etwas feuchte Mann von Frau, Kindern und Hunden aus das Herzlichste empfangen wurde, und dort bekamen wir auch zum ersten Mal, seit wir Sidney verlassen hatten, drei Stunden Rast, wurden aber um zwei Uhr schon wieder herausgeholt, und galoppierten nun in stockfinsterer Nacht bei wahrhaft schauderhaften Wegen unserem leider noch so fernen Ziel entgegen.
Etwas interessant wurde die Fahrt übrigens noch durch das Gerücht von „Buschrähndschern", die sich in neuerer Zeit wieder auf der Straße gezeigt und die Post schon mehrere mal angefallen hatten. Ich hielt meine Büchse auch deshalb fortwährend geladen: gerade hier hinter Goulbourne sollte die gefährlichste Stelle sein. An Passagieren waren wir noch ein Mann in einer blauen Blouse - einem sogenannten Buschhemd - und eine der Damen, „die letzte Rose" und wahrscheinlich meine Schutzbefohlene, eine Frau, vielleicht achtundzwanzig bis dreißig Jahre alt, ebenfalls mit einem kleinen Kind, o h n e welches ich bis jetzt hier sehr wenig /70/ Frauen gesehen hatte. Die arme Frau wollte übrigens noch bis Gundcgay, und mußte von Wind und Wetter nicht wenig aushalten, ja ich weiß in der Tat nicht, wie es das Kind wenigstens in dem Unwetter, Tag und Nacht auf dem offenen Kasten, ausgehalten haben könnte, hätte ich nicht glücklicher Weise meine wollenen Decken für die Landreise mitgeführt, die das Schlimmste wenigstens von Mutter und Kind abhielten.
Vier bis fünf Meilen mochten wir so etwa im Dunkeln gemacht haben, und unser Weg lag durch einen dichten Gumwald - der Leser darf sich auch nicht etwa denken, daß wir eine ordentlich gebahnte Poststraße unter uns gehabt hätten; nein, wie es der bergige Boden und die ziemlich dicht stehenden Bäume gestatteten, hatten sich die Wagen mit der Zeit ihre Bahn gesucht, denen waren andere gefolgt, und so bildeten sich nach und nach Poststraßen, auf denen man allerdings vollkommen sicher und nur der Gefahr ausgesetzt war, entweder von Buschrähndschern angefallen und totgeschossen zu werden, oder - das Wahrscheinlichere - bei dem tollen Fahren der Kutscher den Hals oder sonst einige notwendige Gliedmaßen zu brechen. Ich hatte schon mehrere mal vergeblich versucht, dem unsichern Sitz mit einer kaum vier Zoll hohen Rücklehne ein paar Minuten Schlaf abzustehlen, die Gefahr war aber zu groß, herunter und zwischen die Räder zu stürzen, und ich suchte mich zuletzt mit Gewalt munter zu erhalten, als plötzlich die Frau, die sich schon die ganze Zeit ängstlich umgesehen hatte, meinen Arm faßte und mir zuflüsterte, sie hätte eine Gestalt eine kurze Strecke hinter uns über die Straße gleiten sehen. Kurzes Aufpassen überzeugte mich bald, daß ein Reiter, jetzt links von uns, nicht mehr auf der Straße, sondern durch den Wald galoppierte und allem Anschein nach uns vorzukommen schien; er hielt sich jedoch mehr links und ein kleines Gebüsch verbarg ihn bald unseren Augen. Der Kutscher, dem ich das Gesehene mitteilte, stieß einen leisen Fluch aus und meinte, die verwünschten Kerle hätten schon neulich seinen Kameraden angefallen und, als ihnen dieser mit den Postpferden zu schnell gewesen sei, ein Pistol auf's Geratewohl dem Wagen nachgefeuert, ohne jedoch irgend Jemand zu verletzen. /71/ Natürlich hatte ich indessen meinen Poncho vom rechten Arm zurückgeworfen und die Büchse, zum Gebrauch fertig, auf's Knie genommen, glücklicher Weise sollte ich aber keinen Gebrauch davon machen; hatten die Burschen vielleicht in Goulbourne erfahren, daß wir bewaffnet waren, oder hatten wir dem nächtlichen, vielleicht höchst moralischen Reiter überhaupt Unrecht getan, ihn für einen Räuber zu halten - genug, wir bekamen nichts weiter von ihm zu sehen, und nur einmal glaubten wir rasche Hufschläge