Hüben und Drüben. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
nicht leiden mochten, gaben ihm Recht oder sahen wenigstens keinen Grund, weshalb man dem Manne verwehren sollte, auf der Straße zu singen oder sein Bild zu zeigen - verlangte er doch nicht einmal etwas dafür, und der Schulze mußte sich, ob er wollte oder nicht, der Majorität fügen.
So verging ein volles Jahr, und Valerie hatte jetzt zum ersten Mal, wenn auch nur geringen Lohn für ihre Arbeit bekommen. Was sie aber konnte, - denn sie hielt jetzt etwas auf wenigstens reinliche und unzerrissene Kleidung -, sparte sie zusammen, bis sie dem Bänkelsänger ihre Schuld abtragen konnte, und wenn es dieser auch nicht nehmen wollte, weil er behauptete, daß er es doch vertränke, ließ sie nicht nach, bis sie die Schuld von ihrem Herzen wußte.
Die Verhältnisse im Hause des Schulzen wurden aber mit jedem Tag schlimmer; der Mann war selber in Schulden gerathen und dadurch mürrisch und verdrießlich, die Frau natürlich nicht besserer Laune, und wer das Alles entgelten mußte, war niemand Anderes als die unglückliche Waise.
Valerie zeigte aber, daß sie nicht mehr das arme unterdrückte und widerstandslos mißhandelte Kind von früher sei. Eines Sonntags, als sie wieder auf den Nachmittag frei bekam, ging sie nicht auf den Kirchhof, sondern in die nächste Stadt, und suchte und fand dort einen andern Dienst bei einer Herrschaft, die sie jedenfalls von der Tyrannei der Schulzenfrau befreite. Diese war aber außer sich, als das junge Mädchen nach Hause kam und ihr für den Ersten nächsten Monats die Stelle aufkündigte. Die „Frechheit" und „Undankbarkeit", wie sie es nannte, war zu bodenlos, und Valerie hatte, da sie nichts dagegen ausrichten konnte, von dem Tag an die Hölle auf Erden.
Sie ertrug Alles still, sie murrte, sie klagte nicht und nie kam eine Thräne in ihre Augen - das Kind hatte verlernt zu weinen. Nur bleicher und abgehärmter wurde sie mit jedem Tag, so daß es selbst dem alten rauhen Brenner auffallen mußte, und dieser sich soweit vergaß, dem Schulzen in das eigene Haus zu rücken, um ihm Grobheiten zu machen. /36/ Das war freilich gefehlt. Dieser rief einfach seine Knechte und ließ ihn aus der Thür werfen, und der alte Bänkelsänger lief nach Haus und wurde vor Aerger krank.
Er legte sich wenigstens in sein Bett, ließ den Bader kommen und erklärte ihm, daß er ein Gallenfieber hätte und Medicin verlange.
Der Bader konnte allerdings nichts Derartiges an ihm entdecken, war aber doch seiner Sache nicht gewiß und gab ihm eine Medicin, die den Alten so krank machte, daß er behauptete, es wäre sein Letztes, und sie sollten ihm den Tischler schicken, daß der das Maß zu seinem Sarge nähme.
Zwei Tage darauf zog Valerie von dem Haus des Schulzen ab, und der letzte Abend war der schlimmste von allen, denn des Schulzen Frau behauptete, Valerie habe ihr eine silberne Schnalle gestohlen, die sie nirgends finden konnte und die das junge Mädchen absolut versteckt haben sollte. Diese leugnete allerdings, auch nur das Geringste davon zu wissen, aber das half nichts; alle ihre Sachen wurden untersucht, und die Frau schlug sie so unbarmherzig, daß sie die blutigen Spuren an Gesicht und Nacken davontrug.
Das aber war zu viel für das arme Kind - nicht eine Stunde wollte sie länger in diesem Hause bleiben, und trotz des schon vorgerückten Nachmittags schnürte sie ihr kleines, auseinander gerissenes Bündel wieder zusammen und verließ, ohne Abschied von den Bewohnern zu nehmen, den Schulzenhof.
Vorher mußte sie freilich noch von der Mutter Grab und ihren Bekannten Abschied nehmen. Sie ging auch zu ihrer alten Freundin, der Nachbarin, vor und dann zu dem Bänkelsänger, der hart und fest auf seinem Bett lag; aber er hatte eine Lampe neben sich stehen und las in einem Buch, und als er das geronnene Blut in dem Gesicht des Mädchens bemerkte, und Valerie ihm diesmal die Ursache nicht verschweigen konnte, wollte er wie rasend in seinem Bett auffahren. Aber die alte Schulmeisters-Wittwe kam gerade herein, um ihm seine Suppe zu bringen, und wieder auf sein Kissen zurückfallend, sagte er:
„Oh Du heiliges Kreuzdonnerwetter, daß ich jetzt auch /37/ gerade an allen Knochen lahm auf der Pritsche liegen muß! - Wenn ich nur einen Fuß regen könnte, Falleri, so lief' ich noch heute Nacht selber in die Stadt und verklagte die Bande. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und daß sie Dir noch Schmerzensgeld für die Schläge bezahlen sollen, Falleri, darauf kannst Du Dich verlassen."
„Lassen Sie es gut sein, Herr Brenner," sagte das Kind, „es ist jetzt überstanden und die Leute haben ihr Schlimmstes gethan. - Ich gehe nun in die weite Welt, und Gott wird mich schützen."
„Bah," sagte der Alte verächtlich, „wer sich hier nicht selber schützt, kommt unter den Schlitten, so viel ist sicher. - Und Du willst jetzt fort, Falleri?"
„Ja, es wird schon spät," nickte das junge Mädchen, „und ich weiß sonst nicht wohin, wenn mich die Leute nicht mehr aufnehmen. Leben Sie wohl, Herr Brenner; ich komme gewiß wieder einmal nach Osterhagen, um meine selige Mutter - und Sie zu besuchen."
Damit reichte sie ihm die Hand und wanderte durch das Dorf wieder zurück den Weg nach der Stadt zu, in die stille Nacht hinein - aber sie kam doch zu spät. Als sie etwa um neun Uhr die ziemlich ferne Stadt erreichte und das Haus ihrer neuen Herrschaft betrat, weigerte sich diese, sie aufzunehmen, denn des Schulzen Frau hatte in derselben Viertelstunde, in der Valerie ihr Haus verlassen, einen Knecht mit einem Pferd nach der Stadt gesandt, der den Leuten erzählen mußte, weshalb sie ihr früheres Mädchen noch in dunkler Nacht „aus dem Dienst gejagt", und sie erklärten, daß sie keine Diebin in ihrer Familie haben möchten.
Valerie erwiderte kein Wort - still und schweigend kehrte sie sich ab, ging wieder vor die Stadt, suchte sich einen Platz hinter einer Hecke, rückte sich ihr Bündel unter den Kopf, kauerte sich in der frischen Nacht so viel als möglich zusammen, und war bald auf ihrem harten Lager sanft eingeschlafen. -
Aber sie schlief nicht lange. Eine Stunde mochte etwa vergangen sein, da rasselten schwere Wagen auf der dicht vorüberführenden Chaussee vorbei, und erstaunt richtete sie /38/ sich auf, denn sie hörte eine Menge von Menschenstimmen. Wie sie sich aber umsah, erkannte sie auch am Himmel einen hellen Feuerschein, der etwa in der Richtung nach Osterhagen am Horizont lag. War dort Feuer ausgebrochen? Lieber Gott, die armen Menschen! aber sie konnte ihnen doch nicht helfen - sie war selber hülflos genug, und auf ihr Kopfkissen zurücksinkend, schlief sie bald wieder sanft und süß.
3.
Feuer! Feuer!
Valerie hatte das Gemeinde-Haus etwa eine halbe Stunde verlassen, als die alte Frau Kunzen zu dem kranken Bänkelsänger hineintrat, um das Geschirr wieder abzuholen. Dieser lag auf seiner Matratze und stöhnte erbärmlich, und als ihn die Frau frug, wo's ihm fehle, sagte er: „Ueberall, überall, Kunzen, in allen Gliedern reißt's und zwickt's mich, und ich bin so matt, daß ich kaum den Löffel zum Mund bringen kann. Wenn ich nur erst einschlafe, nachher wird's vielleicht besser - stört mich nur jetzt nicht wieder, daß ich zur Ruhe komme."
„Nun, ich störe Euch gewiß nicht," brummte die Alte, ,,ich will selber froh sein, wenn ich Frieden habe,“ und die Thüre hinter sich zuwerfend und ohne es für nöthig zu halten, „gute Nacht" zu sagen, verließ sie die Kammer, stellte das schmutzige Geschirr in die Küche und ging dann ohne Weiteres selbst zu Bett.
Im Dorfe lag die Nacht auf den stillen Straßen; das Wetter war noch ziemlich warm, und vor einigen Thüren fanden noch plaudernde Gruppen; als aber die Sichel hinter die nächsten Hügel sank, traten jene auch in die erleuchteten Stuben. Der alte taube Nachtwächter schlich nur mürrisch den Hauptweg von Osterhagen hinab, tutete und rief seine /39/ Stunde, und drückte sich dann auf eine Holzbank, die unter der Linde vor dem Wirthshaus stand, um von da aus, wie er meinte, das Dorf im Auge zu behalten. Er hatte aber weit mehr Schlaf in den Augen als das Dorf, und wußte nicht einmal recht genau, wie lange er dort gesessen haben mochte, als ihm plötzlich eine Stimme in die Ohren schrie: „Feuer!" daß er erschreckt von seiner Bank emporfuhr.
„Herr Jeses, wo denn?" frug er unwillkürlich.
„Seht Ihr's denn nicht, Ihr alte Schlafmütze!" schrie der junge Bursche wieder, der es zuerst entdeckt und den Platz genau kannte, wo er den Nachtwächter antreffen würde; - „jetzt macht Lärm, ehe es zu spät wird," und selber die Straße hinablaufend, stieß er den gellenden Schreckensruf in die stille Nacht hinein: „Feuer! Feuer!"
Da wurde