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Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.

Nach Amerika! Bd. 1 - Gerstäcker Friedrich


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zu Füßen mit einer Hand voll Steinchen auf dem über die Diele gestreuten Sand Schäfer und Schafe spielte.

       Außerdem war noch eine vierte Person im Zimmer, die alte Mutter der Frau, eine Greisin von nahe an siebzig Jahren, die auch noch ihr Spinnrad drehte, sich aber mit demselben hinter den noch warmen Ofen gesetzt hatte, weil ihr das heutige naßkalte, unfreundliche Wetter fröstelnd durch die alten Glieder zog. Es war eine gutmütige, aber mürrische alte Frau, selten zufrieden mit dem, was sich ihr gerade bot, unermüdlich darin, sich und ihren Kindern die Last vorzuwerfen, die sie ihnen mache, und den lieben Gott täglich zu bitten, daß er sie doch bald zu sich nähme. Nur eine kleine, ganz kurze Frist erbat sie sich immer noch – dann wollte sie gern sterben. Erst, wie das Älteste geboren war, wollte sie das noch gern laufen sehen, dann hätte sie gern erlebt, wie es zum erstenmal in die Schule ging, dann war es Frühjahr geworden und sie hoffte nur noch einmal neue Kartoffeln zu essen, zu Jakobi aber wollte sie noch einmal von dem Pflaumenbaum die Früchte kosten, den ihr ,Seeliger’ noch gepflanzt. Wie der Herbst kam, wünschte sie im Frühjahr begraben zu werden, und die knospenden Maiblumen weckten den Wunsch nach den Astern, ihrer Lieblingsblume, von denen sie sich eigenhändig ein schmales Beet in dem kleinen Garten dicht am Hause gepflanzt. So lebt und webt die Hoffnung in unseren Herzen mit immer neuer, nie sterbender Kraft, und je älter wir werden, desto mehr lernen wir die schöne Erde lieb gewinnen, desto mehr klammern wir uns an sie und wollen uns gar nicht mehr von ihr trennen.

       Der Tag neigte sich dem Abend zu, der Mann war in die Stadt gegangen, um seine Steuern zu bezahlen und manches einzukaufen, was sie notwendig im Hause brauchten. Zum Ersatz dafür hatte er das zweite Schwein, das sie bis dahin gehalten, hineingetrieben, und der Erlös sollte seine Ausgaben bestreiten.

       Der Regen wurde jetzt wieder heftiger, die großen schweren Tropfen schlugen gegen das Fenster, und das Kind wurde vollständig munter und fing an zu schreien. Die Mutter schob ihr Spinnrad zurück, nahm das Kleine aus der Wiege, und ging damit trällernd im Zimmer auf und ab. Die Alte spann indes ruhig weiter und versuchte mit zitternder, leiser Stimme ein geistliches Lied zu singen, und mit dem Rad trat sie den Takt dazu. Sonst sprach keine ein Wort.

       Endlich wurde die Haustür geöffnet, jemand kam von draußen herein und strich sich die Füße auf den Steinen und der Strohdecke ab, und sie hörten gleich darauf, wie der zurückkehrende Vater und Gatte seinen großen, rotblauwollenen Schirm auf die Steine stieß, um das Wasser soviel wie möglich davon abzuschütteln, und den Mantel auszog und über den großen Schleifstein hing, der draußen im Flur stand – wie er das gewöhnlich tat. Die Frau öffnete rasch die Tür, um den Mann zu begrüßen, der den Hut abnahm, sich die nassen Haare aus der Stirn strich und das Kind küßte, das sie ihm entgegenhielt.

       «Jesus, ist das ein Wetter, Gottlieb!» sagte sie dabei, als sie ihm den Hut aus der Hand nahm und neben den Ofen an den Nagel hing. «Komm nur herein, daß Du ‘was Trockenes auf den Leib bekommst. Wo hast Du denn den Jungen? – Ist er nicht bei Dir?» setzte sie, fast ängstlich, hinzu.

       «Er ist draußen bei Lehmanns hineingegangen, denen wir ein paar Sachen aus der Stadt mitgebracht», sagte der Mann, «wird wohl gleich kommen – wie geht’s, Frau? – Wie geht’s, Mutter? – Ha, das regnet einmal heute, was vom Himmel herunter will, was nur daraus werden soll, wenn das Wetter so fortbleibt. Ein paar gute trockene Tage haben wir gehabt, und jetzt wieder Guß auf Guß – Guß auf Guß, als ob sie uns unsere paar Stücken Feld noch hinunter in die Wiesen waschen wollten. Von dem einen Acker ist die Saat schon halb fortgespült – wenn diesmal das Korn mißrät, weiß ich nicht, wo der arme Mann das Brot hernehmen soll.»

       «Klag’ nicht, Gottlieb», sagte aber die Frau freundlich, «es geht noch vielen schlechter wie uns, und was sollen da die g a n z armen Leute sagen? Lieber Gott, es ist viel Not in der Welt, und wer heutzutage eben sein Auskommen und ein Dach über dem Kopf hat und gesund ist, sollte sich nicht versündigen.»

       Sie hatte dabei das Kind auf die Erde gesetzt, holte den Topf aus der Röhre, in der, trotz der vorgerückten Jahreszeit, noch ein Feuer brannte, der alten fröstelnden Mutter wegen, und groß den darin heiß gehaltenen Kaffee – sie nannten das braune Getränk von gebrannten gelben Rüben und Gerste wenigstens so – in die eine braune Kanne, damit sich der Mann, der den ganzen Tag draußen im Regen herumgezogen war, daran erquicken könne. Zugleich deckte sie ein weißes Tuch über den Tisch, auf den sie noch Butter und Brot stellte, um die versäumte Mittagsmahlzeit wenigstens in etwas nachzuholen.

       Der Mann setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, in den ihm die Frau die Milch goß, und schnitt sich ein großes Stück Brot ab, das er mit Butter bestrich und verzehrte. Er sprach kein Wort dabei und beendete still seine Mahlzeit, schob dann die Tasse und den Butterteller zurück, nahm das Kleinste, das die Mutter zu ihm auf die Erde gesetzt hatte, herauf auf sein linkes Knie, blieb, den rechten Ellbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf gegen die Wand gelehnt, regungslos sitzen, und schaute still und schweigend nach dem Fenster hinüber, an das die Regentropfen immer noch, vom Wind draußen gepeitscht, hohl und heftig anschlugen.

       Die Frau hatte ihn eine ganze Zeit lang mit scheuem Blick betrachtet, es war irgendetwas vorgefallen, aber sie wagte nicht zu fragen, denn Gottlieb, so seelensgut er auch sonst sein möchte, hatte doch auch seine ,verdrießlichen Stunden’, und war dann, wenn gestört, oft rauh und unfreundlich; aber eine eigene Angst überkam sie plötzlich. Ihr ältester Sohn – der Hans – war nicht mit nach Hause gekommen, konnte dem – heiliger Gott, wie ein Stich traf es sie ins Herz – und sie sprang erschreckt von ihrem Stuhl auf und auf den Mann zu.

       «Gottlieb – um aller Heiligen willen, wo ist der Hans? – Es ist – es ist ihm doch nicht etwa ein Unglück geschehen?»

       «Der Hans?» sagte der Mann aber ruhig und sah erstaunt zu ihr auf. «Was fällt Dir denn ein? Was soll denn dem Hans zugestoßen sein? Ich habe Dir ja gesagt, daß er bei Lehmanns etwas abzugeben hat und dort wahrscheinlich das Wetter abwarten wird.»

       «Ich weiß nicht», sagte die Frau, der dadurch allerdings eine Zentnerlast von der Seele gewälzt wurde, «aber Du bist so sonderbar heut Abend, so still und ernst, und da schlug’s mir wie ein Schreck in die Glieder über den Hans. Ist etwas vorgefallen, Gottlieb?»

       Gottlieb schüttelte langsam den Kopf und sagte:

       «Nicht daß ich wüßte – nichts Besonderes wenigstens, oder nichts anderes, als was jetzt alle Tage vorfällt – Geld zahlen!»

       «War es denn so viel?» sagte die Frau leise und schüchtern.

       Der Mann schwieg einen Augenblick und sah still vor sich nieder; endlich erwiderte er seufzend:

       «Das Schwein ist drauf gegangen, und vier Taler siebzehn Groschen sind immer noch mit Gerichtskosten und der alten Prozessgeschichte mit der Brückenplanke, mit der ich eigentlich gar nichts mehr zu tun hatte, stehen geblieben. Ich muß sie bis zum 1. Juli nachzahlen, unter Androhung von Pfändung.»

       «Nun, lieber Gott», sagte die Frau tröstend, «wenn das das Schlimmste ist, läßt sich’s noch ertragen; da verkaufen wir eben das andere Schwein und behelfen uns so. Wie wenig Leute im Dorf haben überhaupt eins zu schlachten und leben doch; warum sollen wir nicht ebenso gut ohne eins leben können als die.»

       «Ja,» sagte der Mann, leise und still vor sich hinbrütend, «verkaufen und immer nur verkaufen, ein Stück nach dem anderen, und während woanders die Leute mit jedem Jahr ihr kleines Besitztum vergrößern und für ihre Kinder etwas zurücklegen können, sieht man es hier mehr und mehr zusammenschmelzen, unter Müh’ und Plack das ganze Jahr lang.»

       «Aber kannst Du’s ändern?» sagte die Frau leise und fuhr, wie der Mann schwieg und, mit der Faust die Stirn stützend, vor sich niederstarrte, schüchtern fort : «Arbeitest Du nicht von früh bis spät fleißig und unverdrossen? Gönnst Du Dir eine Zeit der Ruhe, wo Dich irgendeine nötige Beschäftigung ruft, und haben wir uns etwa das Geringste vorzuwerfen?»

       «Nein», sagte der Mann, während er die Hand auf den Tisch sinken ließ und die Frau voll und fest ansah, «nein, aber das ist es ja eben, was mir am Leben frißt. Wir k ö n n e n nicht m e h r arbeiten, nicht m e h r verdienen, wie wir jetzt tun, und jetzt sind wir


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