Seefahrt 1956-58 – Asienreisen vor dem Mast – Nautischer Wachoffizier. Klaus PerschkeЧитать онлайн книгу.
viele Spuren in diesem Lande hinterlassen. Es gibt immer noch Reste der einst im wilhelminischen Stil erbauten Stadt. Und es gibt heute immer noch die ehemalige Germania-Brauerei. Und sie produziert immer noch das weltbekannte Tsingtao-Bier. Also Prost auf das gute Tsingtao-Bier! Und das sollten Sie mal probieren!
Und diesen Hafen steuerten wir im März 1956 an. Die Temperatur war unter minus 20°Celsius gefallen, als das Lotsenboot mit dem Hafenlotsen uns draußen vor dem Hafen in Empfang nahm. Der Hafenlotse hatte den militärischen Rang eines höheren Marineoffiziers der Volksrepublik China. Er war dick verpackt in einem schwarzen Wattemantel, wattierten Hosen und dicken Pelzstiefeln, als er die Lotsenleiter an Bord empor kletterte. Auf dem Kopf die obligatorische mandschurische Pelzmütze mit dem goldenen Stern auf rotem Untergrund. Der Mann konnte nicht frieren. Vor seiner Brust trug er ein echtes Zeiss-Jena-Fernglas. Die gesamte Volksmarine war mit in der DDR produzierten Zeiss-Jena-Ferngläsern ausgestattet. Auf der BAYERNSTEIN gab es kein einziges Zeiss-Fernglas auf der Brücke. Ich glaube, unsere Ferngläser waren alle „made in Japan“. Aber das ist nur eine Vermutung. Tja, und dann brachte er uns an die Hafenmole I. Zwei alte Dampfschlepper, gebaut auf der Schichau-Werft in Königsberg, also schon vor dem 1. Weltkrieg, drückten uns an die Mole. Wir hatten nur gestaunt, als wir die beiden Schlepper von der Back aus ankommen sahen. Und noch mehr staunten wir, als wir ein großes mit Grünspan überzogenes Messingschild an der Mole entdeckten, auf dem „Kaiser-Wilhelm-II-Gedächtnispier“ stand. Warum das noch nicht von den Rotchinesen abmontiert war, fragten wir uns. Nein, offenbar hatten die Kaiser-Deutschen von damals noch 1956 einen hohen Stellenwert, also für das, was sie in Tsingtau auf die Beine gestellt hatten. Vermutete ich damals jedenfalls.
Die Hafenbucht von Tsingtao mit der berühmten Hafenmole im Jahre 2008. Links im Foto am Ende der Mole wurde 1956 die BAYERNSTEIN vom Hafenlotsen angelegt und vertäut. Die Hafenarbeiter mussten die für Europa bestimmte Ladung (Ballen) auf zweirädrigen Handkarren aus den Lagerschuppen am Ufer bis längsseits der Bordwand herankarren. Natürlich durfte keiner von uns zu Maos Sturm- und Drangzeiten an Land gehen. Alles war streng bewacht durch die Angehörigen der Volksbefreiungsarmee, die sogar an Bord vor jedem Eingang der Besatzungsunterkünfte Posten bezogen hatten.
Irgendwie beneideten wir alle chinesischen Hafenarbeiter, die, in dicken Steppwatteanzügen, mit Pelzmützen auf dem Kopf und Filzstiefeln an den Füßen ausgestattet, unsere Ladung auf zweirädrigen Schottschekarren aus den Lagerschuppen bis zum Schiff herankarrten. Wir beneideten sie natürlich nur um ihre warmen Klamotten, die wir bei dieser Kälte auch gerne angehabt hätten, natürlich nicht um ihre harte Maloche, die sie wie in einem Straflager ableisten mussten. Die gesamte Ladung wurde per Menschenkraft herangekarrt, die reinste Kuliarbeit. Ich erinnere mich, wir luden damals eine Partie Erdnüsse und eine Partie Frauenhaare in gepressten Ballen, die in zwei Zwischendecks verstaut wurden. Ich hatte keine Ahnung, dass auch Frauenhaare aus China exportiert wurden. Angeblich wurden in den 1950er Jahren chinesische Frauenhaare bei der Herstellung von meteorologischen Messinstrumenten verwendet. Ich weiß heute nicht mehr, wer mir das ins Ohr geflüstert hat. Von uns war, außer dem Schiffsarzt, keiner an Land gewesen, nicht einmal die Angehörigen unserer Wäschereitruppe. Unser Obermax und seine Leute fühlten sich nur an Bord wohler und in Sicherheit. Offenbar wurden sie von den Angehörigen der Küstenschutzeinheit besonders observiert, denn zwei Wachposten mit umgehängten Kalaschnikows beobachteten sie den ganzen Tag bei ihrer Arbeit. Auch nachts waren die Wachsoldaten auf dem Achterdeck, denn unsere Chinesen schliefen in der Wäscherei. Unsere Wäschereitruppe legte aber auch keinen gesteigerten Wert, mit den Soldaten zu einem freundlichen Gedankenaustausch zu kommen. Möglich, dass auch den Soldaten die Unterhaltung mit ihren Landsleuten aus Übersee verboten war. Am nächsten Tag liefen wir wieder aus in Richtung Shanghai. Wir waren froh, als wir diesen Eiskeller verlassen konnten.
Fortsetzung der Reise entlang der chinesischen Küste
Von Tsingtau bis Shanghai betrug die Distanz 399 Seemeilen. Bei einer Marschfahrt von 17 kn benötigten wir einen Tag Seereise bei diesem Wetter, wie wir es im Gelben Meer vorfanden. Es war unangenehm kalt. Doch der kalte Wind kam von achtern, und das war schon erträglich. Die Region um die Millionenstadt Shanghai liegt am Delta des Yangtse-Flusses, nach chinesischer Art Chang Jiang geschrieben. Das Delta hat eine gewaltige Breite, mindestens wie die Elbe auf der Höhe von Cuxhavens Alter Liebe, bestimmt noch breiter, denn draußen vor der Mündung, als der Lotse an Bord kam, konnte man das andere Ufer nicht erkennen. Da das Gelbe Meer auch dem Gezeitenwechsel unterliegt, gibt es im Mündungsbereich viele vorgelagerte Wattflächen, die bei Hochwasser überflutet werden, bei Niedrigwasser zum Teil trockenfallen. Das Fahrwasser war gut ausgetonnt. Auch der Shanghaier Seelotse kam dick eingemummt in einen Wattemantel. Auch er trug das obligatorische Zeiss-Jena-Fernglas vorn auf der Brust. Offenbar kannte er Kapitän Schott von den vorhergegangenen Reisen. Jedenfalls begrüßten sie sich recht kollegial und freundlich oben auf der Brücke. Und dann ging es die letzten Meilen flussaufwärts bis mitten in die Stadt, wo wir auf der gegenüberliegenden Seite vom Interclub – ein ehemaliges Gebäude einer bekannten europäischen Bank – am Kai festmachten. Wie in Tsingtau kam auch hier eine Delegation von Einklarierungsbeamten nebst der volkseigenen Schiffsagentur an Bord. Erst kam die Kontrolle der Mannschaftsliste, danach mussten alle Mann zur Gesichtskontrolle antreten. Zwischendurch war eine Mannschaft der Küstenschutztruppe in Kompaniestärke an Bord gekommen und hatte alle offenen Türen und Niedergänge zu den Mannschaftsräumen besetzt und kontrolliert. Zusätzlich erfolgte eine Kammerkontrolle, die auch die persönlichen Effekten unter die Lupe nahm. Leute mit Leidenschaft für Pornolektüre waren ihre Sammlung sofort los. Erst, als alles durchleuchtet war, konnten die Hafenarbeiter an Bord kommen und der Ladungsoffizier mit dem Schiffsvormann seine Beladungsstrategie besprechen. Hier in Shanghai arbeitete der gesamte Hafenbetrieb wieder in zwei Schichten. Es gab eine Früh- und eine Spätschicht. Und zur Unterstützung des Ladungsoffiziers waren etliche von uns als Deckswache für die jeweilige Schicht eingeteilt worden. Die Zusammenarbeit mit den chinesischen Vorleuten war gut. Wenn sie Pause hatten, kamen sie sogar zu uns in die Mannschaftsmesse zum Aufwärmen und Kaffeetrinken.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir ab Tsingtau bereits auf der Heimreise waren. Und so nahmen wir in Shanghai praktisch nur Ladung für Europa an Bord. Ich kann mich aber nicht mehr daran erinnern, welche Art von Ladung wir bekamen. Nach der zweitägigen Hafenliegezeit wurde die BAYERNSTEIN wieder seeklar gemacht, heißt: Luken geschlossen, Bäume niedergelegt und in den Baumhalterungen gelascht. Es kam wieder die Ausklarierungsbehörde mit der Passkontrolle an Bord, alle Besatzungsmitglieder mussten vor der Kommission zur Gesichtskontrolle antreten. Die Unterkünfte wurden dieses Mal nicht kontrolliert. Es dauerte nicht lange, bis der Seelotse eintraf. „Klar vorn und achtern, Vorschlepper an Steuerbord-Seite fest, alle Leinen los!“. Und schon taute uns der Schlepper vom Kai ab und drehte uns im Strom mit dem Steven in Richtung Mündung des Yangtse-Flusses. Nach knapp 40 Minuten Revierfahrt erreichten wir den Lotsendampfer. „Maschine stop!“ Der Lotse verabschiedete sich vom Kapitän und dem wachhabenden Offizier und entschwand über die Lotsenleiter auf den Ausholer des Lotsendampfers. „Maschine voll voraus!“ und ab ging die Post in Richtung Hongkong, die letzte britische Kronkolonie in der Volksrepublik China, auf der Landkarte so groß wie ein Fliegenschiss. Aber auf diesem Fliegenschiss lebten 1956 bereits 3 Millionen Hongkongchinesen mit britischem Pass.
Zunächst fuhren wir im Ostchinesischen Meer an der Küste entlang bis zum Nordeingang der Straße von Taiwan. Dort wurden wir überraschend von zwei amerikanischen Zerstörern (Fletscher-Klasse) aufgestoppt und mussten erklären, woher wir kamen, wohin wir wollten und was für Ladung wir an Bord hatten. Anschließend teilten sie uns mit, dass wir durch die Straße von Formosa (so hieß Taiwan damals in den 1950er Jahren) nur unter ihrem Geleitschutz fahren durften und wir ihnen zu folgen hätten. Und schon fuhren wir mit ihnen durch den taiwanesisch begrenzten Abschnitt bis zum Südausgang, wo wir uns verabschiedeten und unsere Reise nach Hongkong fortsetzten. Die Distanz von Shanghai bis Hongkong betrug 845 Seemeilen. Bei einer Marschfahrt von 17 kn waren das 49,7 Stunden oder 2 Tage.
Je weiter wir nach Südwesten