Buntes Treiben. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
um die Zukunft - um ein Leben nach dem Tode machen. Es lag das viel zu weit hinausgerückt, um auch nur daran zu denken.
So wogte auch heute das muntere, blumengeschmückte Volk in fröhlichem Treiben am Strande von Papetee - der Hauptstadt Tahitis und dem Sitz des französischen Gouvernements - auf und ab, denn die französische Regimentsmusik stand vor dem Hause des Gouverneurs und spielte ihre lustigen Weisen und Märsche, und die klangen ihnen freilich besser und melodischer in die Ohren, als die monotonen Psalmen und Kirchenlieder, die sie bis dahin hatten Stunden lang singen müssen.
Wie das herüber und hinüber wogte, und wie bunt die Schaar aussah, in ihren blauen, rothen, weißen, gelben, geblümten oder gestreiften langen Gewändern, und wie prachtvoll sich die jungen, bildhübschen Mädchen das schwarze, lockige und seidenweiche Haar mit Blumen und dem wehenden, künstlich geflochtenen und schneeweißen Bast der Arrowroot geschmückt hatten! Und wie das dem lebenslustigen sorglosen Volk in den Füßen zuckte, wenn der Tact der Musik die Erinnerung an ihre eigenen Tänze in ihnen wach rief, und wie sie dabei fröhlich mit einander lachten und plauderten!
Aber auch die männliche Bevölkerung war, und zwar zahlreich, am Strand vertreten; eine Menge von französischen Soldaten und selbst Officieren schlenderten am Ufer herum und plauderten mit den Mädchen, und dazwischen schritt mancher tahitische Stutzer, den bunten Pareu kokett um die Lenden geschlagen, das Schultertuch malerisch umgeworfen, und die Locken mit Streifen von ineinander geflochtener weißer Tapa und rothem Flanell durchwunden, was ihnen zu den bronzefarbenen Gesichtern gar nicht so übel stand.
Und wie sich die leichtfertigen Franzosen amüsirten, wenn manchmal ein indianischer Mitonare (Missionär - wie Alles von ihnen genannt wird, was mit der Religion der Christen in Berührung steht, ja sogar ihr Wort für „fromm" bildet) langsam und gravitätisch zwischen ihnen durchschritt, einen vorwurfsvollen Blick auf die Mädchen warf, und dann seufzend das Auge nach oben drehte, als ob er Feuer und Schwefel /75/ auf die sündhafte Bande herab erbitten wolle. Aber die Burschen sahen auch gewöhnlich so komisch aus, daß man schon über ihre persönliche Erscheinung lachen konnte, ohne sie gerade in ihrem Glauben zu verspotten. Die protestantischen Missionäre hielten nämlich den schwarzen Frack und Cylinderhut unerläßlich für eine geistliche Stellung in der Welt, und dazu brachten sie auch die von ihnen angelernten Mitonares - aber nicht zu Hosen und Stiefeln oder Schuhen, zu welchen sie sich unter keiner Bedingung verstehen wollten. So kam es denn, daß sie nach oben, wie ehrbare Christen - sogar oft mit weißer Weste und Cravatte, nur etwas braunen Gesichtern herumliefen, während ihnen nach unten noch der bunte Kattun-Pareu um die nackten und meistentheils tätowirten Beine hing, was ihnen natürlich, besonders mit den schwarzen Frackzipfeln auf dem bunten Kattun, ein höchst wunderliches und originelles Aussehen gab.
Allerdings war es den Eingeborenen, seit sie Christen geworden, auf das Strengste untersagt worden, sich zu tätowiren, weil das ebenfalls mit ihren altheidnischcn Gebräuchen in Beziehung stand. Aber die alten Tätowirungen ließen sich eben nicht wieder wegbringen, sie mußten nun einmal so „aufgebraucht" werden, und zeigten jetzt höchstens, mit einem Blick nach unten und nach oben, was der Träger derselben früher gewesen - und was er jetzt war.
Im Ganzen blieb aber doch ein inländischer Mitonare in diesem fröhlichen Gewirr nur eine höchst vorübergehende Erscheinung, die, wie eine dunkle Wolke an der Sonne, rasch vorbeizog und dann wieder Licht und Leben auf allen Gesichtern blicken ließ. Manche der Eingeborenen freilich - die früher vielleicht zu eifrigen und frommen Christen gezählt worden und sich jetzt wieder in den alten Strudel gestürzt hatten, zogen sich scheu hinter die Anderen zurück, wenn sie seiner ansichtig wurden. Sie mochten seinem vorwurfsvollen Blick nicht begegnen, die Mehrzahl aber kümmerte sich gar nicht um ihn, und mit dem Bewußtsein, von einer stärkeren und dabei weit nachsichtigeren Macht beschützt zu werden, boten sie Allem keck die Stirn.
Die Militärmusik war beendet und das Musikcorps wieder /76/ nach seinem Sammelplatz oder in seine Quartiere abmarschirt, aber das Menschengewoge am Strand verlief sich noch immer nichr, und durch die Musik angeregt, bildeten sich hier und da kleine Gruppen von Singenden, die, fast immer vierstimmig und in reinster Harmonie, entweder die eben erst gehörten Melodien nachzusingen suchten, oder auch dann und wann wieder in ihre alten Hymnen fielen, während Schaaren von Zuhörern sie umstanden und, wenn sie schlossen, mit rauschendem Beifall in die Hände schlugen.
Während so noch Männer und Frauen bunt durcheinander gemischt und mit mancher blauen Uniform dazwischen dort standen, kam ein einzelnes junges Mädchen den Weg herab, der von der sogenannten „Besenstraße" - dem großen prachtvollen Weg, der um einen Theil der Insel läuft - niederführte.
Es war eine schlanke, edle Gestalt, noch voll Jugendfrische; aber gar so ernst schauten die schönen dunkeln Augen um sich her, und die scharfgeschnittenen Brauen waren fest zusammengezogen, ebenso die feinen Lippen geschlossen. Nicht eine einzige Blume oder ein anderer Tand schmückte ihr Haar oder ihren Körper, ja sie schien sogar die Kleidung oder die Stoffe zu verschmähen, die ihnen von den Weißen, den verhaßten Fremden, herübergebracht worden. Ein Pareu von weicher gelbbrauner Tapa, der ihr nur wenig über die Kniee reichte, umschloß ihre Hüften und zeigte die tadellos schönen Formen ihres untern Beines, während ein kurzer Ueberwurf von demselben Stoff, der tehei, ihre Schultern und den Oberkörper verhüllte. Voll und lockig hing ihr dabei das rabenschwarze Haar am Nacken nieder, von keiner Blume geziert, von keiner Faser Arrowroot gehalten. Wie sie die Arme untergeschlagen trug, wanderte sie - jedenfalls eine Fremde - still und finster zwischen den geputzten fröhlichen Menschen hin, und nur ihr Blick überflog forschend die Gruppe, als ob sie irgend Jemanden suche. Sie hielt sich aber deshalb nicht auf - sie blieb nicht stehen, wo sic einen dichteren Knäuel Menschen versammelt traf. Nur im Vorbeigehen musterte sie die ihr Begegnenden, und als ein paar Fremde, von der wirklich auffallenden Schönheit des Mädchens, vielleicht auch /77/ durch ihre, jetzt und hier, auffällige Kleidung angezogen, sie in ihrer Bahn aufhalten und anreden wollten, blitzte sie die Frechen mit den großen, dunkeln Augen trotzig an und eilte dann nur um so rascher vorwärts.
Eben wollte sie auch in eine der Seitenstraßen rechts einbiegen, denn hier am eigentlichen Strand liegen nur die Häuser der reicheren Europäer, der Missionäre, der Consule und einiger Häuptlinge, und erst eine Strecke dahinter, mitten in einem wahren Wald von Brodfruchtbäumen, Orangen und Cocospalmen, beginnen die eigentlichen Bambushütten der Eingeborenen, in denen sie sich eher heimisch fühlen konnte. Da hielt sie plötzlich in ihrem raschen Gang inne - ihr Auge haftete stier und erschreckt auf einer kleinen Gruppe von Eingeborenen, die sich ebenfalls um ein ähnliches Quartett gesammelt hatten und so zusammengedrängt standen, daß sie von dem, was außer ihrem Kreise vorging, gar nichts sahen, und auch wohl nichts sehen wollten.
Noch schien die Fremde nicht fest überzeugt zu sein, ob sie den, den sie wahrscheinlich gesucht, auch wirklich vor sich habe. - Sie schritt langsam und wie zögernd näher, und wandte sich jetzt etwas zur Seite, daß ihr Blick das Angesicht - wenigstens das Profil des dort Stehenden überfliegen könne; aber bald mußte auch ihr letzter Zweifel gehoben sein, denn jetzt schritt sie auf ihn zu, und dicht hinter ihm stehen bleibend, haftete ihr Auge in Zorn und Schmerz auf der schlanken Gestalt des Mannes.
Es war ein Eingeborener, aber in der vollen Tracht seines Volkes, nur in den bunten und sogar grellgefärbten Kattun gekleidet, den ihnen die Fremden gebracht und durch das weiche und auch festere Gewebe dieses Stoffes bald die alte, sonst gewohnte Tapa verdrängt hatten. Seine langen lockigen Haare trug er aber sorgfältig eingeölt und gekämmt und mit einem der vorher beschriebenen Bänder zurückgehalten, und das Schultertuch war von der linken Schulter zurückgeschoben, weil er mit dem linken tätowirten Arm ein neben ihm stehendes bildhübsches und noch blutjunges Mädchen umschlossen hielt, das sich dicht an ihn schmiegte. Beide waren aber so in den vor ihnen ausgeführten Gesang vertieft, daß sie die Fremde gar /78/ nicht bemerkten, bis diese endlich ihre Hand auf die Schulter des Mannes legte und mit leiser, von innerer Erregung bebender Stimme sagte:
„Patoi - find' ich Dich so, falscher Tanate, der Du mich aus meiner Heimath fortgelockt, um mich elend verderben zu lassen? Und war es nicht genug, daß Du mich zu Grunde richtetest - hast Du Deine gierige Hand schon wieder nach einer andern Blume ausgestreckt? Oh, hüte Dich vor ihm, Schwester, hüte Dich. - Die Hand Atua's, des starken Gottes, liegt auf ihm, und er wird Dich verderben,