Ein Mann will nach oben. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
gehört die Maschine dir noch nicht, und dann bleibt sie überhaupt hier!« Und wieder herrschte Schweigen in der Küche.
Dann sagte Rieke Busch vorsichtig: »Ich wüßt 'nen reichen Mann, der dir gleich helfen täte, Karle.«
»Nie«, sagte Karl Siebrecht, ohne seine Stellung zu verändern. »Nie!«
»Nicht jeschenkt, Karl, bloß jeborgt!«
»Nie, Rieke, das weißt du wohl.«
»Ick will dir ooch nich zureden. Ick meine bloß ...« Und wieder Schweigen.
Dann stand Karl Siebrecht mit einem Ruck auf. »Also los, Rieke, es hilft nichts. Wir werden deine Mäntel so, wie sie sind, bei Felten abliefern: fertig, halbfertig, unfertig. Wir machen einen letzten Schwindel von deiner Mutter – und dann ist mit allem Schwindel Schluss für immer!« Vor Mitleid wurde er ärgerlich: »Ach, kuck nicht so, Rieke. Heule dann lieber! Du wirst noch viele Mäntel in deinem Leben nähen können!«
»Er wird uns so jut wie nischt dafor zahlen, der Felten, wenn er merkt, wir broochen Jeld!«
»Wir lassen es ihn eben nicht merken! Los, Kalli! Rieke, sage uns, was wir zusammenpacken sollen. Wir machen zwei große Packen für uns, Kalli, und einen kleinen für Rieke!«
»Jehn wa alle drei, Karle?«
»Natürlich. Für zwei ist's zu schwer. Wieso?«
»Denn muß Vata mit. Ick laß Vata'n nich eine Minute mehr alleene. Ick hab meine Backpfeife weg.« So hielten sie denn ihren Auszug, Karl und Kalli gebeugt unter ihren schweren Packen, Rieke führte den Vater an der Hand. Zitternd, flüsternd ging der alte Busch neben ihr.
Dann, zwei Stunden später, saßen sie wieder um den Tisch. Noch immer war es kalt, noch immer hatten sie nichts gegessen, noch immer war Tilda bei der Nachbarin. Nur der alte Busch saß jetzt am Fenster, er spielte mit seinen Fingern. Nie wieder wird der Mann mauern! dachte Karl Siebrecht, als sein Blick auf ihn fiel. Der muß nun auch durchgefüttert werden, dachte er und wandte, beschämt über diesen Gedanken, den Blick fort zu dem Geldhaufen, der wieder auf dem Tisch lag. Er war nicht viel größer geworden. Es waren dazugekommen:
27,70 Mark, das war das ganze Ergebnis ihres Weges zu Felten!
Und wie schwer waren die erkämpft! Ach, Karl Siebrecht hatte noch in anderer Bedeutung recht gehabt: es war wirklich noch zu früh gewesen mit Riekes Näherei! Sie hatte ihr Können überschätzt, alles war doch nicht in zwei Tagen von der Näherin Zappow zu lernen. Feiten war genau gewesen, knickerig genau, aber er war nicht gemein gewesen, er hatte ihre Lage nicht ausgebeutet. Er hatte Rieke Fehler auf Fehler an ihren Mänteln gezeigt, die Jungen hatten es schon gar nicht mehr sehen mögen, wie Rieke abwechselnd rot und blaß wurde. Sie hatte sich so geschämt: wie hatte sie vor Karl Siebrecht mit ihrem Können geprahlt! Was mußte der Freund von ihr denken! Ach, die kleine, arme, mutige Rieke – das Leben ersparte ihr nichts. Sie traf Schlag um Schlag, 11,70 Mark als Lohn für fast drei Wochen Schuften; 11,70 Mark, das war das Ergebnis von so viel hochfahrenden Träumen!
»Zweiundneunzigsiebzehn müssen wir noch schaffen«, sagte Karl Siebrecht gedankenvoll. »Jedenfalls sind die verdammten Dreizehn aus der Zahl weg!«
Und Kalli Flau: »Wollen wir nicht den Herd anstecken und ein bißchen Kaffee kochen, Rieke? Ich denke immer, wenn wir erst was Warmes im Magen haben, fällt uns auch was ein.«
»Ick hab keen Brot mehr im Haus«, sagte Rieke und sah scheu das Geld auf dem Tisch an.
»Na, auf die paar Groschen kommt's nun auch nicht an, Rieke!« rief Kalli und griff nach dem Geld.
»Halt!« befahl Siebrecht. »Bis der Hagedorn bezahlt ist, kommt's auf jeden Groschen an! Koch Kartoffeln, Rieke, oder was du hast, Kaffee – meinethalben auch gar nichts. Aber das Geld bleibt hier.«
»Ick werd Kartoffeln kochen, Karl«, sagte Rieke, und so tat sie, während die Jungen stumm den Geldhaufen bewachten.
Nach einer Weile hatten sie dann gegessen, Kartoffeln mit Salz, aber doch nicht nur Kartoffeln mit Salz, sondern Karl Siebrecht hatte noch eine Mettwurst beigesteuert, die letzte aus einem sehr umfangreichen Paket, das die getreue Minna ihrem Karl zu Weihnachten gesandt hatte. Die getreue Minna, deren Geld nun dahin war, für eine lange, lange Zeit, denn die wirtschaftliche Lage der drei sah nicht nach Ersparnissen aus.
»Ach ja –« seufzte Karl Siebrecht, und die beiden anderen sahen ihn erwartungsvoll an. Es war nun doch so, daß Karl Siebrecht aus irgendwelchen unbekannten Gründen die Führung in dieser Sache hatte, obwohl Kalli Flau älter und Rieke Busch viel weltklüger war. »Ach ja!« sagte er noch einmal, aber wacher – sie sollten nicht merken, daß er mit seinen Gedanken weit fort von dieser dringenden Geldbeschaffung gewesen war. »Jetzt haben wir gegessen, und warm sind wir auch geworden – ist euch nun was Vernünftiges eingefallen?«
»Mir nichts«, sagte Kalli Flau. »Man könnte eine ganze Menge anfangen, wenn bloß die Zeit nicht so kurz wäre. Es sind gerade noch vier Stunden.«
»Ja, wenn!« sagte Karl Siebrecht. »Und du – Rieke?«
»Nischt, Karl. Und du?«
»Ja, Rieke ...« sagte er langsam. Er sah sie nachdenklich an, wie sie da vor ihm an der anderen Tischseite saß, das Gesicht in die Hand gestützt, sehr blaß. Nach Jungenart hatte er selten auf ihr Aussehen geachtet, aber jetzt fiel ihm doch auf, wie dunkle Ringe um ihre Augen lagen, wie dünn der Arm war, auf den sie den Kopf stützte. »Ja, Rieke ...« sagte er noch einmal.
»Wat is, Karl? Du weeßt wat! Sag schon!«
»Es wird dir aber weh tun, Rieke.«
»Als wie mir –? Mir tut jar nischt mehr weh – nach dem Theata!«
Und sie sah zu dem alten Busch am Fenster hinüber. »Mach schnell, Karle! Laß mir nich zappeln! Es ist wat mit die Maschine, ick weeß schon! Willste se doch verscheuan?«
»Nicht verkaufen, Rieke, aber wir könnten sie versetzen, auf dem Leihamt.« Einen Augenblick war Stille. Die beiden Jungen blickten auf Rieke. Deren Gesicht zog sich zusammen, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Die Jungen sahen fort.
Dann sagte Rieke: »Wenn se erst mal weg ist, kommt se ooch nich wieda, det weeß ick, ebensojut können wa se gleich vakloppen!« Die Jungen schwiegen mit gesenktem Blick. Und wieder Rieke: »Wat werden die Leute über mir sagen! Det janze Haus wird über mir lachen! Knappe vier Wochen hab ick die Maschine jehabt, ick trau mir keenem Menschen mehr ins Jesichte zu sehen!« Noch immer schwiegen die Jungen. Rieke stampfte mit dem Fuß auf, zornig rief sie: »Det is 'ne beschissene Welt, die taugt nischt! Imma jib ihm uff de Kleenen, die können strampeln und sich schinden, aus die wird doch nischt. Aber die Großen, die können angeben wie Jraf Koks ...« Ihre Stimme brach. Schluchzen kam. Sie sprang auf, lief durch die Küche, blieb bei der Maschine stehen. »Wat ick mir über die jefreut habe!« Sie strich mit der Hand schüchtern darüber. »Det war die jrößte Freude meines Lebens! Und nu – nach knapp vier Wochen ...« Der Schmerz überwältigte sie. Sie konnte nicht mehr weitersprechen.
»Sie kommt ja wieder, Rieke«, sagte Karl Siebrecht sanft. »Wir versprechen dir, wir wollen nicht eher ruhen, bis du deine Maschine wieder hast – nicht wahr, das versprechen wir ihr, Kalli?« Kalli Flau nickte ernst mit dem Kopf.
Aber Rieke war nicht besänftigt. Rieke war nicht getröstet. Im Gegenteil, sie stampfte mit dem Fuß auf, sie rief: »Wat ihr schon vasprechen könnt! Ihr seid ja ooch nischt, und ihr habt ja ooch nischt! Bloß Einbildungen, die habt ihr! Und du am meisten, Karl! Jawoll, kuck mir noch an! Du brauchst bloß uff stehen und zu dem reichen Fatzken hinjehen und ihm sagen ›Jib mir 'n blauen Lappen!‹ und du hast'n. Aber nee, det jeht nich! Und warum jeht det nich? Von wejen deine Einbildungen! Weil de dir einbildest, du bist zu fein für so wat, darum werd ick meine Maschine los!« Sie sah ihn zornig an, und Karl Siebrecht sah sie wieder an, aber er sagte kein Wort. Noch einmal rief sie: »Ja, kiek mir nur an! Det is so, wie ick sare!« Aber sie wendete sich schon ab, dem Fenster zu. Und wieder war Schweigen in der Küche. Dann kam Rieke vom Fenster zurück. Sie legte ihre Hand schüchtern auf Karl Siebrechts