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Der Alpdruck. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.

Der Alpdruck - Ханс Фаллада


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herumrollenden Panzer – besonders sinnlos; keine Entscheidung war mehr zu treffen – alles war entschieden und das Warten vorbei! Dazu kam Frau Doll von draußen, aus der sonnigen Frühlingsluft, sie war zwischen den Panzern gefahren, hatte kurz entschlossen einen Russen beim Ärmel gepackt, der letzte Rest von Gespensterangst war von ihr abgefallen – sie konnte dies Geschwätz einfach nicht mehr ertragen. Sie bat schließlich ziemlich kurz, ihr die Tür wieder zu öffnen, trat auf die Straße, in die Helle zurück, bestieg ihr Rad und fuhr, immer zwischen den stets zahlreicher werdenden Panzern hindurch, weiter in die Stadt hinein.

      Vermutlich ist Frau Doll die letzte gewesen, die den Apotheker mit Frau und Kind an diesem Nachmittag am Leben gesehen hat: ein paar Stunden später gab er sich, seiner Frau und dem Kinde Gift, anscheinend völlig sinnlos: im letzten Augenblick hatten die gequälten Nerven versagt. So vieles hatten sie nun durch Jahre ertragen, nun, da es doch aussah, als könne manches besser, nichts mehr aber schlimmer werden, weigerten sie sich, die Ungewissheit allerkürzesten Wartens noch zu ertragen.

      Aber die gleiche Apothekerhand, die eben noch Frau Doll mit größter Präzision ihr Narkotikum gegen ein Gallenleiden zugemessen, war nicht so glücklich in der Bemessung des Giftes für sich und die eigene Familie: der sehr alte Mann und das sehr junge Kind starben. Die Frau aber genas nach längerem Leiden zum Leben und wiederholte – obwohl vereinsamt – den Selbstmordversuch nicht.

      Alma Doll war noch nicht viel weiter gefahren auf ihrem Rade, als ein wesentlich anderes Bild ihre Aufmerksamkeit fesselte und sie zu einem neuen Halt bewog: vor dem größten Hotel des Städtchens hatte sich eine Gruppe von etwa einem Dutzend Kindern versammelt, zehn- bis zwölfjährige Jungen und Mädchen. Sie sahen dem Fahren der Panzer zu, schrien und lachten, während die russischen Soldaten sie überhaupt nicht zu sehen schienen.

      Die fast wild ausgelassene Stimmung dieser sonst ländlich stillen Kinder erklärte sich durch die Weinflaschen, die sie in ihren Händen hielten. Eben gerade, als Frau Doll von ihrem Rade sprang, schlüpfte ein Junge aus dem Tor des Hotels, die Hände voll neuer Flaschen. Die Kinder auf der Straße begrüßten ihren Kameraden mit einem Jubelgeschrei, das fast dem Aufheulen eines jungen Wolfsrudels glich. Sie ließen die Flaschen, die sie in der Hand hatten, ob sie nun ganz, teilweise oder gar nicht gefüllt waren, achtlos auf dem Pflaster zersplittern und stürzten sich auf die neuen, denen sie ohne weiteres die Hälse auf den Steinstufen der Hoteltreppe abschlugen, worauf sie die Flaschen zu den Kindermündern erhoben.

      Dieser Anblick rief in Frau Doll sofort den äußersten Zorn wach. War ihr schon als Mutter der Anblick eines betrunkenen Kindes verhaßt, so steigerte es noch ihren Zorn, daß diese noch nicht Halbwüchsigen den ersten Einmarsch der Roten Armee durch Trunkenheit schändeten. Fast laufend stürzte sie sich auf die Kinder, entriß ihnen die Weinflaschen und verteilte so ausgiebig Ohrfeigen und Püffe, daß einen Augenblick später der ganze Spuk um die nächste Ecke verschwunden war.

      Aufatmend blieb Frau Doll stehen. Der eben noch heftige Zorn war schon wieder verebbt, und fast heiter blickte sie auf die von ihren Einwohnern verlassene Straße, auf der es außer ihr nichts gab als Panzer und vereinzelte russische Soldaten mit Maschinenpistolen. Dann erinnerte sie sich daran, daß es nun doch wohl an der Zeit sei, heimwärts zu fahren, und mit einem leichten glücklichen Seufzer wandte sie sich wieder ihrem Rade zu. Sie hatte es aber noch nicht erreicht, als diesmal ein russischer Soldat auf sie zutrat, der, auf ihre Hand weisend, ein Päckchen aus der Tasche zog, das er aufriß.

      Sie sah auf ihre Hand und entdeckte erst jetzt, daß sie sich beim Wegnehmen der Flaschen die Hand zerschnitten hatte: Blut tropfte von ihren Fingern. Mit lächelnder Miene ließ sie sich von dem hilfreichen Russen die Hand verbinden, klopfte ihm zum Dank auf die Schulter – er sah fremd durch sie hindurch –, stieg aufs Rad und fuhr nun ohne weitere Abenteuer nach Haus. An eben jener Stelle aber, an der vor einer Stunde noch das Wehrmachtsauto gehalten, fuhren nun auch schon russische Panzer. Ob der Wagen wohl noch fortgekommen war? Sie wußte es nicht, sie würde es wohl nie erfahren.

      Als Frau Doll mit diesen neuen Nachrichten vor ihrem Manne erschien, hörte er aus dem Bericht nur eine Bestätigung des Entschlusses, an der Schwelle seines Hauses die Sieger und Befreier zu erwarten. Aber da die Ankunft der Russen auch an dieser abgelegenen Stelle des Städtchens nun jeden Augenblick erfolgen konnte, brach Doll das Gespräch mit seiner Frau kurz ab und kehrte mit einer in solcher entscheidenden Stunde fast unbegreiflichen Hartnäckigkeit zu seiner Arbeit an den Staudenbeeten zurück, um die letzten Drahtschlingen zu entfernen und säuberlich aufzurollen und die letzten häßlichen Pfähle zu entfernen.

      Weder Abfahrt noch Rückkunft der jungen Frau waren auf den Nebengrundstücken unbemerkt geblieben. Bald fanden sich diese Nachbarn – natürlich stets unter schicklichen Vorwänden, wie etwa, ein Werkzeug zu entleihen – bei Doll ein, schauten seiner Arbeit zu und suchten hintenherum zu erkunden, was Frau Doll wohl in der Stadt gewollt und etwa Neues gesehen habe –? Doll, der auf eine direkte, in solcher Lage völlig berechtigte Frage sofort Auskunft gegeben hätte, haßte dieses feintuende, katzenhafte Herumschleichen um den heißen Brei sehr und dachte nicht daran, eine so verhohlene Neugier zu befriedigen.

      So hätten die Nachbarn unverrichteter Sache wieder abziehen müssen, wenn sich nicht Frau Alma, aus dem Hause kommend, zu ihrem Manne gesellt hätte. Nach Art der meisten jungen Menschen brannte sie darauf, ihre Erlebnisse zu erzählen, und dies um so mehr, da sie doch höchst erfreulich und beruhigend gewesen waren.

      Wirklich führten die Erzählungen der jungen Frau einen völligen Umschwung in der Meinung der Nachbarn herbei: kein Gedanke war noch daran, in den Wald zu flüchten. Alle würden sie, wie Dolls, ihre Befreier in den Häusern erwarten. Ja, manche fingen schon mit deutlichen Worten davon zu reden an, daß es vielleicht gut sein würde, Verstecktes oder Vergrabenes auf den gewohnten Platz zurückzubringen, schon um die Sieger nicht durch Mißtrauen zu kränken. Solche Bemerkungen wurden freilich von den Familienmitgliedern mit ärgerlichen Ausrufen und Kopf schütteln aufgenommen: »Du wirst doch nicht, Olga!« – »Was du auch redest, Elisabeth, sicher bleibt sicher!« – Oder auch: »Ich weiß bei uns von nichts Verstecktem, Minnie, du phantasierst wohl!«

      Dies nachbarliche Gespräch fand seine Krönung durch zwei greise Männer, von Alter schon in den Siebzigern, deren Phantasie sich an der Schilderung der kindlichen Trinkszene vor dem Hotel entzündete. Zuerst war die Wut der beiden Alten unbeschreiblich gewesen. Waren sie denn nicht seit Wochen und Monaten gerade zu diesem Hotelier, dessen Stammgäste sie seit undenklichen Zeiten waren, gepilgert – und das trotz ihrer hohen Jahre und des weiten Weges fast alltäglich –, und hatte dieser Schurke, dieser Verbrecher, dieser Verräter am eigenen Volke ihre Bitten um eine Flasche, ja, nur um ein Glas Wein nicht stets mit dem Bemerken zurückgewiesen, er habe selbst nichts mehr, die SS habe ihm alles weggetrunken –?! Und jetzt stellte sich heraus, daß doch noch Wein da war, viel Wein vermutlich, ein Keller voll, viele Keller voll, der ihnen gegen alles Recht vorenthalten war, den jetzt Kinder auf die Straße schütteten –!

      Und die beiden Greise stellten sich einander gegenüber, ihre eben noch sorgengrauen Gesichter waren wie vom Widerschein des Weins lieblich gerötet, bis in ihr weißes Haar hinein. Sie klopften sich gegenseitig auf die im letzten Jahre so schlaff gewordenen, längst nicht mehr hosenfüllenden Bäuche und schrien einander die geliebten Namen der von ihnen bevorzugten Kreszenzen ins Gesicht. Der eine Kleine, immer im grünen Jägeranzug, reiner Anbeter des Moselweins, der andere Lange, stets in Hemdsärmeln, mehr den französischen Weinen hold. Wie sie da bäucheklopfend umeinander tanzten und brüllten, schienen sie bereits trunken von dem Wein, den sie noch gar nicht hatten. Die höchst ungewisse Stunde, der kaum erst zu Ende gehende Krieg, die vielleicht nahe Gefahr waren vergessen, jede Erinnerung an lange ertragene Qual verdrängt durch die Aussicht auf einen Trunk. Und als sie nun, einander ständig steigernd, beschlossen, mit zwei Handwagen sofort in die Stadt zu ziehen und auf der Stelle die ihnen widerrechtlich vorenthaltenen Weine zu holen, glichen sie Doll völlig jenen, die sich auf einem ausbrechenden Vesuv zum Tanzen anschicken.

      Gottlob hatten sie beide Frauen, und diese Frauen sorgten dafür, daß heute aus dem geplanten Ausfluge nichts mehr wurde, zumal der Lärm von durchfahrenden schweren Fahrzeugen sich von der Stadt her klar über den See schallend ständig verstärkte. »Aber«, sagte Doll und kehrte damit zu seinen Drahtenden zurück,


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