Alice im Wunderland. Lewis CarrollЧитать онлайн книгу.
er die Bahn, eine Art Kreis („es kommt nicht genau auf die Form an,“ sagte er), und dann wurde die ganze Gesellschaft hier und da auf der Bahn aufgestellt. Es wurde kein: „eins, zwei, drei, fort!“ gezählt, sondern sie fingen an zu laufen wenn es ihnen einfiel, hörten auf wie es ihnen einfiel, so daß es nicht leicht zu entscheiden war, wann das Rennen zu Ende war. Als sie jedoch ungefähr eine halbe Stunde gerannt und vollständig getrocknet waren, rief der Dodo plötzlich: „Das Rennen ist aus!“ und sie drängten sich um ihn, außer Athem, mit der Frage: „Aber wer hat gewonnen?“
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„Aber wer soll die Preise geben?“ fragte ein ganzer Chor von Stimmen.
„Versteht sich, sie!“ sagte der Dodo, mit dem Finger auf Alice zeigend; und sogleich umgab sie die ganze Gesellschaft, Alle durch einander rufend: „Preise Preise!“
Alice wußte nicht im Geringsten, was da zu thun sei; in ihrer Verzweiflung fuhr sie mit der Hand in die Tasche, und zog eine Schachtel Zuckerplätzchen hervor (glücklicherweise war das Salzwasser nicht hinein gedrungen); die vertheilte sie als Preise. Sie reichten gerade herum, eins für Jeden.
„Aber sie selbst muß auch einen Preis bekommen, wißt ihr,“ sagte die Maus.
„Versteht sich,“ entgegnete der Dodo ernst. „Was hast du noch in der Tasche?“ fuhr er zu Alice gewandt fort.
„Nur einen Fingerhut,“ sagte Alice traurig.
„Reiche ihn mir herüber,“ versetzte der Dodo. Darauf versammelten sich wieder Alle um sie, während der Dodo ihr den Fingerhut feierlich überreichte, mit den Worten: „Wir bitten, Sie wollen uns gütigst mit der Annahme dieses eleganten Fingerhutes beehren;“
und als er diese kurze Rede beendigt hatte, folgte allgemeines Beifallklatschen.
Alice fand dies Alles höchst albern; aber die ganze Gesellschaft sah so ernst aus, daß sie sich nicht zu lachen getraute, und da ihr keine passende Antwort einfiel, verbeugte sie sich einfach und nahm den Fingerhut ganz ehrbar in Empfang.
Nun mußten zunächst die Zuckerplätzchen verzehrt werden, was nicht wenig Lärm und Verwirrung hervorrief; die großen Vögel nämlich beklagten sich, daß sie nichts schmecken konnten, die kleinen aber verschluckten sich und mußten auf den Rücken geklopft werden. Endlich war auch dies vollbracht, und Alle setzten sich im Kreis herum und drangen in das Mäuslein, noch etwas zu erzählen.
„Du hast mir deine Geschichte versprochen,“ sagte Alice – „und woher es kommt, daß du K. und H. nicht leiden kannst,“ fügte sie leise hinzu, um nur das niedliche Thierchen nicht wieder böse zu machen.
„Ach,“ seufzte das Mäuslein, „ihr macht euch ja aus meinem Erzählen doch nichts; ich bin euch mit meiner Geschichte zu langschwänzig und zu tragisch.“ Dabei sah sie Alice fragend an.
„Langschwänzig! das muß wahr sein!“ rief Alice und sah nun erst mit rechter Verwunderung auf den geringelten Schwanz der Maus hinab; „aber wie so tragisch? was trägst du denn?“ Während sie noch darüber nachsann, fing die längschwänzige Erzählung schon an, folgendergestalt:
Filax sprach zu
der Maus, die
er traf
in dem
Haus:
„Geh’ mit
mir vor
Gericht,
daß ich
dich
verklage.
Komm und
wehr’ dich
nicht mehr;
ich muß
haben ein
Verhör,
denn ich
habe
nichts
zu thun
schon
zwei
Tage.“
Sprach die
Maus zum
Köter:
„Solch
Verhör,
lieber Herr,
ohne
Richter,
ohne
Zeugen
thut nicht
Noth.“
„Ich bin
Zeuge,
ich bin
Richter,“
sprach
er schlau
und schnitt
Gesichter,
„das Verhör
leite ich
und
verdamme
dich
zum
Tod!“
„Du paßt nicht auf!“ sagte die Maus strenge zu Alice. „Woran denkst du?“
„Ich bitte um Verzeihung,“ sagte Alice sehr bescheiden: „du warst bis zur fünften Biegung gekommen, glaube ich?“
„Mit nichten!“ sagte die Maus entschieden und sehr ärgerlich.
„Nichten!“ rief Alice, die gern neue Bekanntschaften machte, und sah sich neugierig überall um. „O, wo sind sie, deine Nichten? Laß mich gehen und sie her holen!“
„Das werde ich schön bleiben lassen,“ sagte die Maus, indem sie aufstand und fortging. „Deinen Unsinn kann ich nicht mehr mit anhören!“
„Ich meinte es nicht böse!“ entschuldigte sich die arme Alice. „Aber du bist so sehr empfindlich, du!“
Das Mäuslein brummte nur als Antwort.
„Bitte, komm wieder, und erzähle deine Geschichte aus!“ rief Alice ihr nach; und die Andern wiederholten im Chor: „ja bitte!“ aber das Mäuschen schüttelte unwillig mit dem Kopfe und ging schnell fort.
„Wie schade, daß es nicht bleiben wollte!“ seufzte der Papagei, sobald es nicht mehr zu sehen war; und eine alte Unke nahm die Gelegenheit wahr, zu ihrer Tochter zu sagen, „Ja, mein Kind! laß dir dies eine Lehre sein, niemals übler Laune zu sein!“ „Halt den Mund, Mama!“ sagte die junge Unke, etwas naseweis.
„Wahrhaftig, du würdest die Geduld einer Auster erschöpfen!“
„Ich wünschte, ich hätte unsere Dinah hier, das wünschte ich!“ sagte Alice laut, ohne Jemand insbesondere anzureden. „Sie würde sie bald zurückholen!“
„Und wer ist Dinah, wenn ich fragen darf?“ sagte der Papagei.
Alice antwortete eifrig, denn sie sprach gar zu gern von ihrem Liebling: „Dinah ist unsere Katze. Und sie ist auch so geschickt im Mäusefangen, ihr könnt’s euch gar nicht denken! Und ach, hättet ihr sie nur Vögel jagen sehen. Ich sage euch, sie frißt einen kleinen Vogel, so wie sie ihn zu Gesicht bekommt.“
Diese Mittheilung verursachte große Aufregung