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Jeder stirbt für sich allein. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.

Jeder stirbt für sich allein - Ханс Фаллада


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gepflegte alte Herr sollte im Keller sterben, langsam und qualvoll ...)

      Sie sagte, indem sie die leere Tasse auf das Tablett zurückstellte: »Sie sind sehr gütig zu mir, Herr Kammergerichtsrat, und sehr mutig. Aber ich will Sie und Ihr Heim nicht nutzlos in Gefahr bringen. Es hilft doch alles nichts. Ich gehe in meine Wohnung zurück.«

      Der alte Herr hatte sie aufmerksam angesehen, während sie sprach, nun führte er die schon Aufgestandene in ihren Sessel zurück. »Bitte, setzen Sie sich noch einen Augenblick, Frau Rosenthal!«

      Sie tat es widerstrebend. »Wirklich, Herr Kammergerichtsrat, es ist mir Ernst mit dem, was ich sage.«

      »Hören Sie mich bitte erst an. Auch mir ist es Ernst mit dem, was ich Ihnen sagen werde. Was zuerst die Gefahr anlangt, in die Sie mich bringen, so habe ich mein Lebtag, seit ich im Beruf stehe, in Gefahr geschwebt. Ich habe eine Herrin, der ich zu gehorchen habe, sie regiert mich, Sie, die Welt, selbst die Welt jetzt draußen, und diese Herrin ist die Gerechtigkeit. An sie habe ich immer geglaubt, glaube ich heute noch, die Gerechtigkeit habe ich allein zur Richtschnur meines Handelns gemacht ...«

      Während er so sprach, ging er leise auf und ab im Zimmer, die Hände auf dem Rücken, stets in Frau Rosenthals Gesichtsfeld bleibend. Die Worte kamen ruhig und leidenschaftslos von seinen Lippen, er sprach von sich wie von einem vergangenen, eigentlich nicht mehr existierenden Mann. Frau Rosenthal folgte gespannt jedem seiner Worte.

      »Doch«, fuhr der Kammergerichtsrat fort, »ich spreche von mir, statt von Ihnen zu sprechen, eine üble Angewohnheit aller, die sehr einsam leben. Verzeihen Sie, sprechen wir noch ein Wort von der Gefahr. Ich bekam Drohbriefe, zehn Jahre, zwanzig Jahre, dreißig Jahre ... Nun, Frau Rosenthal, hier sitze ich, ein alt gewordener Mann, und lese meinen Plutarch. Gefahr bedeutet nichts für mich, sie ängstigt mich nicht, sie beschäftigt nie mein Hirn oder Herz. Reden Sie nicht von Gefahren, Frau Rosenthal ...«

      »Doch das sind andere Menschen heute«, widersprach Frau Rosenthal.

      »Wenn ich Ihnen sage, daß diese Drohungen von Verbrechern und ihren Komplicen ausgingen? Nun also!« Er lächelte leicht. »Es sind keine anderen Menschen. Es sind ein bißchen mehr geworden, und die anderen sind ein bißchen feiger geworden, aber die Gerechtigkeit ist dieselbe geblieben, und ich hoffe, wir beide erleben noch ihren Sieg.« Einen Augenblick stand er da, grade aufgerichtet. Dann nahm er seine Wanderung wieder auf. Er sagte leise: »Und der Sieg der Gerechtigkeit wird nicht der Sieg dieses deutschen Volkes sein!«

      Er schwieg einen Augenblick, dann begann er wieder leichteren Tons: »Nein, Sie können nicht in Ihre Wohnung zurück. Die Persickes sind heute nacht dort gewesen, diese Parteileute über mir, wissen Sie. Die Wohnungsschlüssel sind in ihrem Besitz, sie werden Ihr Heim jetzt unter ständiger Beobachtung halten. Dort wären Sie wirklich völlig nutzlos in Gefahr.«

      »Aber ich muß dort sein, wenn mein Mann zurückkommt!« bat Frau Rosenthal flehend.

      »Ihr Mann«, sagte der Kammergerichtsrat Fromm freundlich beruhigend, »Ihr Mann kann Sie vorläufig nicht besuchen. Er befindet sich zur Zeit im Untersuchungsgefängnis Moabit unter der Beschuldigung, mehrere Auslandsguthaben verheimlicht zu haben. Er ist also in Sicherheit, solange es gelingt, das Interesse der Staatsanwaltschaft und der Steuerbehörde an diesem Verfahren wachzuhalten.«

      Der alte Rat lächelte weise, er sah Frau Rosenthal ermutigend an und nahm dann seine Wanderung wieder auf.

      »Aber woher können Sie wissen?«, rief Frau Rosenthal aus.

      Er machte eine beschwichtigende Handbewegung. Er sagte: »Ein alter Richter hört immer dies und das, auch wenn er nicht mehr im Amte ist. Es wird Sie auch interessieren, daß Ihr Mann einen tüchtigen Anwalt hat und verhältnismäßig anständig versorgt wird. Den Namen und die Adresse des Anwalts sage ich Ihnen nicht, er wünscht keine Besuche in dieser Sache ...«

      »Aber vielleicht kann ich meinen Mann in Moabit besuchen!« rief Frau Rosenthal aufgeregt aus. »Ich könnte ihm frische Wäsche bringen – wer sorgt denn dort für seine Wäsche? Und Toilettensachen und vielleicht etwas zu essen ...«

      »Liebe Frau Rosenthal«, sagte der Kammergerichtsrat a. D. und legte seine altersfleckige Hand mit den hohen blauen Adern fest auf ihre Schultern. »Sie können Ihren Mann ebensowenig besuchen, wie er Sie besuchen kann. Ein solcher Besuch nützt ihm nichts, denn Sie kommen nicht bis zu ihm, und er schadet nur Ihnen.«

      Er sah sie an.

      Plötzlich lächelten seine Augen nicht mehr, auch seine Stimme klang streng. Sie begriff, daß dieser kleine, sanfte gütige Mann einem unerbittlichen Gesetz in sich folgte, wohl dieser Gerechtigkeit, von der er gesprochen hatte.

      »Frau Rosenthal«, sagte er leise, »Sie sind mein Gast – solange Sie die Gesetze der Gastfreundschaft befolgen, von denen ich Ihnen gleich ein paar Worte sagen werde. Dieses ist das erste Gebot der Gastfreundschaft: Sobald Sie eigenmächtig handeln, sobald einmal, ein einziges Mal nur, die Tür dieser Wohnung hinter Ihnen zugeschlagen ist, öffnet sich diese Tür Ihnen nie wieder, ist Ihr und Ihres Mannes Name für immer ausgelöscht hinter dieser Stirn. Sie haben mich verstanden?«

      Er berührte leicht seine Stirn, er sah sie durchdringend an.

      Sie flüsterte leise ein »Ja«.

      Erst jetzt nahm er die Hand wieder von ihrer Schulter. Seine vor Ernst dunkel gewordenen Augen wurden wieder heller, langsam nahm er seine Wanderung von neuem auf. »Ich bitte Sie«, fuhr er leichter fort, »das Zimmer, das ich Ihnen gleich zeigen werde, bei Tage nicht zu verlassen, auch sich dort nicht am Fenster aufzuhalten. Meine Bedienerin ist zwar zuverlässig, aber ...« Er brach unmutig ab, er sah jetzt nach dem Buch unter der Leselampe hinüber. Er fuhr fort: »Versuchen Sie es wie ich, die Nacht zum Tage zu machen. Ein Schlafmittel werde ich Ihnen täglich hineinschicken. Mit Essen versorge ich Sie des Nachts. Wenn Sie mir jetzt folgen wollen?«

      Sie folgte ihm auf den Korridor hinaus. Sie war jetzt wieder etwas verwirrt und verängstigt, ihr Gastgeber war so völlig verändert. Aber sie sagte sich ganz richtig, daß der alte Herr seine Stille über alles liebte und kaum noch den Umgang mit Menschen gewohnt war. Er war jetzt ihrer müde, er sehnte sich nach seinem Plutarch zurück, wer das immer auch sein mochte.

      Der Rat öffnete eine Tür vor ihr, schaltete das Licht ein. »Die Jalousien sind geschlossen«, sagte er. »Es ist hier auch verdunkelt, lassen Sie das bitte so, es könnte Sie sonst einer aus dem Hinterhaus sehen. Ich denke, Sie werden hier alles finden, was Sie brauchen.«

      Er ließ sie einen Augenblick dies helle, fröhliche Zimmer betrachten mit seinen Birkenholzmöbeln, einem vollbesetzten, hochbeinigen Toilettetischchen und einem Bett, das noch einen »Himmel« aus geblümtem Chintz besaß. Er sah das Zimmer an wie etwas, das er lange nicht gesehen und nun wiedererkannte. Dann sagte er mit tiefem Ernst: »Es ist das Zimmer meiner Tochter. Sie starb im Jahre 1933 – nicht hier, nein, nicht hier. Ängstigen Sie sich nicht!«

      Er gab ihr rasch die Hand. »Ich schließe das Zimmer nicht ab, Frau Rosenthal«, sagte er, »aber ich bitte Sie, sich jetzt sofort einzuriegeln. Sie haben eine Uhr bei sich? Gut! Um zehn Uhr abends werde ich bei Ihnen klopfen. Gute Nacht!«

      Er ging. In der Tür wandte er sich noch einmal um. »Sie werden in den nächsten Tagen sehr allein sein mit sich, Frau Rosenthal. Versuchen Sie, sich daran zu gewöhnen. Alleinsein kann etwas sehr Gutes bedeuten. Und vergessen Sie nicht: Es kommt auf jeden Überlebenden an, auch auf Sie, grade auf Sie! Denken Sie an das Abriegeln!«

      Er war so leise gegangen, so leise hatte er die Tür geschlossen, daß sie erst zu spät merkte, sie hatte ihm weder gute Nacht gesagt noch gedankt. Sie ging rasch zur Tür, aber schon während des Gehens besann sie sich. Sie drehte nur den Riegel zu, dann ließ sie sich auf den nächsten Stuhl nieder, ihre Beine zitterten. Aus dem Spiegel des Toilettetischchens schaute sie ein bleiches, von Tränen und Wachen gedunsenes Gesicht an. Sie nickte langsam, trübe diesem Gesicht zu.

      Das bist du, Sara, sagte es in ihr. Lore, die jetzt Sara genannt wird. Du bist eine tüchtige Geschäftsfrau gewesen, immer tätig. Du hast fünf Kinder gehabt, eines lebt nun in Dänemark, eines in England, zwei in den USA, und eines liegt


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