Flarrow, der Chief – Teil 3. Lothar RüdigerЧитать онлайн книгу.
betrat, fühlte er sich sofort heimisch. Erinnerungen an ROS 107 wurden wach! Es war gegen zwei Uhr morgens, als sie zur „HILDEGARD“ zurückkehrten. Am nächsten Vormittag wurde der Trawler leer, ging an den Bunkerpier und lief danach aus, um zu den südlichen ergiebigen Fanggründen an der Eisgrenze zurückzukehren.
An der Hauptmaschine waren mittlerweile alle Auslassventile gewechselt worden. Die neuen Ventile hatten sie nach Flarrows Anweisung von Hand eingeschliffen, worüber besonders die Assistenten fluchten, die diese Arbeit während ihrer Hafenwachen erledigen mussten. Nun durften alle gespannt sein, welche Standzeiten diese Ventile erreichen würden. Der Zweite hatte die Brennstoffpumpen mit neuen Rückschlagventilen versehen, und das Schweröl im Tagestank war exakt auf Vorwärmtemperatur. Aber der Motor von Kältekompressor I machte Sorgen. Es war natürlich nicht die Schuld des Elektrikers, dass der Isolationswert des Motors nicht auf ein ausreichendes Niveau gebracht werden konnte. Aber der Elektriker fasste die ihm zugeteilte Arbeit an dem Motor als Schikane auf. Früher war es doch auch ohne diesen verdammten Kompressor gegangen, warum sollte er gerade jetzt gebraucht werden? Und je mehr er sich diese Gedanken zu eigen machte, umso mehr trank er, auch während der Arbeitszeit. Flarrow setzte sich hin und schrieb nach Hamburg, dass er den Elektriker von Vigo aus nach Hause schicken würde. Der Ersatz sollte aber wegen der noch zu erledigenden Arbeiten an der Bordelektrik Vollelektriker sein.
Der letzte Abend in Kapstadt! Die Agentur hatte zu einem Essen an Land eingeladen. Mit von der Partie war ein Texaner von der Personalabteilung von SAFMARINE, der staatlichen Reederei der Republik Südafrika. Ihm ging es darum, Patentträger anzuwerben. Es gab Verständigungsprobleme, weil der Texaner ungehemmt in seinem Slang parlierte und Flarrow rügte, der diesen Dialekt nicht so ganz verstand. Er machte ihm ein sehr gutes Angebot, aber ein Wechsel zu einer ausländischen Flagge kam für Flarrow nicht in Frage. Das tat man einfach nicht. In Erinnerung an diesen Abend würde das gewaltige T-Bone-Steak und der hervorragende Rotwein der Kapregion bleiben, sonst nichts.
Am nächsten Mittag wurden auf „HILDEGARD“ die Luken geschlossen, der zweite Trawler legte ab, bunkerte und ging in See. „HILDEGARD“ übernahm noch Frischwasser und Frischproviant, um dann gegen Abend die Reise nach Vigo anzutreten.
Während die Lichter von Kapstadt langsam hinter die Kimm rutschten, begann der kräftige Westwind mehr und mehr auf Süd zu drehen, und am nächsten Morgen liefen sie, vom Südost-Passat getrieben, im Benguelastrom. Wind und Strom „mit“, wann gab es das schon?!
Die Ladung hatte sich während des Ladens auf minus zwanzig Grad gehalten. Mehr war mit drei Kompressoren nicht drin.
In Dakar, das nur zum Bunkern angelaufen wurde, warteten zwei neue Kolben für die Hauptmaschine und weitere Ersatzteile für die Hilfsdiesel. Der Bunkerclerk, mit einem schweren Colt an der Seite, kam an Bord und verlangte von Flarrow, dass er die Bunkerbestellung ausfüllte. Flarrow meinte aber, dass er der Kunde sei und der Clerk das Ausfüllen erledigen sollte. Der Clerk klopfte nach Wild-West-Manier auf seinen Colt und murmelte etwas auf Französisch, das Flarrow nicht verstand. Um die Situation zu entspannen, legte er drei Stangen Zigaretten auf den Tisch, worauf der Clerk noch Seife verlangte. Als er die bekommen hatte, teilte er leicht grinsend mit, dass er gar nicht schreiben könne, und ein zorniger Flarrow füllte das wichtige Formular aus. Danach zauberte der Clerk ein weiteres Papier auf den Tisch.
Das war eine Erklärung, dass das Schiff 50.000 $ zahlen müsste, für den Fall, dass Bunkeröl „auch in geringen Mengen“ in das Hafenbecken gelangen würde. Flarrow unterschrieb zähneknirschend auch das, weil er einsah, dass hier jeder Protest zwecklos war. Die anderen saßen eben am längeren Hebel. Endlich erschien der französische Agent der Ölgesellschaft und teilte mit, dass in der Stadt Dakar, Hauptstadt der Republik Senegal, von Umsturz und Revolution geredet würde. Es gäbe Spannungen, und die Schwarzen wären nervös. Flarrow hielt ihm die Zahlungsverpflichtung unter die Nase und zeigte auf das ölige Wasser im Hafenbecken. Der Agent warnte ihn, denn die Bunkerleute hätten da eine Geldquelle entdeckt. Sie würden alles versuchen, einen Overflow herbei zu führen; und sie versuchten es natürlich. Aber der Zweite rettete die Situation, indem er den Bediener im richtigen Moment vom Absperrventil wegstieß und es zudrehte. Flarrow begann, die Leute von Land zu hassen. Er empfand diese Behandlung als Demütigung und dachte darüber nach, wie man zukünftig das Bunkern in Dakar umgehen könnte. „Scheiß Nigger“, sagte er zum Alten, der zustimmend nickte. Nach sechs Stunden Liegezeit verließen sie Dakar mit vollen Bunkern, froh, dass sie so gut davon gekommen waren.
Im Fischereihafen von Vigo löschten sie den Fisch mit durchschnittlich minus zwanzig Grad. In den oberen Lagen und unter den Luken waren es allerdings nur minus siebzehn und weniger, was aber hier niemanden interessierte.
Das Löschen dauerte vier Tage, in denen die Hauptmaschine zwei neue Kolben bekam. Die Auslassventile hatten durchgehalten, und eine Prüfung zeigte, dass sie wohl noch weiter durchhalten würden. Der Zweite war darüber so sauer, dass er Urlaub einreichte. Der Elektriker packte seine Sachen und verschwand nicht von Bord, ohne noch einmal eine richtige Saufparty mit seinen Freunden veranstaltet zu haben. Er konnte aber damit keinen bleibenden Eindruck bei Flarrow hinterlassen, der dieses Verhalten in seiner Beurteilung für die Reederei berücksichtigt hatte.
Nachdem die Ladung gelöscht worden war, begannen die Leute von Pescanova Ausrüstung und Stückgut in Luke I zu laden, und der neue Elektriker traf ein, ein sehr junger Mann, gerade ausgelernt und nun dabei, die große weite Welt kennen zu lernen. Sie hatten ihm einen unbefahrenen Elektriker-Assistenten geschickt! Noch schlimmer war aber, dass er von einem kleinen Handwerksbetrieb kam, der vornehmlich im Wohnungsbau tätig war. Solche Leute nannten sie an Bord „Schwachstrom-Elektriker“. Als Flarrow dem Jungen den Motor von Kältekompressor I zeigte, wurde der blass und sagte ihm frei heraus, dass er davon praktisch keine Ahnung hätte. Daraufhin bekam er ein Buch über Gleichstrommotoren in die Hand gedrückt. Und Flarrow empfahl ihm dringend, sich schlau zu machen. „Denken Sie daran, dass wir diesen Motor an Land geben werden und zwar zerlegt, weil wir ihn nicht durch das Kühlmaschinenraumschott bekommen. Er wird auch in Einzelteilen von Land zurückkommen, und Sie werden dann den Motor zusammenbauen und in Betrieb nehmen!“
Da das Laden sehr langsam ging, beschlossen Kapitän und Chief, einen Nachmittag an Land zu verbringen. Zunächst besuchten sie die von der Hamburg-Süd autorisierte Agentur LINEAS MARITIMAS, MEINO VON EITZEN Y CIE in der Valperra 5. Dort wurden sie sehr willkommen geheißen, denn solche Besuche bei den Agenturen waren eher selten geworden, weil die Leute von Bord kaum noch Zeit dafür hatten. Der hoch betagte Meino von Eitzen empfahl den Besuch von Baiona, einem Badeort mit viel Gastronomie. Sie bekamen auch gleich eine Empfehlung für ein bestimmtes Fischlokal mit. Nach einem sehr herzlichen Abschied, nahmen sie die Ferrocarril, eine schon fast historische Straßenbahn, die sich schlingernd, quietschend, knarrend und blitzend auf den Weg machte. Der Tourismus von 1967 war mit heute nicht zu vergleichen, und das Dorf lag Anfang April noch ein bisschen im Winterschlaf. Die empfohlene Gaststätte lag etwas höher in den Hügeln, wo man einen sehr hübschen Ausblick auf das Meer und das Dorf hatte. Der Wirt beendete seine Siesta und machte dem Personal lauthals Beine. Meeresfrüchte waren angesagt, und sie waren wirklich frisch. Es wurde eine richtige Schlemmermahlzeit mit Austern, Muscheln und allerlei nie gesehenem Schalengetier. Natürlich mussten sie bei so viel Eiweiß vorsichtig sein, weshalb als Zwischengang jeweils ein Carlos Primero fällig war und natürlich der vorzügliche Vino Rocha. Der überaus freundliche Wirt schenkte reichlich ein. Die deutschen Gäste waren hier noch eine Seltenheit, weshalb er sich sehr geehrt fühlte. Als Hauptgang hatte er zwei ausnehmend große Krabben, wie sie Flarrow noch nie gesehen hatte, angepriesen, die dann auch auf den Tisch kamen. Es schmeckte einfach herrlich, und sie waren seit langer Zeit wieder einmal frei von allen Verpflichtungen. Nach der zweiten Flasche Roten brachen sie auf, hinunter ins Dorf, so lange sie noch Tageslicht hatten. Im Dorf wanderten sie weiter, von einer Bar zur nächsten, was recht interessant war, bis sie schließlich die letzte Bahn nach Vigo erwischten. Dort angekommen, fanden sie ein nettes Restaurant, wo sie auf Bier umstiegen und köstliche Tapas vorgesetzt bekamen. Dort zeigte ihnen der Wirt auch ein Eisernes Kreuz erster Klasse, das er im Krieg an der Ostfront als Soldat in der spanischen Blauen Division bekommen hatte. Diese Division war Francos Beitrag zum Krieg Hitlers. Mehr hatte der Caudillo nicht für den deutschen Faschismus übrig gehabt.
Lange nach Mitternacht