Auferstehung. Лев ТолстойЧитать онлайн книгу.
suchenden Maslowa, als sie ihre Lage erfuhr, ihre Adresse und lud sie zu sich ein. Die Maslowa folgte der Einladung. Die Dame empfing sie freundlich, setzte ihr Pasteten und süßen Wein vor und schickte inzwischen ihr Stubenmädchen irgendwohin mit einem Zettel fort. Am Abend erschien ein hochgewachsener Mann mit graumeliertem langem Haar und grauem Vollbart im Zimmer. Er setzte sich sogleich zu der Maslowa und begann sie lächelnd anzublinzeln und mit ihr zu scherzen. Die Hausfrau rief ihn in ein anderes Zimmer, und die Maslowa hörte, wie sie zu dem Gaste sagte: »Sie kommt ganz frisch vom Dorfe.« Dann rief die Hausfrau die Maslowa heraus und sagte, der Herr sei ein Schriftsteller, der sehr viel Geld habe und sich erkenntlich zeigen werde, wenn sie ihm gefiele. Sie gefiel ihm, und der Schriftsteller gab ihr fünfundzwanzig Rubel und versprach, sie öfters wiederzusehen. Das Geld ging sehr bald für Bezahlung der Kost bei der Tante, für ein neues Kleid, einen Hut und Bänder drauf. Nach einigen Tagen schickte der Schriftsteller zum zweiten Mal nach ihr. Sie ging. Er gab ihr noch fünfundzwanzig Rubel und schlug ihr vor, sie solle in eine besondere Wohnung ziehen.
Während die Maslowa das von dem Schriftsteller gemietete Quartier bewohnte, verliebte sie sich in einen lustigen Kommis, der auf demselben Hofe wohnte. Sie machte dem Schriftsteller selbst davon Mitteilung und zog in eine andere, kleinere Wohnung. Der Kommis aber, der ihr die Ehe versprochen hatte, reiste, ohne ihr ein Wort zu sagen, offenbar in der Absicht, mit ihr zu brechen, nach Nischnij ab, und die Maslowa blieb allein. Sie wollte nun allein in dem Quartier weiterwohnen, doch erlaubte man ihr das nicht. Man erklärte ihr auf der Polizei, sie könne das nur, wenn sie sich unter die Aufsicht der Polizei stelle. Da zog sie wieder zu ihrer Tante. Als diese sie in dem eleganten Kleide samt Umhang und Hut erblickte, empfing sie sie achtungsvoll und wagte nun nicht mehr ihr vorzuschlagen, sie solle Wäscherin werden, da nach ihrer Meinung Katjuschka jetzt eine höhere Lebensstufe erklommen hatte. Für die Maslowa handelte es sich nicht mehr um die Frage, ob sie Wäscherin werden solle oder nicht. Sie blickte jetzt mitleidig auf das Sklavenleben herab, das diese – zum Teil schwindsüchtigen – blassen Wäscherinnen mit den mageren Armen in den vorderen Zimmern der Wohnung führten, wo sie bei dreißig Grad Wärme und bei im Sommer wie im Winter geöffneten Fenstern in den heißen Seifendämpfen wuschen und plätteten, und sie ward von Entsetzen erfüllt bei dem Gedanken, daß auch sie ein solches Sklavenleben führen sollte.
Zu jener Zeit nun, in der es der Maslowa, da sie gerade keinen Beschützer hatte, ganz besonders schlecht ging, wurde sie von einer Vermittlerin aufgesucht, die Mädchen für ein öffentliches Haus anwarb.
Das Rauchen hatte sich die Maslowa schon längst angewöhnt, und in der letzten Zeit hatte sie auch am Trinken mehr und mehr Gefallen gefunden. Der Branntwein zog sie weniger darum an, weil er ihr schmeckte, als vielmehr darum, weil er ihr die Möglichkeit gab, all das Schwere, das sie erlebt, zu vergessen, und weil er ihr eine gewisse Ungezwungenheit und eine Überzeugung von dem Werte ihrer Persönlichkeit einflößte, die sie ohne den Branntwein nicht gehabt hätte. Wenn sie nicht trank, war sie stets niedergeschlagen und schämte sich.
Die Vermittlerin bewirtete die Tante, machte die Maslowa betrunken und schlug ihr vor, in ein gutes, ja in das beste Haus in der Stadt einzutreten. Sie wußte ihr alle Vorteile und Vorzüge einer solchen Stellung in den glänzendsten Farben zu schildern, und der Maslowa blieb nur die Wahl, entweder von neuem die erniedrigende Stellung einer Dienstmagd anzunehmen, bei der es sicherlich ohne Nachstellungen von Seiten der Männer nicht abging, oder sich in die gesicherte, ruhige, gesetzmäßige Lage zu begeben, die ihr der Eintritt in ein öffentliches Haus darbot. Sie glaubte überdies durch ihren Eintritt in ein solches Haus auch an ihrem Verführer und an dem Kommis und überhaupt an allen Leuten, die ihr jemals Böses angetan hatten, Rache zu nehmen. Ausschlaggebend aber war für ihre Entscheidung, daß die Vermittlerin ihr sagte, sie könne sich dort so viele Kleider bestellen, als sie nur wolle – aus Samt, aus Rips, aus Seide, auch Ballkleider, welche die Schultern und Arme frei ließen. Als die Maslowa sich vorstellte, wie schön sie in einem hellgelben, mit schwarzem Samt besetzten, ausgeschnittenen Seidenkleide aussehen würde, da konnte sie nicht länger widerstreben und gab ihren Paß ab. Noch an demselben Abend brachte die Vermittlerin sie in das bekannte Haus der Kitajewa.
Und von diesem Augenblick an begann für die Maslowa ein Leben, das nichts anderes als ein fortlaufendes Übertreten der göttlichen und menschlichen Gesetze war, das von hundert und aber hundert Tausenden von Frauen geführt wird und für neun Zehntel von ihnen mit qualvollen Krankheiten und vorzeitigem Verfall und Tode endet.
Am Morgen und tagsüber der dumpfe, schwere Schlaf nach den Orgien der Nacht. Um drei, vier Uhr nachmittags das müde Aufstehen vom schmutzigen Bett, Selterwasser zur Vertreibung des Katzenjammers, und Kaffee – dann das träge Herumschlendern von Zimmer zu Zimmer, im Frisiermantel, in der Nachtjacke, im Schlafrock, das Herausschauen aus dem Fenster, hinter den Vorhängen, das müde Gezänk; dann das Waschen, Salben und Parfümieren des Körpers und des Haars, das Anprobieren der Kleider, das Streiten mit der Wirtin um diese Kleider, das Beschauen im Spiegel, das Schminken des Gesichts und Färben der Augenbrauen, die süße, fette Mahlzeit; dann das Anziehen des hellen, seidenen, den Körper entblößenden Kleides; dann das Hinaustreten in den festlich geschmückten, hell erleuchteten Saal, die Ankunft der Gäste jedes Alters, jedes Standes, jedes Charakters – und Geschrei und Zoten, Prügeleien und Wein, Tabak, Musik und Tanz vom Abend bis zum Morgen, und Konfekt und wieder Wein und Branntwein und Tabak. Und erst am Morgen kommt dann die Erlösung und der dumpfe Schlaf. Und so jeden Tag, im Sommer wie im Winter, am Wochentag wie am Feiertag.
So verlebte die Maslowa sieben volle Jahre. Während dieser Zeit wechselte sie zweimal das Haus und war einmal im Hospital. Im siebenten Jahre ihres Aufenthalts in dem öffentlichen Hause und im achten nach ihrem ersten Fehltritt, als sie eben sechsundzwanzig Jahre alt war, ereignete sich jener Vorfall, der sie ins Gefängnis brachte und jetzt vor den Richterstuhl führte, nachdem sie sechs Monate lang mit Mörderinnen und Diebinnen zusammen in Untersuchungshaft gesessen hatte.
3
Zu der Zeit, als die Maslowa, ermüdet durch den langen Weg, mit den beiden sie eskortierenden Soldaten das Gebäude des Bezirksgerichts erreichte, lag jener Neffe ihrer Erzieherinnen, Fürst Dmitrij Iwanowitsch Nechljudow, der sie einst verführt hatte, in den zerknüllten Kissen seines mit einer Daunenmatratze versehenen Sprungfederbetts, hatte den Kragen seines feinen, auf der Brust mit Plättfalten versehenen Nachthemds aus holländischer Leinwand bequem aufgeknöpft und rauchte eine Zigarette. Er sah mit starren Augen vor sich hin und dachte über das nach, was er heute zu tun hatte, und was gestern gewesen.
Bei der Erinnerung an den gestrigen Abend, den er in dem reichen und angesehenen Hause der Kortschagins verbracht hatte, deren Tochter er, wie man allgemein annahm, heiraten sollte, entfuhr ihm unwillkürlich ein Seufzer. Er warf den Stummel der zu Ende gerauchten Zigarette fort und wollte sich aus dem silbernen Etui eine neue Zigarette herauslangen, doch besann er sich anders, ließ seine glatten, weißen Füße aus dem Bett gleiten, holte mit ihnen seine Pantoffel heran, warf den seidenen Schlafrock über die vollen Schultern und begab sich mit raschem, schwerem Schritt in den an das Schlafzimmer angrenzenden Ankleideraum, der ganz von dem Dufte der Elixiere, des Kölnischen Wassers, der Bartpomaden und Parfüms erfüllt war. Dort putzte er mit einem besonderen Pulver seine an vielen Stellen plombierten Zähne, spülte sie mit einem wohlriechenden Mundwasser ab und begann hierauf, sich von allen Seiten zu waschen und mit verschiedenen Handtüchern abzureiben. Als er die Hände mit wohlriechender Seife gesäubert, die langgewachsenen Nägel sorgfältig mit Bürsten geputzt und sich dann an dem großen marmornen Waschtisch das Gesicht und den starken Hals gewaschen hatte, ging er noch in ein drittes Zimmer neben dem Schlafgemach, wo ein Duschbad für ihn hergerichtet war. Nachdem er dort seinen muskulösen, mit starken Fettpolstern versehenen weißen Körper dem kalten Wasserstrahl ausgesetzt und ihn darauf mit einem rauen Laken frottiert hatte, zog er die saubere, geplättete Wäsche und die spiegelblanken Stiefeletten an und setzte sich vor die Toilette, um mittels zweier Bürsten den kurzen, schwarzen, krausen Vollbart und das auf dem Vorderteil des Schädels bereits ziemlich stark gelichtete lockige Haar zu frisieren. Alle Gegenstände, deren er sich bediente – alle Toiletteinstrumente, wie auch die Wäsche, die Kleider, das Schuhwerk, die Krawatten, die Busennadel, die Hemdknöpfe – waren von bester und teuerster Qualität, unauffällig und einfach, dauerhaft