INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu. Thomas GASTЧитать онлайн книгу.
Stellungen bereits in vollem Gange, jedoch sah es für die beiden französischen Kompanien des Marschbataillons schlecht aus. Sie wurden von den Viéts gnadenlos zusammengeschossen. Rauch stieg aus den brennenden Hütten, Granaten krepierten und die Vietminh stießen bereits Schreie aus, die den Sieg verkündeten. Mitten hinein in diesen Tumult stieß die zweite Kompanie des 2. BEP - gerade noch rechtzeitig, nicht jedoch ohne Verluste: Ein Legionär, der neben dem Leutnant Cabiro in Stellung ging, wurde von einer Kugel mitten in die Stirn getroffen, andre brachen verwundet auf der Stelle zusammen. Ein Unteroffizier stöhnte auf, drehte sich um die eigene Achse und fiel. Er hatte, wie sich später herausstellen sollte, zwei Schüsse in die Leber bekommen, überlebte jedoch wie durch ein Wunder. Ein Leutnant der Kompanie wurde von einem Doum-Doum-Geschoss böse erwischt. Ihn im Feuer der Viéts in Sicherheit zu bringen, war eine Glanzleistung, die jedoch weitere Opfer forderte.
Verteidigungsbollwerk Bambuspalisade.
Die stärkste Gruppe der Vietminh, etwa hundert Mann, hatte sich inzwischen auf die neue Lage eingestellt. Geschlossen igelten sie sich ein und boten den Legionären die Stirn. Gut verbarrikadiert hinter einem Wall aus schwarzer Erde und geschützt von einem unüberwindbaren Bambuszaun hatten sie mit einigen Geiseln Stellung bezogen. Wütend warf Leutnant Cabiro zwei seiner Züge gegen diese Stellung. Verbissen rannten die Legionäre immer wieder gegen sie an. Viele von ihnen blieben auf der Strecke, dort, wo sie von einer Kugel getroffen zusammenbrachen oder sich verwundet gerade noch vor dem mörderischen Abwehrfeuer der Viéts in Sicherheit bringen konnten.
»Wir brauchen Unterstützung aus der Luft«, schrie Leutnant Cabiro ins das Funkgerät. Als die Maschinen endlich heran fegten, ging ein Aufatmen durch die Reihen der Legionäre, die ihre vordersten Positionen nur einen Steinwurf vom Feind entfernt mit Rauchtöpfen signalisierten. Das Straffing (unter Beschussnahme des Feindes aus der Luft) der Bell-P36 King Cobras dauerte den ganzen Nachmittag. Geleitet von einem Offizier am Boden, schossen sie ihre Bordkanonen leer, verschwanden kurz, nur um etwas später mit neuer Munition wieder anzugreifen. Es dauerte lange genug, bis auch die letzte Verschanzung der Viéts fiel. Gegen Ende des Nachmittags jedoch ergriffen sie panikartig die Flucht durch die Reisfelder, wo sie ein leichtes Ziel für die Legionäre boten.
»Feuer einstellen. Sie haben Geiseln dabei«, schrie jemand.
Das Feuer kam unverzüglich ins Stocken und tatsächlich. Deutlich konnte man sehen, wie drei Gestalten, umgeben von einem Dutzend Vietminh, mit Gewalt mitgezogen wurden. Die Hände auf dem Rücken gefesselt, wehrten sie sich, so gut sie konnten. Die Legionäre warfen ungeduldige Blicke in Richtung ihrer Chefs, die jedoch einen Augenblick lang ebenso machtlos schienen, bis dann ein beherzter Zugführer einen Befehl gab, der die Geiseln zwar in hohe Gefahr brachte, sie aber eben durch diese eiserne Entschlossenheit, zu der auch eine Prise Verwegenheit gehörte, in letzter Minute rettete.
»Feuer frei, schießt sie nieder.«
Schuss für Schuss trafen die Kugeln der Legionäre ihr Ziel. Instinktiv ließ der Feind von den Geiseln ab und floh panikartig, die Legionäre auf ihren Fersen. Der Sanitäter, ein junger Schweizer Legionär, wortkarg aber sicher in seinen Gesten, hatte sich gerade über sergent Lemoine gebeugt, als Leutnant Cabiro erschien. Schnell richtete er sich auf und bat um ein Gespräch etwas abseits des Verletzten, sodass dieser kein Wort von der Unterhaltung verstehen konnte.
»Wir haben eine Handvoll Verletzte, Herr Leutnant«, sagte er mit belegter Stimme. Er sah hinüber, dorthin wo der verletzte Offizier lag. »Sergent Lemoine und Leutnant Delteil werden die Nacht wohl kaum überstehen.«
Diese Nachricht machte Leutnant Cabiro noch wütender als er eh schon war. Er fühlte sich machtlos. Auch der Sanitäter schüttelte zunächst resigniert und ziemlich nachdenklich den Kopf, sah aber nicht weg als Cabiro ihn mit seinem Blick zu durchbohren schien.
»Sie hätten eine winzige Chance«, stotterte er.
Cabiro hob fragend seine Augenbrauen.
»Die wäre?«
»Sofortige Operation!«
»Spaßvogel. Wie sollen wir das bewerkstelligen?«
Die Augen des Sanitäters leuchteten plötzlich, als er sah, dass sowohl der Leutnant als auch einige Unteroffiziere die sich um die Verwundeten gedrängt hatten, ihn plötzlich höchst interessiert ansahen.
»Die Straße. Wenn es einem der Flugzeuge gelingen könnte darauf zu landen, dann...!«
»Hör mal gut zu, mein Junge«, sagte ein alter adjudant. Unbemerkt war er näher getreten. Er trug eine Maschinenpistole Typ Mat-49 aus deren Mündung noch Rauch quoll. Eine frische Verletzung im Gesicht zeugte davon, dass er einen blutigen Nahkampf hinter sich hatte. Der Bo-Doi hatte den Kürzeren gezogen, lag mit durchtrennten Halsschlagadern sterbend im Schilf. Der adjudant zeigte hinauf zum Horizont, dorthin, wo die King Cobras und eine Piper gerade eine Schleife drehten und verschwanden.
»Das waren Jagdflugzeuge, die können hier ohne eine feste Piste nicht landen.«
»Tante-Ju könnte es. Oder eine Piper mit dem Piloten einer Junker am Steuerknüppel«, brach es aus dem jungen Sanitäter heraus. Er war wohl nicht älter als zwanzig. »Sie landen auf fast jedem Acker. Der Pilot muss nur Mumm haben. Deswegen dachte ich an einen der Junker-Piloten, die haben Eier in der Hose. Zweihundert Meter Landestrecke genügen ihnen.«
»Und woher weißt du das, hm? Du hast wohl schon tausend Flugstunden im Gepäck, du Armleuchter.« Der adjudant, die Hände zu Fäusten geballt, machte einen Schritt in Richtung des Sanitäters. Er mochte es nicht, wenn sich jemand über ihn lustig machte. Der Sanitäter jedoch wich keinen Zentimeter vor dem alten Haudegen zurück. »Tausend? Werdens wohl gewesen sein, mon adjudant. Ich ... ich war Pilot.«
»Zurücktreten, adjudant. Er lügt nicht.« Leutnant Cabiro stellte sich schützend vor seinen Sanitäter. Gleichzeitig rief er nach dem Offizier der Luftunterstützung, der schon die King Cobras hierher gelotst hatte.
»Wie sehen Sie die Sache?«, fragte er ihn barsch.
Der Offizier fuhr mit beiden Händen durch sein Gesicht. Er sah müde aus.
»Wir müssen einen Piloten finden, der es wagt, auf der Straße zu landen. Wird allerdings ‘ne holprige Angelegenheit. Die Chancen, dass es eine Bruchlandung wird, liegen bei fünfzig-fünfzig.« Dann sah er in die untergehende Sonne, schüttelte den Kopf. »Außerdem wird es schnell dunkel. In ein paar Minuten wird der Pilot die Piste nicht mehr sehen können.«
Für den grobschlächtigen adjudanten mit der Narbe im Gesicht war die Sache somit erledigt. »Gut, das wär’s dann wohl.«
»Warten Sie«, schrie hingegen der Sanitäter. »Wenn die Piste nicht mehr zu sehen ist, dann beleuchten wir sie eben. Wir sammeln alle leeren, blechernen Essensrationen ein und füllen sie mit Dreck, den wir mit Benzin und Öl tränken. Die brennenden Pötte stellen wir beiderseits der Straße auf.«
»Könnte klappen «, sagte nun auch der Leutnant der CRABES, der das Gespräch mit verfolgt hatte. »Das nötige Gemisch kann ich euch geben und an Essensrationen fehlt es wohl nicht.«
Sofort ging die Nachricht durch die Reihen der Legionäre, die ihre Essensrationen hervorkramten, sie hastig verschlangen und dann mit Erde füllten. Das Ganze wurde mit Benzin und Öl übergossen, links und rechts der Straße aufgestellt und angezündet. Der Plan ging auf. Es fanden sich auch rasch zwei Piloten, die das Wagnis auf sich nahmen. Bereits eine halbe Stunde später landeten im kurzen Abstand zwei Piper auf der spärlich beleuchteten Straße voller Löcher und Matsch. Mit den Schwerverwundeten an Bord, erhoben sie sich mitten in der Nacht wieder in die Lüfte.
Neben einem ganzen Arsenal an Beutewaffen stellte die Kompanie auch Dokumente sicher die, so wie es sich herausstellte, von höchster Brisanz waren.
»Das sind Pläne für Angriffe auf Saigon«, schmunzelte der Stabsoffizier des französischen Geheimdienstes einige Tage später. »Welcher Einheit haben wir dieses göttliche Geschenk zu verdanken?«