Die Sprache des Traumes. Wilhelm StekelЧитать онлайн книгу.
das ist ihr Sohn (Sie hat ihn gepflanzt, ihn aufgezogen, ihn gepflegt. Er sollte ihre Stütze sein!). Sie sieht ihn im Geiste in der Brautnacht, sie sieht die Gravidität ihrer Schwiegertochter voraus. Sie ist eifersüchtig und leidet schwer unter dieser Eifersucht. Der kleine Sohn, dessen Amme sie gewesen, hat häufig im Traum die Bedeutung eines Penis. Hier steht er für beides. Der Traum lautet also: Ich sehe das Ende meiner Liebe voraus. Mein Sohn wird bald heiraten. Immer mehr verschwindet er für mich. Ich bedeute ihm immer weniger. Er geht ganz in seiner Liebe auf. (Der versinkende Baum!) Er wird seine Frau gravid machen, er wird Vater werden. So ändern sich die Zeiten.
Nun wäre es sehr interessant, zu erfahren, was die Fortsetzung des Traumes besagt. Wie sie sich aus diesen Schwierigkeiten befreit. Das ist das wichtigste Stück des Traumes und deshalb vollkommen unterdrückt.
Wir können nur aus anderen Analogien schließen, aus früheren Träumen der Patientin — um eine solche handelt es sich — dass das fehlende Stück vom Tode der jungen Rivalin handelt. Eine solche Rivalin starb ihr einmal vor 4 Jahren, und da brach infolge der Vorwürfe, die sie sich im Unbewussten machte, die Neurose aus. Jetzt treiben ihre Gedanken dasselbe Spiel und reagieren auf diese Schuld mit der Sühne der Angst.
Die Angst ist in letzter Linie immer die Angst vor sich selber. (Vergleiche die Worte, die Richard III. nach dem furchtbaren Traume vor der Schlacht spricht: „Was fürcht‘ ich denn! Mich selbst? Sonst ist hier niemand. Richard liebt Richard: das heißt: Ich bin ich. Ist hier ein Mörder! Nein. — Ja — ich bin hier. So flieh! — Wie? Vor dir selbst? Mit gutem Grund: Ich möchte rächen. Wie? Mich an mir selbst? loh liebe mich ja selbst. Wofür, für gutes, Das ich je selbst hätt‘ an mir selbst getan? O leider nein! Vielmehr hass‘ ich mich selbst!“)
Der wichtigste Gedanke ist hier der verdrängteste. Es ist der Todesgedanke. Bevor sie ihrer Schwiegertochter den eigenen Sohn gönnt, möchte sie ihn lieber sterben sehen. Er soll sterben, er soll verschwinden. Man gräbt ein Grab und legt einen Menschen hinein. Das sind für sie die wichtigsten Veränderungen der Erdoberfläche.
Solche böse Gedanken müssen eine Hemmung erfahren und sich als Angst äußern. Denn sie liebt ja ihren Sohn, sie will ihn nicht verlieren.
In jeden Traum spielt das Problem des Todes hinein.
Es gibt keinen Traum, hinter dem nicht das Gespenst des Todes steht.
Unsere Patientin lebt nur mit den Toten. Sie ist reich an Geistern (geistreich).
Weitere Beziehungen des Traumes gehen auf die Onanie (Schaukelbewegungen) und auf die Bisexualität. (Auch die sogenannte Mutterleibsphantasie, d. h. die Vorstellung im Leibe (Sarg!) der Mutter zu sein und alle Vorgänge des ehelichen Lebens zu beobachten, kommt in diesem Traume zum Durchbruch. Sie leidet an der Angst „lebendig begraben zu werden“.) Doch ich würde meine Leser verwirren. Der Traum ist schon zu schwer geworden. Es gibt eben keine einfachen Träume!
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Die Traumentstellung
Die Traumentstellung
(Zwei Träume vom Nachlaufen. Mein politischer Bismarcktraum.
Der Traum der prächtigen Villa. Der Traum vom Zuckerbäcker.)
„Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn
wird ihm im Traume aufgetan.“ Richard Wagner
Wir haben an zahlreichen Beispielen gesehen, dass der Traum eine symbolische Sprache spricht, dass mit der Auflösung der Symbolismen eine teilweise Erklärung des Traumes möglich ist. Ich betone es noch einmal: nur eine teilweise Erklärung, weil außer den Symbolismen noch verschiedene Vorgänge der Traumentstellung eine Rolle spielen, die ich hier erwähnen muss. Eine der wichtigsten Formen der Traumentstellung ist die Verkehrung in das Gegenteil. Dies ist schon den ältesten Traumdeutern bekannt gewesen, und auch vom Volke in ähnlicher Weise aufgefasst worden. Träumte einer vom Tod, so weissagte das ägyptische Traumbuch Geburt; erlebte jemand im Traume ein großes Unglück, so hatte das nach Ansicht der alten Traumdeuter ein großes Glück zu bedeuten. Über diese Auslegungen des Volkes haben sich manche Gelehrte lustig gemacht; es scheint aber, dass, wie Freud sehr treffend bemerkt, das Volksbewusstsein der Wahrheit viel näher gekommen ist als die Weisheit der Gelehrten. Eine ganze Reihe von Träumen wird nur dadurch zu deuten sein, dass wir das Prinzip der Verkehrung ins Gegenteil anwenden. „Kot bedeutet Gold. Gold und Kot sind Gegensätze, daher sich das Teufelsgeld der Sage nach in Dreck verwandeln muss. Eine Eigentümlichkeit des Traumes ist es aber gerade, Gegenteil für Gegenteil zu setzen. So bedeutet es Krankheit, wenn man jemand geputzt sieht, Zank, wenn man sich lieb hat und so ist lebhafte sinnliche Freude im Traume nicht selten eine Vorbotin von Schmerzen: Vae tibi ridenti, quia mox post gaudia flebis.“ (Kleinpaul — Sprache ohne Worte.)
Das lehrreichste Beispiel, das mir je untergekommen ist, will ich gleich mitteilen. Eine Dame sagte mir: Träume sind Unsinn. Es ist schon das vierte Mal, dass ich folgenden lächerlichen Traum geträumt habe:
(27.) „Eine kleine, alte, hässliche Frau läuft mir um den Tisch herum nach; ich habe Angst und wache mit Schrecken auf.“
Die Deutung war sehr einfach. Übersetzen wir die kleine, alte, hässliche Frau in das Gegenteil, so ein großer, junger, schöner Mann um den Tisch herum nachgelaufen ist, ein Vorgang, der natürlich einen Wunsch dieser üppigen mit einem sehr schwachen, zarten Manne verheirateten Dame darstellt, einen Wunsch, der durch Verdrängung zu Angst geworden ist. Die Fortsetzung des Traumes fällt der Dame erst nach meiner Deutung ein und gibt uns eine Bestätigung unserer Erklärung. Die bewusste alte Frau des Traumes reißt der Dame die Bluse auf und will ihr die Hand zwischen den Busen hineinstecken, ein Vorgang, der für die alte Frau vollends unverständlich, für den jungen Mann in dieser Situation, die eine Vergewaltigungsphantasie darstellt, begreiflich ist. Andererseits können wir auch annehmen, dass der Vorgang als solcher auch umgekehrt ist, dass sie mit dem Wunsche kämpft, einem großen Manne nachzulaufen; freilich wäre da das Ende unerklärlich. Wozu sollte sie denn dem großen Manne die Weste öffnen. Da lernen wir wieder ein Phänomen des Traumes kennen, welches „Verlegung von unten nach oben“ heißt. In vielen Träumen spielt sich alles, was sich unten abspielen soll, oben ab und auch umgekehrt. Das ist eine außerordentlich häufige Form der Traumentstellung, ein Vorgang übrigens, der auch in der Symptomatologie der Neurosen eine große Rolle spielt. Wenden wir das Prinzip von unten nach oben an, so ergibt sich der Wunsch, aggressiv vorzugehen und dem Traumobjekte die Hosentür zu öffnen. Beide Deutungen, die aggressive und die defensive, vereinigen sich sehr gut miteinander; denn es gibt keinen Sadisten, der nicht zugleich Masochist, keinen Exhibitionisten, der nicht zugleich Voyeur wäre. „Alle Triebe treten in Triebpaaren auf (Alfred Adler, Der Aggressionstrieb im Leben und in der Neurose. („Fortschritte der Medizin“, 1908. Nr. 19). Die treibende Kraft stammt bei Gesunden, Perversen und Neurotikern aus zwei, ursprünglich gesonderten Trieben, die später eine Verschränkung erfahren haben, der zufolge das sadistisch-masochistische Ergebnis zwei Trieben zugleich entspricht, dem Sexualtrieb und dem Aggressionstrieb.“) So bestätigt auch die Natur das Gesetz der Gegensätzlichkeit. Der Traum muss auch in der positiven Form einen Sinn haben. Sie fürchtet die Mutter! Sie hat homosexuelle Neigungen und wünscht den Griff, der übrigens eine Frage nach ihrer Mutterschaft bedeutet.
Denn sie ist steril. Sie wird niemals Milch in der Brust haben. Und nun kommen wir zur wichtigsten Bedeutung. Sie will wieder bei der Mutter sein und an der Brust der Amme liegen. Der Griff nach dem Busen ist der erste lustbetonte Griff der Jugend.
So spielt dieser Traum alle Kunststücke. Noch mehr! Die alte Frau, die ihr ans Herz greift, ist der Tod. Eine uralte Symbolik. Jede Angst ist auch Todesangst. Eigentlich auf Umwegen immer Todesangst.
So spielen hier Sehnsucht zu leben und Angst zu sterben, die Angst zu leben (sich auszuleben) und der Wunsch zu sterben ineinander.
Übrigens ist diese Form der Traumentstellung geradezu sprachlich begründet.
Sprachforscher haben darauf hingewiesen, dass in der Ursprache viele Worte einen Doppelsinn hatten, indem sie sowohl die eine Bedeutung als die gegenteilige Bedeutung ausdrücken konnten.
Dieser