Germinal. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.
gezogen hatte. Darum war denn auch Katharina ordentlich froh, als sie hörte, wie ihr Vater dem jungen Manne die Dinge erklärte.
»Schauen Sie, oberhalb der Schale ist ein Fallschirm, eiserne Krampen, die sich in die Falzen einhaken, wenn die Leitung reißt. Die Schutzvorrichtung funktioniert aber nicht immer... Der Schacht ist in drei Abteilungen gesondert, die von oben bis hinunter durch Planken abgeschlossen sind; in der Mitte laufen die Schalen, links ist der Schacht der Leitern...«
Doch er unterbrach sich, um mürrisch, aber nur halblaut zu sagen:
»Aber was soll das heißen? Darf man uns so gottesjämmerlich frieren lassen!«
Der Aufseher Richomme, der sich ebenfalls zur Anfahrt rüstete, und dessen Laterne mit frei brennender Flamme an seinem Barett hing, hörte diese Klage.
»Hab' acht, die Wände haben Ohren!« brummte er in väterlichem Tone als alter Arbeiter, der für seine Kameraden gütig geblieben. »Die Vorbereitungen müssen doch getroffen werden. Da, wir sind schon dabei; steige mit deinen Leuten ein.«
In der Tat harrte ihrer, fest in den Ankern sitzend, die durch Blechplatten und ein enges Drahtnetz geschützte Schale. Maheu, Zacharias, Levaque und Katharina schlüpften in einen rückwärtigen Kasten, und weil ihrer fünf dort Platz finden sollten, folgte ihnen Etienne; allein, da die guten Plätze schon besetzt waren, mußte er neben dem Mädchen niederhocken, dessen Ellbogen ihm den Bauch bearbeitete. Seine Lampe war ihm im Wege; man riet ihm, sie in ein Knopfloch seiner Jacke zu hängen. Aber er hörte nicht und behielt sie ungeschickt in der Hand. Das Einsteigen der Arbeiter dauerte fort über und unter ihnen; es war wie ein verworrenes Verladen von Vieh. Was ging denn vor, daß man noch immer nicht anfahren konnte? Sein ungeduldiges Harren schien ihm schon lange, bange Minuten zu währen. Endlich gab es einen Ruck, und alles versank, die Gegenstände um ihn her schienen zu entfliegen; er selbst hatte ein schwindelerregendes, beklemmendes Gefühl des Fallens, das ihm die Eingeweide zusammenzog. Es währte so lange, wie sie am Tageslichte waren und inmitten der rollenden Flucht des Gebälks durch die zwei Stockwerke des Aufnahmesaales fuhren. Als sie dann in die Finsternis des Schachtes hinabgesunken waren, war er wie betäubt und hatte nicht mehr das klare Bewußtsein seiner Empfindungen.
»Nun sind wir angefahren«, sagte Maheu ruhig.
Alle waren gutes Mutes; nur er fragte sich zuweilen, ob er steige oder sinke. Wenn die Schale gerade niederfiel, ohne die Falzen zu berühren, dann schien es, als sei sie unbeweglich; dann kam wieder ein plötzliches Erzittern, ein gewisses Hüpfen in den Balken, das ihm die Angst vor einer Katastrophe einjagte. Er konnte übrigens hinter dem Drahtgitter, an das er sein Antlitz drückte, die Wände des Schachtes nicht unterscheiden. Die Laternen beleuchteten nur undeutlich die zusammengepferchten Leiber zu seinen Füßen. Nur die frei brennende Lampe des Aufsehers in dem benachbarten Hund glänzte wie ein Leuchtfeuer.
»Dieser Schacht hat vier Meter im Durchmesser«, fuhr Maheu in seiner Belehrung fort. »Die Verzimmerung müßte schon erneuert werden, denn das Wasser sickert auf allen Seiten durch ... Jetzt kommen wir auf dem Grund an; hören Sie?«
Etienne fragte sich eben, was diesen platzregenartige Geräusch bedeuten möge. Zuerst hatten einige dicke Tropfen auf das Dach der Schale aufgeschlagen, wie bei dem Beginn eines Wolkenbruches; jetzt verdichtete sich der Regen, floß in einem Strom, verwandelte sich zu einer wahren Sintflut. Das Dach war ohne Zweifel durchlöchert, denn ein Wasserfaden floß auf seine Schulter herab und durchnäßte ihn bis auf die Haut. Die Kälte ward eisig; man versank in feuchter Finsternis, dann fuhr man blitzschnell durch eine blendende Helle; es war wie die Erscheinung einer Höhle, wo Menschen sich bewegen, im Lichte eines Blitzes gesehen. Schon sank man wieder in das Nichts.
Maheu sagte:
»Das ist der erste Absatz. Wir sind jetzt dreihundertundzwanzig Meter tief... Achten Sie nur auf die Schnelligkeit.«
Er hob die Laterne und beleuchtete einen Balken der Leitung, der mit solcher Geschwindigkeit dahineilte wie ein Schienengeleis unter einem mit vollem Dampfe dahinrollenden Zuge; darüber hinaus war noch immer nichts zu sehen. Es folgten noch drei Absätze, deren Helle man im Fluge durchfuhr. Der Regen prasselte mit betäubendem Geräusch durch die Finsternis hernieder.
»Wie tief es ist!« murmelt Etienne.
Ihm war, als währe dieser Fall seit Stunden, Er litt infolge der unbequemen Stellung, die er in dem Kasten eingenommen hatte, wagte aber nicht, sich zu rühren; besonders der Ellbogen Katharinas marterte ihn. Sie sprach kein Wort; er fühlte bloß, wie sie so eng an ihn gelehnt dasaß, daß sie ihn erwärmte. Als die Schale endlich am Grunde des Schachtes, in einer Tiefe von fünfhundertvierundfünfzig Metern hielt, hörte er erstaunt, daß der Abstieg genau eine Minute gedauert habe. Doch das Geräusch der Anker, die sich einhakten und das Gefühl der Festigkeit unter seinen Füßen gaben ihm sogleich seine gute Laune wieder, und zum Spaß redete er Katharina mit du an.
»Was hast du nur unter der Haut, daß du so warm bist?... Dein Ellbogen ist mir in den Bauch gedrungen.«
Da brach auch sie in ein Gelächter aus. Wie konnte er so albern sein, sie noch immer für einen Jungen zu halten? Hatte er denn die Augen verstopft?
»In den Augen hast du meinen Ellbogen, nicht im Bauche«, erwiderte sie mit einem neuerlichen Heiterkeitsausbruche, den der überraschte junge Mann sich nicht zu erklären wußte.
Die Schale leerte sich; die Arbeiter durchschritten einen Saal. Dieser Saal war in den Felsen gehauen, mit gemauertem Gewölbe, durch große Lampen mit frei brennendem Lichte erhellt. Die Verlader rollten die vollen Hunde mit dröhnendem Geräusche auf dem mit gußeisernen Platten belegten Boden dahin. Von den nassen Mauern ging ein Kellergeruch aus, eine nach Salpeter riechende Kühle, zuweilen durchweht von einem warmen Odem, der aus dem benachbarten Stalle kam. Vier Stollen öffneten sich hier klaffend.
»Nach dieser Richtung«, sagte Maheu zu Etienne. »Wir sind noch nicht am Ziel; wir haben gute zwei Kilometer zurückzulegen.«
Die Arbeiter trennten sich, verloren sich gruppenweise in der Tiefe dieser schwarzen Höhlen. Ihrer fünfzehn wandten sich nach dem linksseitigen Stollen; Etienne ging als letzter, hinter Maheu, dem Katharina, Zacharias und Levaque vorausschritten. Es war ein schöner Abfuhrstollen, quer durch die Schicht angelegt und von so festem Gestein, daß er nur stellenweise untermauert werden mußte. Einzeln schritten sie dahin, ohne ein Wort zu sprechen, in dem schwachen Lichte ihrer Laternen. Der junge Mann strauchelte bei jedem Schritte; seine Füße blieben in den Schienen stecken. Seit einer Weile ängstigte ihn ein dumpfes Getöse; es war wie das Grollen eines fernen Gewitters, das an Heftigkeit zuzunehmen und aus dem Innern der Erde zu kommen schien. War es der Donner eines Einsturzes, der die ungeheure Masse, die sie vom Tageslichte trennte, in Trümmer legte? Jetzt durchzuckte eine Helle die Nacht, und er fühlte den Fels erzittern. Als er sich gleich seinen Kameraden knapp an die Wand gestellt hatte, sah er vor seinem Antlitz ein großes weißes Pferd vorüberziehen, das vor einen Zug von Hunden gespannt war. Auf dem ersten Hunde saß Bebert und hielt die Zügel, während Johannes, die Fäuste auf den Rand des letzten Hundes gestemmt, mit nackten Füßen hinterdrein lief.
Sie setzten ihren Marsch fort. Weiterhin kam ein Kreuzweg; hier öffneten sich zwei neue Stollen, und der Trupp teilte sich abermals; die Arbeiter verteilten sich nach und nach auf alle Werkplätze der Grube. Der Stollen war hier mit einer Holzvertäfelung versehen; Eichensparren stützten die Decke und bildeten um den leicht einfallenden Felsen eine Verkleidung von Gebälk, hinter der man die Schieferplatten mit ihrem Glimmerglanze und die plumpe, glanzlose, rauhe Masse des Sandsteines sah. Züge voller oder leerer Hunde kamen unablässig vorüber und kreuzten sich mit einem Dröhnen, das sich im Dunkel verlor, wie fortgezogen durch undeutlich sichtbare Tiere in gespensterhaftem Trabe. Auf einem Nebengleise lag einer langen schwarzen Schlange gleich ein Kohlenzug, dessen Pferd schnaubte, dermaßen im Dunkel verborgen, daß das kaum sichtbare Hinterteil des Tieres einem in der Wölbung niedergefallenen Blocke glich. Lüftungstüren öffneten und schlossen sich langsam. In dem Maße, wie man weiter kam, wurde die Galerie immer enger, immer niedriger, mit ungleichem Dache, das die Arbeiter unaufhörlich zwang, sich zu bücken.
Etienne fuhr mit dem Kopfe hart an die Decke. Ohne den Schutz der Lederkappe hätte