Stolz und Vorurteil. Jane AustenЧитать онлайн книгу.
folgten andere, ähnlich verdrießliche. Obgleich sein kritisches Auge mehr als ein Merkmal vermißt zu haben glaubte, das für eine vollkommene Körperharmonie unerläßlich war, mußte er sich jetzt eingestehen, daß ihre Figur schlank und ansprechend war; und wo er früher ihr ungewandtes Auftreten betont hatte, wurde er jetzt durch die natürliche Heiterkeit ihres Wesens angezogen. Aber hiervon wußte sie nichts; für sie war er ein Mann, der sich überall unbeliebt machte und der sie nicht für hübsch genug erachtet hatte, um mit ihr zu tanzen.
Er verspürte den Wunsch, sie näher kennenzulernen, und gleichsam als Vorstufe zu einer eigenen Unterhaltung mit ihr, fing er an, ihren Gesprächen mit anderen zuzuhören. Erst dadurch wurde ihre Aufmerksamkeit wach.
Das war auf einer großen Gesellschaft bei Sir William Lucas. »Was denkt sich denn dieser Mr. Darcy«, fragte Elisabeth ihre Freundin, »daß er sich herstellt und meiner Unterhaltung mit Oberst Forster zuhört?«
»Auf diese Frage wird dir wohl nur Mr. Darcy selbst antworten können.«
»Wenn er es wieder tun sollte, dann werde ich ihm zeigen, daß ich weiß, wofür ich ihn zu halten habe. Er hat einen schrecklich zynischen Ausdruck in den Augen, und wenn ich ihm nicht selbst zuerst meine Meinung sage, bekomme ich noch Angst vor ihm.«
Als er sich ihnen bald darauf näherte, ohne anscheinend jedoch etwas sagen zu wollen, forderte Charlotte ihre Freundin heraus, ihr Wort zu halten, und es bedurfte nur dieser Ermunterung, daß Elisabeth sich an ihn wandte und sagte: »Fanden Sie nicht auch, Mr. Darcy, daß ich mich soeben recht geschickt ausgedrückt habe, als ich Colonel Forster damit neckte, er müsse doch einen Ball bei sich veranstalten?«
»Nun, mindestens sehr deutlich – aber bei dem Thema werden Damen ja immer sehr deutlich.«
»Sie sind sehr boshaft gegen uns.«
»Jetzt bist du an der Reihe, geneckt zu werden«, unterbrach ihre Freundin. »Ich werde das Klavier aufmachen, und du weißt, was du dann zu tun hast.«
»Für eine Freundin bist du ein komisches Geschöpf – immer willst du, daß ich vor allen Leuten und bei jeder Gelegenheit singe und spiele! Wenn meine Eitelkeit musikalisch wäre, könnte ich ohne dich nicht auskommen; aber da sie es nun einmal nicht ist, würde ich mich wirklich viel lieber nicht vor eine Gesellschaft hinstellen, die nur den besten Künstlern zu lauschen gewohnt ist.« Da aber Charlotte darauf bestand, fügte sie hinzu: »Nun gut, wenn es sein muß, dann muß es wohl sein.« Und indem sie Darcy ernsthaft ansah: »Es gibt ein schönes altes Sprichwort, das Sie sicherlich gut kennen: Spar deinen Atem, um deine Suppe zu kühlen – ich muß meinen jetzt leider auf Gesang verschwenden.«
Ihre Kunst war annehmbar, aber keineswegs überragend. Nach ein, zwei Liedern und bevor sie den Bitten ihrer Zuhörer um eine Zugabe nachkommen konnte, löste ihre Schwester Mary sie etwas voreilig am Klavier ab.
Mary, die einzige von den Schwestern, die nicht gut aussah, hatte sich als Gegengewicht hierfür ein gewisses Können und Wissen sauer erarbeitet und war nun stets eifrig darauf bedacht, ihre Errungenschaften zur Schau zu stellen. Leider besaß sie weder Talent noch Geschmack; und obgleich Eitelkeit und Ehrgeiz ihr zu einer nicht geringen Fertigkeit verholfen hatten, sprachen diese beiden Eigenschaften so stark aus ihrer schulmeisterlichen Miene und ihrem eingebildeten Gebaren, daß selbst ein weit höherer Grad von Können, als sie ihn erreicht hatte, ihre Fehler nicht aufgewogen hätte. Dem anspruchslosen, ungekünstelten Spiel Elisabeths hatte man mit viel mehr Vergnügen zugehört als dem sehr viel besseren Marys. Sie konnte zufrieden sein, daß sie nach einem langen, schwierigen Klavierkonzert doch noch Lob und Dankbarkeit mit einigen schottischen und irischen Weisen ernten durfte, die ihre jüngeren Schwestern und ein paar tanzlustige Offiziere von ihr erbaten und dann auch eifrig am einen Ende des Saales ausnutzten.
Mr. Darcy hatte sich in der Nähe der Tanzenden aufgestellt und schaute ihnen voller Geringschätzung zu. Wie töricht, dachte er, den Abend in einer Weise zu verbringen, die von vornherein jede Möglichkeit einer vernünftigen Unterhaltung ausschließt. Er war so sehr in seine ärgerliche Betrachtung vertieft, daß er es nicht bemerkte, wie Sir William Lucas zu ihm getreten war, bis dieser ihn ansprach.
»Eine entzückende und harmlose Beschäftigung für junge Leute, finden Sie nicht auch, Mr. Darcy? Es geht doch nichts übers Tanzen; ich betrachte es immer als eine der vornehmsten Errungenschaften eines wirklich kultivierten Volkes.«
»Gewiß, Sir William – und außerdem hat es noch den Vorzug, auch bei weniger kultivierten Völkerschaften äußerst beliebt zu sein. Jeder Wilde kann tanzen.«
Sir William lächelte nur hierzu. »Ihr Freund ist ein ganz hervorragender Tänzer«, fuhr er nach einer Weile fort, als er sah, daß Bingley sich unter die Tanzenden begeben hatte, »und ich irre mich wohl nicht, wenn ich in Ihnen ebenfalls einen Meister dieser Kunst vermute, Mr. Darcy?«
»Sie haben mich ja in Meryton tanzen sehen, Sir William.«
»Das habe ich, und der Anblick hat mir nicht geringes Vergnügen bereitet. Tanzen Sie häufig bei Hofe?«
»Nie.«
»Wäre das nicht eine passende Ehrung für den hohen Ort?«
»Es ist eine Ehrung, die ich keinem Ort erweise, wenn ich es irgend vermeiden kann.«
»Ich nehme an, Sie besitzen ein Haus in London?«
Darcy nickte bejahend.
»Ich trug mich seinerzeit selbst mit dem Gedanken, meinen Wohnsitz in London aufzuschlagen, denn ich schätze den Umgang mit der guten Gesellschaft sehr. Aber ich konnte dann doch nicht meine Zweifel unterdrücken, ob die Londoner Luft auch meiner Frau bekommen würde.«
Er sah seinen Gast erwartungsvoll an; aber Darcy schien nicht die Absicht zu haben, das Gespräch fortzusetzen. Während Sir William noch über eine neue Anknüpfung nachgrübelte, entdeckte er Elisabeth nicht weit von ihnen entfernt, und er zögerte nicht einen Augenblick, sich als überlegenen Weltmann zu zeigen.
»Meine liebe Elisabeth«, rief er hinüber, »warum sehe ich Sie nicht unter den Tanzenden? Mr. Darcy, Sie müssen mir erlauben, Sie mit einer ganz reizenden Dame bekanntzumachen. Selbst Sie werden sich mit so viel Schönheit vor Augen nicht mehr sträuben können zu tanzen.«
Und damit ergriff er Elisabeths Hand, um sie Darcy zuzuführen, der zwar etwas erstaunt über den plötzlichen Überfall war, aber durchaus nicht abgeneigt schien. Elisabeth jedoch machte sich heftig frei und sagte in einigem Unwillen zu Sir William: »Ich bitte Sie, ich habe nicht die geringste Lust zu tanzen. Sie meinten doch hoffentlich nicht, ich sei auf dem Wege, um einen Tänzer zu suchen?«
Mr. Darcy bat sie in aller Form und mit größter Höflichkeit, ihm einen Tanz zu gewähren, aber umsonst, Elisabeth ließ sich nicht bewegen; auch Sir Williams Versuche, sie doch noch zu überreden, blieben erfolglos.
»Sie werden doch nicht so grausam sein, Elisabeth, mich um den Genuß zu bringen, Sie tanzen zu sehen; und wenn Mr. Darcy auch im allgemeinen dieses Vergnügen nicht sehr schätzt, er wird uns jetzt bestimmt nicht den Gefallen versagen können.«
»Mr. Darcy ist ein Vorbild der Höflichkeit«, sagte Elisabeth lächelnd.
»Das ist er wohl; aber wer wäre es nicht bei einer solchen Veranlassung?«
Elisabeth sah Darcy spöttisch an und wandte sich zum Gehen. Ihr Widerstand hatte ihn jedoch in keiner Weise zu kränken vermocht, und er ertappte sich dabei, daß der Gedanke an sie ihm eine gewisse Freude machte, als er sich plötzlich von Miss Bingley angeredet fand.
»Ich kann den Grund Ihrer Nachdenklichkeit erraten.«
»Das möchte ich bezweifeln.«
»Sie haben sich eben überlegt, wie unerträglich es sein müßte, noch viele Abende auf diese Weise zu verbringen – in solcher Gesellschaft! Ich muß gestehen, Sie haben recht. Ich habe mich noch nie so gelangweilt: diese Flachheit bei all dem Lärm, diese Hohlheit der Leute bei all ihrer Wichtigtuerei! Ich gäbe was drum, Ihre Meinung hören zu dürfen.«
»Ihre Annahme ist durchaus irrig, kann