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Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die Kaiserreich Trilogie, 3. Der Kopf - Heinrich Mann


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ihr Haar gefärbt war. Er sagte anzüglich:

      »Bürgerkinder, die etwas anderes vorstellen wollen, übertreffen manchmal ihr Ideal.«

      Nun biß sie sich auf die Lippen. Dann versuchte auch sie es, anzüglich zu sein. »Ihr eigenes Ideal –« sie führte die Hand im Kreis umher – »hat Sie große Kämpfe gekostet? ... Das ist immer so«, antwortete sie selbst. »Damit ich mir die Haare färben konnte, mußte ich drohen, einen Liebhaber zu nehmen.«

      »Und Sie lassen es bei der Drohung?«

      »Ich denke nicht daran« – hochgemut wie ein Knabe.

      Da spürten sie einen schwachen Stoß; Jemand war aufgesprungen – ein Mädchen, rothaarig, im karierten Mantel. Dort saß sie, gerade ihnen gegenüber auf dem Brett hinter der Postkutsche, blickte her aus mehlweißem Gesicht, groß und stumm. Die junge Dame begriff wohl; sie sah auf Terra aus geistreichen Lidern. Er war ratlos, ob jetzt abzusteigen wäre. Statt dessen rückte er ihr näher, erklärte die Lage wie es ging, – und da sie den Kopf plötzlich bewegte, traf sein naher Mund ihren Hals, bei der Wange. War es vor Schreck, und um ihn fortzustoßen, daß sie sich gegen seine Lippen drängte?

      Als beide die Augen wieder öffneten, war das Mädchen fort. Sie schwiegen betroffen. Dann sah die junge Dame sich hastig um. »Meine Freundin bleibt lange aus.«

      »Es ist nicht Ihre Freundin«, sagte Terra. Seit drüben das arme Mädchen gesessen hatte, ward es ihm bewußt, diese hier sei gekleidet wie eine Reiche. Er bereute alles.

      Sie sagte: »Finden nicht auch Sie es schwer, so – durchschnittlich zu werden, wie man möchte?« Ihre Augen sagten: so gemein, und widerriefen alles, was geschehen war.

      Er sagte schneidend: »Ich bin Millionär. Es handelt sich um eine Wette. Eine Dame wie Sie, Gnädigste, sollte mir auf den Leim gehen.«

      Statt einer Antwort nahm sie leichthin aus ihrer Tasche den kleinen schwarzen Revolver, spielte damit und – entfaltete ihn. Es war ein Fächer. Terra wich, bis er aus dem Schlitten war.

      Das Karussell hielt an, die junge Dame winkte ihre Begleiterin herbei und auch die Kinder, die wieder umherstanden. Alle durften fahren, sie zahlte. Dreimalige Fahrt – dann erinnerte sie sich des Turmes nebenan, von dem man abrutschte. »Dorthin wollen wir. Man rutscht in zwei Sekunden ab, das ist gefährlicher als Ihr Karussell und lohnender.«

      Fort war sie. Er hatte keine Zeit, ihr nachzusehen, das Karussell füllte sich schon wieder. Wie er Kinder in den Schwanenschlitten setzte, fand er darin ein Buch: Ariost, italienisch – ohne Namen.

      Der größte Andrang war vorbei, er übergab das Geschäft dem Jungen und ging. In bürgerlicher Kleidung auf dem Sopha seines möblierten Zimmers dachte er, indes es dunkelte, an ihr Geständnis, es sei schwer, gemein zu werden. Dabei hatte sie den Kopf gehalten wie Lea. Schwer war es für ihn, für sie und für Lea. Er fühlte: ich muß sie wiedersehen, – und entschied nicht, ob jene Fremde oder seine Schwester.

      Klopfte es? Da stand sie in der Tür: noch glaubte er, es sei die Fremde, da sagte sie aus dem Dunkel: »Klaus«. Die Schwester war es. Sogleich sprang er auf, »ich habe einfach geschlafen« – machte Licht, nötigte sie beflissen auf seinen Platz, bot ihr Tee an: bei all' dem immer schwankend, was zu sagen sei. Sie belächelte ein wenig seine Verlegenheit, indes sie ihm antwortete. Es gehe ihr gut, o, recht gut. Das erste Jahr, er wisse es, sei sie zu einer Beliebtheit geworden. Dann kamen die Rückschläge, die Feindschaften. – »Also doch nicht gut?« – Nein, nicht gut. Sie kam jetzt von einem Gastspiel an einem Hoftheater. Starker Erfolg, aber nicht engagiert, denn ihre Stimme hatte gelitten. Sie machte »i« durch die Nase, um sich wieder einmal zu prüfen.

      Der Bruder stand vor ihr, er fühlte: dies ist endlich die Ruhestunde, wir dürfen beichten, vielleicht weinen. Die Schwester fragte: »Warum bist Du niemals gekommen, mich ansehen?« Da sagte er breit: »Liebes Kind, ich mute es auch Dir nicht zu, die Verantwortung zu übernehmen für meine Leistungen oder gar für meinen Lebenswandel.«

      Jetzt lächelte sie traurig. »Du stellst Dich, als seiest Du mit allem fertig. Wir sind es nicht.«

      »Sonst würden wir bessere Ellenbogen haben – und Erfolg.«

      »Nicht wahr?« – und sie schloß eine Sekunde lange die Augen. »Unsereiner mag entschlossen sein, für den Erfolg alles, rein alles zu tun.« Sie bewegte die Hand ein wenig theatralisch. »Es hilft nichts.«

      »Du kannst Menschen umbringen«, sagte der Bruder mit rollender Stimme. »Du wirst davon nichts haben.«

      »Einer wird etwas davon haben« – sie sprach nur vor sich bin.

      »Seit wann hast Du ihn nicht mehr gesehen?« fragte er verhalten. Er war überzeugt, sie komme gerade jetzt von Mangolf. Sie sagte aber: »Seit ich keinen Erfolg mehr habe.« Da schwieg er und schob die Zunge hin und her. Ihr Gesicht war im Schatten des Lampenschirmes, hatte sie denn wirklich Tränen in den Augen? »Nicht um uns, sondern um Jenen? ... Nun, sie ist ein Theatermädchen geworden und beweint ihre Jugendliebe ... Was aber aus ihr wird, sie ist Lea« – und schnell setzte er sich neben seine Schwester, er sagte schonend:

      »Ihm nachtrauern? Eine so schöne Person wie Du?«

      Er musterte sie, pries ihr einzeln ihre »Mittel«, dann sagte er: »Ich bin kein Schulmeister. Du darfst also ruhig aus der Schule plaudern.« Mit einem Seitenblick: »Zum Beispiel, der Kurschmied?«

      »O!« – voll Schrecken. »Ein wirklicher Freund!«

      »Und solche, die mehr sind?« – Da sie vielsagend schwieg: »Nun, Gott sei Dank.« Er rieb sich die Hände. »Der liebe Wolf trägt Hörner! Ich wäre der letzte aller Dilettanten, wenn es mir nicht glücken sollte, ihm zu beweisen, daß er ein lächerlicher Narr ist.«

      »Was hast Du vor?« Mehr gespannt als besorgt.

      »Einen heillosen Spaß« – wobei er aufstand, um sich Bewegung zu machen. »Jemanden, der an höhere Mächte glaubt, kann es den Verstand kosten.«

      »Das ist grausam«, sagte sie, ohne große Erregung. »Rächst Du Dich an ihm?«

      »Vielmehr Dich«, rief er feurig. »Du sollst Erfolg haben – in demselben Augenblick, da er den schändlichsten Hereinfall seiner empfänglichsten Jugendjahre erlebt. Ich gründe ein Theater, Du wirft die Primadonna.« Auch sie stand auf. »Ist das Ernst?«

      Er nahm sie vertraulich beim Arm, er sprach ihr von dem, was vorging mit Pilz und Lannas, er malte es aus. Die Dinge wuchsen, ihm selbst leuchtete es plötzlich ein, sie seien weiterzuführen. »Du wirst es sehen heute Abend, die Harmlosigkeit der braven Leute hat etwas Beschämendes, sie machen es uns zu leicht. Wozu ist man mit allen Wassern gewaschen.« Ihr am Ohr: »Der Parfümeur Pilz, dem der Mund nach Dir wässert, ist völlig der Mann, sich jahrelang von Dir an der Nase herumführen zu lassen. Inzwischen sind unsere Geschäfte besorgt« – böse auflachend, und sie lachte mit, ihr Bühnenlachen. Sie wechselte die Stellung und wartete, den Kopf im Nacken, auf ihr Stichwort.

      Statt es ihr zu geben, setzte er sich in das Sopha. Er schwieg, bis sie wieder neben ihm saß.

      »Haben wir dies alles nicht schon als Kinder erlebt?«

      »Du meinst die Tanzstunde.«

      »Ich verriet dem kleinen Wolf Mangolf, daß Du mit ihm zu tanzen wünschtest. Darauf schämtest Du Dich furchtbar.«

      Die Schwester schien sich noch heute zu schämen. Der Bruder sagte: »Unser Haus haben sie niedergerissen. Ob wenigstens im Garten noch die Bank steht?«

      »Auf der Bank lasest Du mir das Märchen von den roten Schuhen vor. Ich fürchtete mich vor ihnen. Noch jetzt, manchmal, wenn ich nicht weiß, wohin es kommen soll, denke ich, daß ich an den Füßen die roten Schuhe habe, die immer weiter tanzen.«

      Da klopfte es. Ihre Hände, die ineinander lagen, trennten sich. Kurschmied war es. Er begrüßte die Kollegin mit einer gewissen Abgeklärtheit, in die er Spuren des inzwischen Durchgekämpften hineinlegte, den Bruder aber mit fühlbarem


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