Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
aber ich glaube nicht, –“ setzte er gutmüthig hinzu – „daß ich gerade jetzt zur gelegenen Stunde komme.“
„Die Geschäfte sind in der letzten Zeit so schlecht gegangen –“ versicherte der Agent, mit einem unwillkürlichen Blick auf seinen Schwager.
Von der Hölle lächelte. „Ich weiß es, verehrter Herr, aber Sie wissen auch, daß ich mehr auf die Zinsen als das Capital rechne. Für jetzt bin ich vollkommen zufrieden. – Lieber Herr Lerche, es war mir außerordentlich angenehm, Sie wieder einmal gesehen zu haben – bitte, empfehlen Sie mich nochmals Ihrer liebenswürdigen Frau Gemahlin! – Lieber Köfer – ich hoffe doch, daß wir im nächsten Jahr unser kleines Geschäft reguliren können, wie?“
„Ich hoffe bestimmt,“ sagte Herr Köfer, und es war augenscheinlich, daß er sich Mühe gab, in Gegenwart seiner Schreiber ein etwas würdevolles Ansehen zu behaupten.
„Also auf Wiedersehen – bitte, keine Komplimente,“ und mit raschen Schritten glitt er mehr als er ging durch das Comptoir, der Thür zu.
/48/ Als Köfer – der unter keiner Bedingung gerade bei diesem Herrn die nöthige Artigkeit außer Acht lassen wollte – hinter ihm drein schoß und die Thür wieder öffnete, war er schon fort – und ganz unten auf der Treppe. –
Im nächsten Jahr – ziemlich um dieselbe Jahreszeit – machte ein Vorfall in X. viel Aufsehen. Herr Köfer nämlich, der Eigenthümer des Theaterbureaus, wurde vermißt, überall gesucht und nirgends gefunden, und die verschiedensten Gerüchte kamen darüber in Umlauf. Einige behaupteten, er sei im Fluß verunglückt – nach Anderen sollte er in Hamburg gesehen worden sein, um sich nach Amerika einzuschiffen – Gewisses konnte man aber nirgends über ihn erfahren, und nur die Schauspieler in X. versicherten auf das Bestimmteste: „daß ihn der Teufel geholt habe“.
Wie dem auch sei – er kam nicht wieder zum Vorschein, und Herr Lerche setzt unter der alten Firma das Geschäft fort.
Die Blatternimpfung.
Erstveröffentlichung 1872, Fliegende Blätter. Band 57.- München: Braun & Schneider. Nr 1407-1410.
1.
Doctor Julius Forbach war ein alter Junggeselle, der, und wenn auch nur in seiner eigenen Meinung, von der Zeit vergessen und weit über ein halbes Jahrhundert, trotz grauer Haare, Runzeln im Gesicht und eines nichtswürdigen Rheumatismus im linken Bein, noch jung geblieben war.
Morgens brauchte er, genau nach der Zeit lebend, wenigstens zwei Stunden zu seiner Toilette, zum Arrangiren seiner falschen Zähne, zum Brennen seiner, immer noch von Zeit zu Zeit gefärbten Haare, zum Rasiren, zum Anziehen, und tänzelte er mit einem kleinen Spazierstöckchen nachher aus, so besuchte er noch immer die Damen, für die er vor langen Jahren geschwärmt und die sich dann im Laufe derselben verheiratet hatten und Mütter, ja Großmütter geworden waren. Mit dem Schlag zwölf Uhr saß er aber jeden Morgen regelmäßig am Stammtisch bei Röhrichs am Markt, um sein Glas Bier zu trinken, speiste im Hotel, las nach Tisch im Café die Zeitungen, verbrachte seine Abende im Theater oder Concert, oder auch im Casino bei einer Parthie L´hombre und kehrte, genau um zehn Uhr, in sein wohl freundliches, aber doch auch sehr einsames Logis zurück, wo ihm eine alte Haushälterin die Wirthschaft führte und ein etwas sehr fauler Bursche in einer Art von Livréerock die anderen nöthigen Dienste leistete.
/50/ Uebrigens galt er bei allen seinen Bekannten und Freunden als eine Art von Factotum, das, mit gar keiner bestimmten Beschäftigung, von ihnen zu allerlei kleinen Diensten zweckmäßig verwendet werden konnte: Besorgungen in der Stadt, besonders von Theater- und Concertbilleten, Briefe in den Briefkasten zu stecken, einen Wagen zu bestellen, Annoncen in die Zeitungen zu rücken, Bücher in der Leihbibliothek umzutauschen, ein Recept in der Apotheke abzugeben, daß es das Mädchen nachher holen konnte, und andere dem ähnliche Dinge wurden ihm von den verschiedenen Damen mit dem größten Vertrauen übergeben, und irgend einen solchen Dienst zu verweigern, gestattete ihm schon sein gutes Herz und seine wirklich unermüdliche Gefälligkeit nicht.
Dafür war er aber auch überall gern gesehen; die Kinder jubelten, wohin er nur kam, denn er trug stets die Taschen voll Bonbons, und die Frauen lächelten ihm freundlich entgegen; war nämlich etwas in der Stadt passirt. so erfuhren sie es jetzt. Er kannte alle kleinen Familiengeheimnisse, da sich kein Mensch vor ihm genirte, und überraschte er auch wirklich einmal eine Dame seiner Bekanntschaft zu etwas früher Stunde noch in ihrem Morgenrock, so erschrak sie wohl im ersten Augenblick darüber, beruhigte sich aber rasch, sobald sie ihn erkannte, mit einem: „Ach, es ist nur der Doctor,“ und dies „nur der Doctor“ sicherte ihm zu jeder Stunde und aller Orten einen freundlichen und ungehinderten Empfang.
Doctor Julius Forbach war übrigens nicht etwa Arzt, obgleich er zahllose kleine unschuldige Hausmittel für jedes Leiden wußte und gewisse Pillen z. B. auch stets bei sich trug, sondern einfacher Doctor der Philosophie und einer von den Tausenden von Menschen, die auf der Welt „ihren Beruf verfehlt haben“. Er liebte die Wissenschaft, ja, aber mehr noch als sie, seine eigene Bequemlichkeit; er machte allerdings früher einige Versuche, in irgend welche Thätigkeit einzutreten, aber es ging nicht – er hatte zu viele Bekannte, die er nicht vernachlässigen durfte, kurz mit einem Worte: er verbummelte, und da er ein kleines Vermögen besaß, von dem er zur Noth sorgenfrei leben konnte, so gab er endlich alle weiteren Bemühungen /51/ auf und wurde, was er jetzt war: Doctor Julius Forbach, der gute Freund aller Welt.
In der Ferdinandsstraße der kleinen, aber ziemlich belebten Stadt Buntzlach wohnte der Notar Erich, noch nicht sehr lange mit seiner allerliebsten Frau verheirathet, in deren Eltern Hause Forbach seit langen Jahren aus- und einging und Elise Erich, als damaliges Lieschen Bertram, noch als kleines Kind gekannt und oft auf dem Arm herumgetragen oder auf dem Knie geschaukelt hatte. Er nannte sie deshalb auch jetzt noch Du und Lieschen, und war dort, wie fast überall wo er verkehrte, wie zu Hause.
Es ging auf elf Uhr Morgens, als er an einem freundlichen Sommertag, und eben von einem kleinen Spaziergang zurückkehrend, Erich’s Wohnung passirte und, da er doch keine weitere Beschäftigung hatte, beschloß, einmal vorzufragen, wie es ginge. Die kleine Frau war vor etwa drei Monaten von einem allerliebsten Mädchen entbunden worden, und er hatte die Kleine eigentlich noch gar nicht recht bewundert – was die Mütter doch sämmtlich verlangen; so gern er aber Kinder von etwa zwei Jahren an leiden mochte, so wenig machte er sich aus Säuglingen und ging ihnen lieber etwas aus dem Wege.
Er kam heute aber – für seine Bequemlichkeit wenigstens – zu nicht sehr günstiger Zeit, desto willkommener aber, wie es schien, der jungen Frau, die er schon vollständig angezogen und zum Ausgehen gerüstet traf. Sie rief ihm wenigstens, wie sie nur seiner ansichtig wurde, erfreut entgegen:
„Ach, bester Doctor! Sie hat mir der Himmel gerade jetzt geschickt, Sie müssen mir einen Gefallen thun!“
„Aber, mein bestes Lieschen,“ sagte der freundliche Mann, „Du weißt ja doch, wie gern ich Dir zu Liebe thue, was in meinen Kräften steht – aber vor allen Dingen, wie geht’s hier zu Hause und was macht die Kleine? Ich muß aufrichtig gestehen, ich bin eigentlich heute Morgen ganz besonders hierher gekommen, um ihr meine erste Visite zu machen und mich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen.“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen, lieber Doctor,“ sagte die junge Mutter, „und Sie sollen sie auch gleich sehen. Noch geht’s ihr auch, Gott sei Lob und Dank, vollkommen /52/ gut, aber Sie wissen doch, welche furchtbare Krankheit jetzt in der Stadt herrscht: die entsetzlichen Blattern, und diese gräßliche Epidemie tritt plötzlich, ja eigentlich erst seit gestern so bösartig auf, daß ich mich vor Angst gar nicht mehr zu fassen weiß.“
„Du hast sie doch impfen lassen?“
„Das ist es ja eben! noch nicht,“ rief die junge Mutter besorgt, „ich habe es noch immer hinaus geschoben, weil mir das Kind so zart schien und ich den Gedanken nicht ertragen konnte, daß ein fremder Mann mit einem scharfen Messer meinem armen herzigen Schatz in den Arm schneiden sollte, aber jetzt geht es ja nicht länger.“
„Nun, es ist damit auch jetzt noch nichts versäumt,“ sagte Forbach gutmüthig, „denn in diesem Stadttheil sind ja, so