Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
niederhingen und sich bei dem Schaukeln ebenfalls bewegten und hin und her schwangen.
„Sie verstehen das wirklich meisterhaft,“ rief Forbach entzückt aus, „aber die Mutter muß draußen sein – wenn Sie das kleine liebe Wesen nur einen Moment halten wollten – ich hole sie augenblicklich herein!“
„Aber nicht lange,“ rief das Fräulein ihm nach. Doch er hörte schon gar nicht mehr, was sie sagte, griff seinen neben ihm auf der Bank stehenden Hut auf und schoß wie ein Wetter aus der Thür. Draußen – und er athmete tief auf, als er die frische Luft um sich fühlte – warf er allerdings den Blick umher nach der jungen Frau, die ihm das Kind überlassen, da er sie aber nirgends entdecken konnte, hielt er sich auch keinen Moment länger auf und eilte, so rasch er konnte, zu Röhrichs hinüber, um dort mit einem Glas Coburger Exportbier den gehabten Schrecken hinunter zu spülen. Erst in der Nähe des bekannten Hauses, ging er langsamer, und leise vor sich hin sagte er zu sich selber:
„Julius, Julius, ich glaube fast, du hast dich diesmal mit außerordentlicher Geschicklichkeit aus einer höchst mißlich werdenden Lage herausgeschält – aber Fräulein Simprecht, wird die eine Wuth auf mich bekommen – aber was schadet’s – gut ist sie doch keinem Menschen, und mir trägt sie es außerdem immer noch nach, daß ich sie nicht schon vor zwanzig Jahren geheirathet habe. Na, die wird ein Gift haben, wenn die Mutter nicht wieder kommt! Das soll mir aber eine Warnung sein“ – und wie ein Wiesel glitt er in das Haus und in das Restaurationszimmer hinein, wo er indeß kein /66/ Wort von dem eben bestandenen Abenteuer erzählte. Er war froh, wenn hier kein Mensch etwas davon erfuhr.
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Fräulein Aurelie Simprecht hatte dem davoneilenden Doctor Forbach allerdings etwas erstaunt nachgesehen, dachte aber nicht im Entferntesten daran, was sie übernommen und jetzt durchzuführen gezwungen war. Im ersten Moment fühlte sie sich auch gewissermaßen stolz mit dem kleinen allerliebsten Kinde, und hatte gar nichts dagegen, daß neu eintretende Frauen sich um sie sammelten und das Kleine bewunderten. Es war für sie etwas Neues, und sie gab sich dem in der ersten Zeit mit Vergnügen hin – aber die Mutter des Kindes kam nicht, und Doctor Forbach kehrte ebenfalls nicht zurück. Außerdem ließ sie ihre Freundin, auf die sie hier gewartet, im Stiche, und Fräulein Simprecht, die einen nichts weniger als fügsamen und geduldigen Charakter besaß, fing an, mit jeder Minute mehr auf ihrer Bank umher zu rutschen und verlangende Blicke nach der Thür zu werfen. Das kleine Kind hatte ihr im Anfang allerdings Spaß gemacht und sich auch ruhig verhalten, weil es vielleicht durch die fremdartige Erscheinung ihrer neuen Wärterin überrascht und dadurch beschäftigt wurde, jetzt aber nahm das ein Ende. Es war vielleicht durstig geworden und verlangte nach der Mutter, oder lag – wie die Dame mit Entsetzen fürchtete, gar – naß, kurz es wurde unruhig und begann wenige Minuten später einen nicht mißzuverstehenden Hülfsschrei, der durch den ganzen Saal schallte und sich durch das beschwichtigende bisch, bisch der neuen Wärterin nicht mehr eindämmen ließ. Es schrie, was eben aus der Kehle heraus wollte, und Fräulein Simprecht erschrak zuerst und wurde dann indignirt.
Es war vollkommen rücksichtslos von Doctor Forbach, daß er sie hier auf diese Weise incommodirte. Sie hatte ihm aus Gefälligkeit das Kind für einen Moment abgenommen, und er ließ sie jetzt so lange warten. Dazu war sie nicht verpflichtet – wenn ihr jetzt das kleine Wesen ihr neues Kleid verdarb, so zahlte ihr der Doctor wahrhaftig kein anderes – und wo /67/ außerdem die Mutter blieb! Eine Frau, die ihr Kind wollte impfen lassen, mußte auch dabei bleiben und durfte nicht davonlaufen – es war, das Wenigste zu sagen, rücksichtslos. Und was hatte sie außerdem mit dem Balg zu thun?
Fräulein Simprecht arbeitete sich nach und nach in eine Gift- und Dolchstimmung hinein, wozu sich ihre etwas herbe Natur überhaupt neigte. Das Kind schrie jetzt mit einer merkwürdig starken Stimme, aus voller Kehle, kein Mensch bekümmerte sich dabei um sie, und nur den neugekommenen und umhersitzenden Frauen war sie aufgefallen, und sie unterhielten sich zusammen. Diesen Zustand ertrug sie natürlich nicht lange, und sich an die ihr nächste Frau wendend, sagte sie:
„Oh, möchten Sie wohl die Kleine einen Augenblick nehmen? Die Mutter ist hinausgegangen und muß gleich zurückkommen. Ich habe aber keine Zeit, hier länger zu warten!“
Die Frau war eine Hökerin aus der Stadt, mit einem ziemlich resoluten Gesicht und gar keiner Taille, auch eben erst hereingekommen, und sah die Sprechende voll und erstaunt an.
„Ich soll Ihr Kind halten?“ sagte sie endlich, „ich hab’ ja selber eins.“
„Aber es ist mein Kind nicht, liebe Frau,“ bemerkte Fräulein Simprecht, und hatte es dabei durch das „liebe Frau“ gründlich verdorben.
„Und was geht das mich an,“ sagte die Dame, „ob das Ihr Kind ist oder nicht? Geben Sie es der, der es gehört – mein’s ist es auch nicht!“
Das Fräulein biß sich auf die Lippen. Sie wußte aus Erfahrung, daß sie sich, so scharf ihre eigene Zunge sein mochte, mit derartigen Leuten doch nicht in einen Wortkampf einlassen durfte, denn sie hatte da schon verschiedene Male den Kürzern gezogen. Sie nahm deshalb auch das Kleine und trug es nach einer andern Seite hinüber, um sich dort seiner zu entledigen – aber vergeblich. Im Nu hatte es sich unter den neu Angetroffenen Frauen dieser Klasse im Saal ausgesprochen, daß die „vornehm aufgeputzte Dame“ das Kind „abgeben wolle“, und um nicht länger damit belästigt zu werden, wandte sie sich endlich an den Diener, der die Nummern abrief, und sagte zu diesem:
/68/ „Lieber Freund, eine Frau hat dies Kind hier gelassen und wird gleich wieder zurückkommen. Möchten Sie wohl so gut sein, es so lange in Obhut zu nehmen?“
„Iche?“ sagte der Mann und sah sie mit einem halbpfiffigen Lächeln an, „ne, ich habe schon sieben Würmer zu Hause und möchte das achte nicht dazubringen!“
„Aber die Mutter kommt gleich wieder, um es abzuholen!“
Der Mann ging auf keine weiteren Auseinandersetzungen ein. „Herr du meine Güte,“ sagte er ruhig, „schreit der Balg – der hat vielleicht eine Stecknadel verschluckt. Sehen Sie ihm nur einmal in den Hals!“ – und damit drehte er sich ab und ging wieder seinen Geschäften nach.
Fräulein Simprecht biß ihre Lippen fest aufeinander, aber sie war nicht gesonnen, sich auf solche Art mißhandeln zu lassen. Wer konnte sie zwingen, das jetzt Zeter schreiende Kind, das sie gar nichts anging, auf dem Arm herum zu tragen! Sie hatte allerdings versprochen, es auf einen Moment zu hüten – und das nicht einmal, denn Doctor Forbach war ihr auf heimtückische Art durchgegangen, aber damit war ihre Verpflichtung auch zu Ende. Sie hatte mehr zu thun, als hier fremde Kinder zu warten, und ohne sich um weiter Jemanden zu bekümmern, schritt sie durch den Saal, um einen passenden Platz auszusuchen, und legte dann das kleine schreiende Kind, so gut es eben gehen wollte, in eine Ecke nieder.
Wenn sie aber dabei glaubte, daß das unbemerkt geschah, so irrte sie sich. Möglich auch, daß sie sich gar nicht darum kümmerte, denn was ging sie das Kind an, aber die anderen Frauen waren da entschieden anderer Ansicht, und während sie ihr aufmerksam mit den Blicken folgten, sahen sie kaum, daß sie das Kind auf die Erde legte und dann der Thür zueilte, als ein paar von ihnen mit einem ordentlichen Wuthschrei emporsprangen und ihr nacheilten.
„Halt’t sie!“ schrieen sie dabei – „halt’t sie! die will hier ein Kind im Stich lassen – halt’t sie! halt!“
Fräulein Simprecht, die den Ruf hören mußte, warf einen Zornblick hinter sich, ließ sich aber dadurch nicht aufhalten und wollte eben zur Thür hinausfahren, als der dort stationirte /69/ Polizeidiener, der auch schon den Halteruf gehört hatte, ihr entgegentrat und frug, was es da gebe.
„Das Frauenzimmer,“ rief die Eine der sie Verfolgenden, „hat da eben im Saal ihr Kind in die Ecke gelegt und will sich jetzt aus dem Staube machen. Lassen Sie sie nicht fort – der arme Wurm geht ja da zu Grunde, und schreit schon jetzt, als ob er am Spieße stäke!“
„Was?“ sagte der Polizeidiener in moralischer Entrüstung – „ihr Kind?“
„Die Person ist verrückt!“ rief aber Fräulein Simprecht zornig aus. – „Es ist das Kind einer