Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
Fräulein,“ bat Alfred. „Sie schmähen sich selber. Gerade der lebendige Ausdruck in Ihren Zügen ist es ja, der mich verwirrt, denn unaufhörlich wechselt der vom Heitern zum Ernsten und wieder zurück. Wenn Sie sich nur ein klein wenig verschieden kleiden wollten!“
„Vielleicht in die Landesfarben,“ lachte Paula, „so daß wir nachher in der Stadt nach unserer Couleur die „Grüne“ und die „Weiße“ genannt würden. Ich danke Ihnen, aber Sie müssen mich jetzt entschuldigen,“ brach sie das Gespräch ab, „denn meine Pflicht ruft mich. Wenn Großpapa zurückkommt und das Essen ist nicht fertig, so zankt er,“ und mit einem freundlichen Kopfnicken huschte sie in eine der Kammern hinüber.
Alfred stieg wie in einem Traume die Treppe hinunter. Unten vor der Hausthür begegnete ihm der Oberforstmeister, aber er sah ihn gar nicht, schritt quer über die Straße hinüber und wanderte so lange in tiefen Gedanken fort, bis er zuletzt eine Hand auf seiner Schulter fühlte und sich angerufen hörte.
„Hallo, Alfred! so in Gedanken? Wo kommst Du her, und – was liegt Dir auf dem Herzen?“
Der junge Mann sah rasch und fast erschreckt auf, den /116/ Freund aber erkennend, nahm er dessen Arm und sagte, ihn mit sich fortziehend:
„Ich werde noch verrückt, Kurt, etwas Derartiges ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passirt.“
„Du bist auch noch sehr jung,“ lächelte der ältere Freund, „aber was ist es, wenn ich fragen darf?“
„Ich komme eben von Rankhorsts und – muß Dir gestehen, daß ich mir erst seit einigen Tagen eines Gefühls klar geworden bin, von dem ich mir selber keine Rechenschaft geben kann.“
„Du liebst Hulda, denke ich, und schwärmst für sie –“
„Ja, und das ist erklärlich, denn wer könnte sie sehen und sie nicht lieben, aber das Unerklärliche dabei bleibt, daß ich gerade das entgegengesetzte Gefühl für ihre Schwester empfinde.“
„Thorheit,“ lachte Kurt, „wie kann man etwas hassen, das genau und zum Verwechseln so aussieht, wie das, was man wirklich liebt?“
„Du nennst gleich den Grund mit,“ sagte Alfred; „es ist eine verzweifelte Geschichte, denn ich bin nicht im Stande, sie von einander zu unterscheiden, und sehe dabei kein Ende ab.“
„Aber Du hast mir doch selbst versichert, daß Du ein vorzügliches Mittel dazu an den Schleifen hättest.“
„Aber die vertauschen sie ja,“ rief Alfred heftig aus, „und ich habe mich jetzt in gegründetem Verdacht, mehrere Male Paula die schönsten Dinge gesagt zu haben, während ich Hulda vernachlässigte“ – Kurt lachte – „aber das Schlimmste dabei ist,“ fuhr der junge Mann erregt fort, „daß sie es absichtlich thun, allein um mich irre zu führen, und diesen Zustand ertrage ich nicht länger.“
„Sollten sie es nicht nur im Scherz gethan haben?“
„Ein schlechter Scherz, der mir das Herz zerreißt,“ erwiderte Alfred düster, „und traust Du mir nicht so viel Seelenkenntniß zu, daß ich die Züge von anderen unterscheiden würde, in denen ich wirkliche Liebe für mich läse. Es sind ein paar Koketten, weiter nichts.“
„Du thust ihnen Unrecht, Alfred.“
/117/ „Lehre Du mich Menschen kennen,“ sagte der junge Mann; ,aber es geht auch nicht anders, eine Entscheidung muß in der nächsten Zeit getroffen werden, oder ich gehe dabei zu Grunde.“
„Du meinst damit, daß Du vernünftig werden wirst.“
„Kurt!“ rief Alfred gekränkt, „wir sind alte treue Freunde, aber geh auch nicht zu weit.“
„Ich will Dich nicht kränken, aber wenn Du Dir Deiner eigenen Gefühle klar und dabei überzeugt bist, in Deinen Jahren einen Hausstand gründen zu können, weshalb sprichst Du nicht einmal offen mit Hulda und hörst dabei, was sie dazu sagt? Ihre Meinung mußt Du doch auch erfahren!“
„Und wenn ich dann wieder aus Versehen an die Falsche komme?“ sagte Alfred in fast komischer Verzweiflung.
„Das wäre freilich ein böser Spaß,“ lachte Kurt, „wenn Du der, die Du verschmähst, ohne es zu wissen, Deine Liebe erklärtest.“
„Ach Kurt,“ sagte Alfred unwillig mit dem Kopfe schüttelnd, „ich weiß ja selber nicht, wie es mit mir steht. Manchmal glaube ich, ich hasse Paula, und dann werde ich auch wieder an mir irre. Ich bin der unglücklichste Mensch, den es auf der Welt giebt.“
„Du redest, als wenn Du sechzig Jahre statt einundzwanzig zähltest.“
„An Erfahrung bin ich’s,“ rief der junge Mann, selber fast von dem überzeugt, was er sagte, „aber laß mich jetzt. Der Kopf wirbelt mir, ich muß mit mir allein sein und erst wieder klar denken können, dann erst werde ich handeln,“ und Kurt’s Arm loslassend, bog er rechts in die nächste Straße ein.
So vergingen mehrere Tage, ohne daß Kurt das Geringste von dem Freunde sah; nur bei Rankhorsts erfuhr er, er habe noch zweimal vorgesprochen, sich dann aber nicht wieder sehen lassen. Kurt suchte ihn jetzt selber verschiedene Male in seinem Quartier auf, fand ihn aber nie zu Hause und hörte das letzte Mal sogar von seinen Wirthsleuten, daß der Herr Lieutenant morgen abzureisen gedenke.
Am nächsten Morgen saß Kurt eben bei seinem Frühstück /118/ und der Zeitung, als es stark an seine Thür pochte und im nächsten Moment auch Alfred auf der Schwelle stand.
„In Reisekleidern?“ rief ihm Kurt entgegen, denn der Freund war wieder in Civil.
„Wie Du siehst, ja, aber ich wollte Dir vorher doch noch Lebewohl sagen.“
„Hast Du schön von Rankhorsts Abschied genommen?“ Alfred erwiderte die Frage nicht gleich, er sah den Freund erst eine Weile starr an; endlich sagte er:
„Erlaube mir, Kurt, Dir ein kleines Gedicht vorzulesen, das ich einmal vor längerer Zeit irgendwo las und mir abschrieb. Vor einigen Tagen kam es mir wieder zufällig, wenn wir in der Welt überhaupt einen Zufall wollen gelten lassen – in die Hände.“
Er nahm ein Blatt Papier aus der Tasche. „Die Ueberschrift,“ sagte er, „ist: „Frau und Schwägerin“, und das Gedicht lautet:
Sie glichen einander in Allem so sehr.
Es gab auf der Welt nichts so Aehnliches mehr.
Genau solch ein Blick – wie der Schnitt ihres Kleides –
Genau solch ein Herz – damals glaubte ich Beides,
Und täglich nur schien es mir mehr einerlei.
Wer von ihnen Frau oder Schwägerin sei.
Doch leider gesteh’ ich – ‘s ist schlimm, aber wahr.
Der Unterschied wurde erst später mir klar,
Und jetzt bin ich endlich dahinter gekommen,
Daß ich – aus Verseh’n nur – die Falsche genommen.
Nun denk’ ich und wünsch’ ich so hin und her.
Daß doch meine Frau meine Schwägerin wär’!
Die Frau? – Papilloten und stets Negligé –
Sie immer frisirt und der Anzug wie Schnee,
Die Frau voller Launen und mürrisch und hitzig –
Sie immer gleich freundlich, zuvorkommend, witzig.
Der Teufel hat sicher, zur Qual nur dem Mann,
Die Schwägerin mit in die Ehe gethan.
Doch giebt es Vollkommenes hier auf der Welt,
Wo Trübsal und Aerger vom Himmel oft fällt?
Die lieblichste Rose muß Dornen verstecken.
Das Licht hat den Schatten – die Sonne selbst Flecken,
Doch