Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
gethan hätte, um sie zu kränken.“
„Aber, mein Kind, wer soll das denken?“
„Lehr’ Du mich die Menschen kennen, Ludwig – lehr’ Du mich die Menschen kennen, und die Excellenz ist überhaupt mißtrauischer Natur und außerordentlich leicht empfindlich.“
„Das ist sie in der That,“ seufzte der Geheime Regierungsrath, „und außerdem, wie man sich erzählt, ein Drache.“
/133/ Aber, Ludwig!“ ermahnte ihn seine Gattin, indem sie ihm einen warnenden Blick zuwarf – er hatte jedenfalls ganz die Gegenwart des Kammermädchens vergessen. Die augenblickliche unglückselige Situation nahm aber vor der Hand all’ ihre Sinne in Anspruch, und ihren Gedanken folgend, murmelte sie halblaut: „Wenn wir es nur noch wenigstens Deiner Schwester absagen könnten; die würde es, unter solchen Umständen, gewiß nicht übel nehmen.“
„Das geht unter keiner Bedingung, Kunigunde!“ rief der Geheime Regierungsrath rasch und fast erschreckt aus. „Du weißt, wie selten wir sie überhaupt bei uns sehen, und sie war schon neulich etwas aigrirt darüber. Sie würde das als eine directe Beleidigung betrachten.“
Die Frau Geheime Regierungsräthin zog die Lippen ein wenig zusammen, erwiderte aber nichts darauf, bis sie endlich stöhnte:
„Dann weiß ich’s nicht – dann muß ich krank werden, denn mit dreizehn können und dürfen wir heute nicht an einem Tische sitzen, oder wir verderben es auf immer mit der Excellenz.“
„Vielleicht weiß ich da einen Rath, Mama,“ sagte jetzt Karl, der indessen nachsinnend in dem durch ausgehangene Kleider und sonstige Toilettengegenstände etwas beengten Raume auf und ab geschritten war, indem er vor der Mutter stehen blieb.
„Du? und welchen?“ frug die Mutter rasch – „Du weißt, daß Du heute nicht bei Tische fehlen darfst.“
„Allerdings, Mama, Papa hat mir den Grund gesagt, aber ich finde doch vielleicht noch eine Aushülfe, so daß wir wieder zu vierzehn sind.“
„Es ist jetzt gar nicht mehr möglich!“ rief die Mutter in Verzweiflung aus. „Du kannst doch nicht daran denken, in kaum einer Stunde vor dem Diner noch irgend wen einzuladen; es wäre so unschicklich wie möglich. Niemand würde es überhaupt annehmen.“
„Und genügte Dir ein Premierlieutenant, Mama?“
„Ein Fähnrich wäre ein Segen Gottes,“ rief die Mutter.
„Schön,“ lachte Karl – „auf der Universität wurde ich mit /134/ einem Lieutenant von Winbach bekannt, ein liebenswürdiger junger Mann, den bei uns einzuführen ich Papa schon um Erlaubniß bitten wollte.“
„Und Du glaubst, daß er käme?“
„Ich weiß es gewiß.“
„Aber er wird jetzt schon dinirt haben.“
„Um ein Uhr, so daß er bis Fünf wieder tüchtigen Hunger hat.“
„Und wo willst Du ihn jetzt finden?“
„Um diese Zeit ist er stets zu Hause.“
„Dann darfst Du aber auch keinen Augenblick mehr säumen, Karl,“ sagte die Mutter, – „gütiger Himmel, es ist schon ein Viertel auf fünf Uhr und meine Frisur noch nicht einmal in Ordnung! – Ludwig, Deinem Finanzrath verzeihe ich das im ganzen Leben nicht.“
„Also rasch an’s Werk, Mama!“ rief Karl lachend, indem er nach der Thür eilte, „ich gebe Dir mein Wort, ich schaffe Dir einen Vierzehnten und kehre nicht ohne ihn zurück.“
Damit verließ er das Haus, und es war ein Glück, daß die Frau Geheime Regierungsräthin jetzt gar keine Zeit mehr hatte, an irgend etwas Anderes als ihre Toilette zu denken, sie würde sonst die kurze Zeit vor dem Diner nur in peinlichster Angst und Aufregung verbracht haben.
3.
Karl versäumte wirklich keine Zeit. Er war allerdings selber noch nicht einmal in voller Toilette, aber er wußte auch, daß er diese in wenigen Minuten beenden konnte. Sein Freund Winbach wohnte außerdem auch nur eine kurze Strecke von ihnen entfernt, und rasch eilte er die Straße entlang, um ihn aufzusuchen.
Dort traf ihn aber wie ein Donnerschlag die Kunde, daß der Herr Lieutenant vor etwa einer halben Stunde ausgeritten sei und die Andeutung gegeben habe, daß er nicht vor sieben /135/ Uhr Abends – wahrscheinlich noch etwas später – zurückkehren würde. – Und was jetzt? – Im Sturm überlegte er nun, wen anders er für ihn, in der nun wirklich drängenden Zeit, auftreiben könne, und die wenigen Freunde, die er hier in der Stadt hatte, ließ er im Fluge an seinem Geiste vorüber gleiten. Aber da half nichts als eine Droschke, und in die warf er sich. – So pünktlich begannen ja auch derartige Diners nie, und Mama hatte Geschick genug, um die Tafel noch für kurze Frist hinaus zu zögern.
Beide Freunde waren Commilitonen von ihm und wohnten zusammen; traf er sie aber auch Beide an, so schadete das nichts, er nahm sie gleich alle Beide mit, denn Einer zu viel machte keinen Unterschied. Unglücklicher Weise wohnten sie aber in einem sehr entlegenen Stadttheil, und der Kutscher hieb erst nach dem Versprechen eines guten Trinkgeldes auf sein Thier ein, daß die alte Droschke nur so über das Straßenpflaster dahin rasselte.
„Pech!“ murmelte aber Karl vor sich hin in den Bart, als er, an Ort und Stelle angelangt, die Wohnung glücklich gefunden und nun auch hier erfahren mußte, daß die beiden jungen Leute, bei dem schönen Wetter heute, einen Spaziergang gemacht hätten und es ganz ungewiß sei, wann sie zurückkehren würden, – keinenfalls aber vor zehn Uhr Abends. – „Pech – heilloses Pech!“ wiederholte er mit zusammengebissenen Zähnen, „und was nun? – habe ich nicht Mama versprochen, daß ich ihr einen Vierzehnten mitbringen würde?“
Hier war nichts mehr zu machen. Er war in dieser Gegend sonst vollkommen unbekannt, und wo sollte er jetzt noch Jemanden finden, der in den wenigen Minuten bereit sein würde, einem Diner beizuwohnen? Und in diese Gesellschaft konnte er auch nicht Jeden einführen.
Am Markt, also nicht weit von ihrem Hause, wohnte ihr Hausarzt, ein noch junger, sehr gebildeter und tüchtiger Mann – daß er an den auch nicht früher gedacht! Das arme geplagte Droschkenpferd mußte den Weg wieder mit erneuter Hast zurücklegen, was es aber gern unter dem irrigen Gefühl that, daß es seinem eigenen Stalle damit entgegen eilte. – /136/ Traurige Täuschung! in der nächsten halben Stunde war es vielleicht schon wieder im nächsten Dorfe.
Am Markt angelangt – und. jetzt fehlten nur noch zehn Minuten an fünf Uhr, bezahlte er die Droschke und stieg zu des Doctors Wohnung zwei Treppen hoch empor. – „Mein lieber Gott,“ betete er unterwegs, als er die Stufen emporstieg, „laß mich nur diesmal den Doctor zu Hause und hungrig finden,“ und mit den Schlußworten zog er schon die Klingel – Niemand kam – noch einmal riß er daran, daß es durch das ganze Haus vibrirte. – Jetzt hörte er Schritte – drinnen ging eine Thür und ein schwerer Schritt wurde laut.
„Gott sei Dank!“ murmelte Karl zwischen den Zähnen, als drinnen ein Schlüssel umgedreht und die Thür geöffnet wurde. Aber nicht des Doctors sehnlich erhofftes Angesicht schaute heraus, sondern der dicke rothe Kopf der Köchin.
„Bitte, schreiben Sie’s nur auf die Tafel da,“ sagte diese, ohne eine weitere Bemerkung oder Frage für nöthig zu halten.
„Der Herr Doctor ist nicht zu Hause?“ rief Karl fast außer sich.
„Ne,“ sagte das Mädchen, – „wenn er wieder zurückkommt, sieht er jedesmal die Tafel an und schreibt sich, was darauf steht, in sein Taschenbuch.“
„Sehr angenehm,“ sagte Karl, indem er sich in Verzweiflung wieder wandte und die Treppe hinunterstieg.
„Wollen Sie’s denn nicht aufschreiben?“ rief ihm das Mädchen nach; Karl gab ihr aber gar keine Antwort – es war rein zum Verzweifeln, und in einer ähnlichen Stimmung fand er sich gleich danach auf der Straße, die er jetzt, vollständig rathlos, seinem elterlichen Hause zu entlang schritt.
„Zum Henker