Der fliegende Holländer. Фредерик МарриетЧитать онлайн книгу.
Fenster zurückgezogen haben, aber Philipp fuhr fort: »Haltet, Jungfrau! Haltet einen Augenblick, bis ich Euch um Verge-bung gebeten habe für meine wilde, törichte Handlung. Ich schwöre Euch's bei dieser geheiligten Reliquie,« fügte er bei, indem er sie vom Boden aufhob und an seine Lippen führte, »dass ich nicht so gehandelt haben würde, wenn ich gewusst hätte, dass sich eine harmlose Person in diesem Hause befinde; umso mehr freut mich's aber jetzt, dass kein Schaden geschehen ist. Dennoch ist die Gefahr noch nicht vorüber, Jungfrau. Die Tür muss aufgeriegelt und die Pfosten, welche noch immer glimmen, müssen mit Wasser begossen werden, da das Haus sonst doch noch in Brand geraten könnte. Fürchtet nichts für Euren Vater, Jungfrau, denn hätte er mir auch tausendmal mehr Unrecht getan, so wäret Ihr doch im Stande, jedes Haar auf seinem Haupte zu schützen. Er kennt mich gut genug, um zu wissen, dass ich mein Wort halte. Erlaubt mir, das Unrecht, das ich verübt habe, wieder gut zu machen, und dann will ich mich entfernen.« »Nein, nein; traue ihm nicht,« sagte Mynheer Poots aus dem Inneren des Gemachs.
»Ja, ich will ihm trauen,« versetzte die Tochter. »Seine Dienste sind sehr von Nöten, denn was könnte ein armes, schwaches Mädchen, wie ich, und ein noch schwächerer Vater, in einer so beängstigenden Lage ausrichten? Öffnet die Tür, damit wir das Haus in Sicherheit bringen können.« Die Jungfrau redete sodann Philipp an: »Er wird die Tür öffnen. Ich danke Euch für den zugesagten freundlichen Dienst und baue unbedingt auf Euer Versprechen.« »Niemand kann mir nachsagen, dass ich je mein Wort gebrochen hätte,« erwiderte Philipp; »aber er muss sich beeilen, denn die Flammen brechen bereits wieder los.« Mynheer Poots öffnete nun die Tür mit zitternden Händen und flüchtete sich hastig wieder die Treppen hinauf. Die Wahrheit dessen, was Philipp gesagt hatte, war augenscheinlich. Es bedurfte vieler Eimer Wasser, bis das Feuer ganz gedämpft war; aber während des Löschgeschäftes ließen sich weder Tochter noch Vater blicken. Sobald alle Gefahr beseitigt war, schloss Philipp die Tür und blickte wieder nach dem Fenster hinauf. Das schöne Mädchen trat vor, und Philipp versicherte ihr mit einer tiefen Verbeugung, dass jetzt nichts mehr zu fürchten sei. »Ich danke Euch,« versetzte sie, – »ich danke Euch recht sehr. Ihr habt Euch anfangs zwar übereilt, aber doch zuletzt noch mit großer Umsicht benommen.« »Bemerkt Eurem Vater, Jungfrau, dass ich keinen Groll mehr gegen ihn hege und dass ich nach einigen Tagen kommen werde, um seine Forderung zu befriedigen.« Das Fenster schloss sich. Philipp sah in großer Aufregung, aber mit ganz anderen Gefühlen, als bei seiner Ankunft, eine Minute lang darnach hinauf und lenkte dann seine Schritte nach der eigenen Wohnung.
Drittes Kapitel
lebhaften Eindruck auf Philipp Vanderdecken gemacht, dessen Brust jetzt außer der früheren Last eine neue Aufregung bedrückte. Zu Hause angelangt, ging er die Treppe hinauf und warf sich auf das Bett, aus welchem ihn Mynheer Poots geweckt hatte. Anfangs rief er sich die im vorigen Kapitel geschilderten Scenen wieder in's Gedächtnis und führte seiner Einbildungskraft die Züge des holden Mädchens, ihre Augen, den Ausdruck ihres Antlitzes, ihre Silberstimme und die Worte, welche sie gesprochen hatte, vor; aber die liebliche Gestalt wurde bald durch den Gedanken verscheucht, dass die Leiche seiner Mutter im anstoßenden Gemache liege und seines Vaters Geheimniß im unteren Gemache verborgen sei.
Die Beerdigung sollte am andern Morgen stattfinden, und Philipp, der seit seinem Zusammentreffen mit der Tochter von Mynheer Poots nicht mehr so dringend verlangte, das Zimmer alsbald zu öffnen, beschloss, dieses Werk erst nach Vollziehung der Bestattung vorzunehmen. Mit diesem Entschlusse schlief er, körperlich und geistig sehr erschöpft, ein und erwachte erst am andern Morgen, als er von dem Priester geweckt wurde, um dem Leichengottesdienste anzuwohnen. Nach einer Stunde war Alles vorüber; das Leichengefolge zerstreute sich, und Philipp kehrte nach der Hütte zurück; er verriegelte die Tür, um sich gegen alle Störung zu schützen, und fühlte sich glücklich, dass er allein sein konnte.
In unserem Wesen liegt ein Gefühl, das sich stets zeigt, wenn wir uns wieder in der Behausung finden, wo der Tod geweilt hat, nachdem alle seine Spuren entfernt sind. Es ist ein Gefühl der Beruhigung und der Erleichterung, dass wir die Erinnerungszeichen der Sterblichkeit fortgeschafft haben – das stumme Zeugniß von der Flüchtigkeit unseres Treibens und unserer Entwürfe. Wir wissen, dass wir eines Tages sterben müssen, mögen aber nie daran denken. Die fortwährende Erinnerung daran würde ein zu großer Zügel für unsere Erdenwünsche sein, und obgleich man uns predigt, wir sollen stets die Zukunft im Auge haben, so finden wir doch, dass das Leben kein sonderlich heiteres sein könnte, wenn es uns nicht hin und wieder gestattet wäre, zu vergessen; denn wer würde Plane entwerfen, die der Mensch nur selten in Ausführung bringen könnte, wenn er jeden Augenblick des Tages an den Tod dächte? Wir hoffen entweder, dass wir länger leben werden, als Andere, oder vergessen wenigstens, dass das Gegenteil so leicht möglich ist.
Wäre diese Spannkraft nicht unserer Natur eingepflanzt, wie wenig hätte die Welt sogar durch die Sintflut verbessert werden können! Philipp ging in das Zimmer, wo seine Mutter noch vor einer kurzen Stunde gelegen hatte, und fühlte sich unwillkürlich erleichtert. Er nahm den Schrein wieder vor und begann abermals sein Geschäft. Das Hinterbrett war jetzt bald beseitigt und er entdeckte ein geheimes Schubfach, das er herauszog. Wie er vermutet hatte, enthielt es den Gegenstand seines Suchens – einen großen Schlüssel mit einem leichten Rostüberzuge, der sich durch die Berührung abwischte. Unter demselben lag ein Papier, dessen Schrift etwas verblichen war. Der Inhalt war von der Hand seiner Mutter geschrieben und lautete folgendermaßen: –
»Es sind nun zwei Nächte, seit ein schreckliches Ereignis stattfand, das mich veranlasste, die untere Stube zu schließen, und doch verfolgt mich der Schrecken noch immer in einem Grade, dass mir bei dem Gedanken daran der Kopf springen möchte. Sollte ich während meiner Lebzeiten nicht enthüllen, was vorgefallen ist, so wird doch dieser Schlüssel nötig sein, um nach meinem Tode das Zimmer zu öffnen. Als ich aus demselben fortstürzte, eilte ich die Treppe hinauf und blieb jene Nacht bei meinem Kinde. Am andern Morgen nahm ich allen meinen Muth zusammen, um hinunterzugehen, den Schlüssel umzudrehen und ihn nach meinem Gemache zu bringen. Jene Stube soll verschlossen bleiben, bis ich meine Augen im Tode schließe. Keine Noth, keine Entbehrung soll mich veranlassen, sie je wieder zu öffnen, obgleich in der Eisenkiste unten im Schranke, der am weitesten vom Fenster absteht, Geld genug für alle meine Bedürfnisse liegt. Jenes Geld soll dort bleiben für mein Kind, dem ich vielleicht das verhängnisvolle Geheimnis nicht mittheilen kann; es wird jedoch hieraus die Überzeugung gewinnen, dass es ein Geheimnis ist, welches besser verborgen bleibt, da es schrecklich genug war, mich zu derartigen Schritten zu veranlassen. Die Schlüssel zu der Kiste und zu den Schränken lagen, glaube ich, auf dem Tische oder in meinem Arbeitskörbchen, als ich das Zimmer verließ. Auch befindet sich auf dem Tisch ein Brief – wenigstens meine ich so. Er ist versiegelt. Niemand soll das Siegel erbrechen, als mein Sohn, und auch dieser nicht, wenn er nicht bereits von dem Geheimnisse Kunde hat. Der Priester möge ihn verbrennen – denn er ist verflucht; – und selbst wenn mein Sohn Alles wissen sollte – was mir bekannt ist – oh! So möge er inne halten und sich wohl bedenken, ehe er das Siegel öffnet, denn es wäre besser, dass er nichts Weiteres erführe!«
»Nichts Weiteres?« dachte Philipp, während seine Augen immer noch auf dem Papiere hafteten. »Ja, aber ich muss und will mehr erfahren! Verzeih' mir daher, teuerste Mutter, wenn ich keine Zeit mit Erwägungen verschwende; es wäre doch nur vergeblich, wenn man so entschlossen ist, wie ich.« Philipp presste die Unterschrift seiner Mutter an die Lippen, legte das Papier zusammen und steckte es in seine Tasche; dann ergriff er den Schlüssel und begab sich die Treppe hinunter.
Es war gegen Mittag, als Philipp sich anschickte, das Gemach zu öffnen. Die Sonne schien hell, der Himmel war klar und Alles in der Natur draußen atmete Frohsinn und Leben. Die Haustür war verschlossen, folglich nicht viel Licht in der Flur, als Philipp den Schlüssel in das Schloss steckte und ihn mit einiger Mühe umdrehte. Es wäre unrichtig, wenn ich sagen wollte, dass er nicht Unruhe fühlte, als er die Tür öffnete. Sein Herz klopfte, aber seine Entschlossenheit war kräftig genug, um das Bangen seines Innern zu überwältigen und auch weitere Bewegungen zu besiegen, die aus dem, was ihm bevorstand, entspringen mochten. Er trat nicht augenblicklich in das Gemach, sondern blieb eine Weile auf der Schwelle stehen, denn es war ihm, als dränge er in den Aufenthaltsort eines körperlichen Geistes, dessen Schattengestalt mit jedem