Im Schlaraffenland. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
Wennichen stand lächelnd und kopfschüttelnd dabei. Liebling hätte seine ausschweifenden Überzeugungen auf chinesisch äußern können und er wäre für Wennichen nicht unverständlicher geblieben.
»Aber ich bitte Sie, meine Herrschaften«, sagte plötzlich mit schriller Stimme ein herzutretender Herr.
»Ratibohr ist da«, raunte man sich zu. »Er setzt heute abend den Fuß hier herein? Doch mal einer, der nicht an Schüchternheit leidet!«
Unwillkürlich machten die Nächststehenden ihm Platz, man schien Ratibohr zu fürchten. Er war hager, mit nervöser Kraft in den Bewegungen und von galliger Gesichtsfarbe. Seine Habichtsnase und sein scharfer Blick forderten jeden heraus, der irgend etwas gegen ihn einzuwenden haben sollte. Seine Eleganz erinnerte an Börse und Fechtsaal. Ratibohr hatte gleichviel vom Duellanten und vom Jobber und machte einen um so gefährlicheren Eindruck. Auch ließ er achtunggebietende Geheimnisse hinter seinem Namen ahnen. Er sagte:
»Vertragen wir uns doch, meine Herrschaften! Es ist ja Nebensache, wie regiert wird. Die Geschichte wird schon noch 'n bißchen zusammenhalten.«
Er vollführte eine rasche, alles entscheidende Handbewegung, wobei sein silbernes Armband um das Gelenk klirrte. Seine Meinung fand den größten Beifall. Andreas blickte auf Ratibohr voll Neid und Bewunderung. Den Leuten schon durch sein Erscheinen Respekt einflößen wie er, welch ein Traum! Doch setzten diese Leute ihn in Erstaunen. Seit er auf dem Berliner Pflaster spazierenging, sah er sie als die herrschende Klasse an, und nun fand er sie so wenig einig über die Grundlagen ihrer Herrschaft. Der bürgerliche Absolutismus, den Liebling vorschlug, lag wohl in ihrem Interesse. Gleichzeitig mochte ihr Vorteil erfordern, so zu tun, als teilten sie noch die fünfzig Jahre alten Ansichten Wennichens. Ihre innere Neigung dagegen schien Ratibohr ausgesprochen zu haben: es war Nebensache, wie regiert wurde. Andreas beschloß, sich diese Überzeugung anzueignen, die ihm eines Weltmannes würdig erschien, und der Entschluß ward ihm nicht schwer.
Indes begann der junge Mann nach dem langen Umherdrängen und Stillstehen seine Müdigkeit zu fühlen. Das unnütze Gerede, das ihn in seinen Absichten nicht vorwärtsbrachte, ward ihm auch zu viel. Er suchte erfolglos nach einem passenden Sitz. Es standen dort breite Stühle aus braunlackiertem Holz mit zart bemalten Seidenpolstern, aber ihre Lehnen waren steif und schmal wie Leitern. Andere Sessel hatten einen dreieckigen Rücken, oder es fehlten ihnen die Armstützen. Noch andere waren so niedrig, daß er seine Beine nicht ohne Verlegenheit unterbringen konnte. Kein Sitz gewährte Andreas die Möglichkeit, sich eine zwanglose und der persönlichen Würde angemessene Haltung zu geben.
Höchst unzufrieden irrte er umher, unter dem Vorwande, die Einrichtung zu betrachten. Der dritte Salon, in bleu mourant und Rokoko, zog ihn an. Vor den üppigen Plauderecken, in denen sich Damen aufhielten, standen niedrige spanische Wände, mit buntbesticktem Atlas bespannt und mit geschliffenen Glasscheiben in verschnörkelten Rahmen. Sie sahen aus wie die herausgebrochenen Wände einer alten Staatskutsche. Der Vortrag einer Sängerin, die sich nebenan hören ließ, ging unter in den lauten Gesprächen. Als man nach einiger Zeit merkte, daß sie fertig war, ertönte frenetischer Beifall. Drüben auf dem Kamin aus rosigem Porzellan schlug die Stutzuhr, Schildpatt mit eingelegtem Kupfer, halb zwölf.
Andreas setzte sich endlich, er lehnte den Kopf zurück und versuchte sich betäuben zu lassen von der funkelnden Decke, deren vergoldete Kassetten elektrische Birnen bargen. Dies hinderte ihn nicht, von neuem in eine verzweifelte Mutlosigkeit zu verfallen. Was hatte er bisher erreicht? Kein ernsthafter Bekannter stand ihm bei, es war zu klar, daß die Leute, die er kennenlernte, ihn nur daraufhin ansahen, ob sich ihm eine heitere Seite abgewinnen lasse. Gelang es ihm heute abend nicht, ein Lächeln von der Hausfrau zu erhalten, so war es aus mit seinem Eintritt in diese Welt. Und jetzt, da er einen Blick hier herein getan hatte, fanden seine Begierden erst ihren Gegenstand. Er sandte seine schüchternen Eroberungsblicke im Kreise der geschmückten Frauen umher. Manche waren üppig, schwer und weich wie Odalisken. Andere, hagere, hoben langgestielte Lorgnons vor die umränderten, pervers blickenden Augen. Wer von einer von ihnen in Gnaden aufgenommen wurde, so als Schoßhündchen wie Diederich Klempner bei Lizzi Laffé, der war sein Lebtag versorgt. Das Geld rollte hier unter den Möbeln umher. Gewiß tat keiner etwas anderes, als sich die Taschen zu füllen. Welch ein Wohlleben in diesem Schlaraffenland!
Eine häßliche Falte seines Fracks, die ihm noch nie so aufgefallen war wie in dieser Beleuchtung, entriß den armen jungen Mann seinen Träumen. Er verglich seine dürftige Kleidung mit den tadellosen Anzügen, die an ihm vorüberwandelten, und bei jedem Vergleiche stieg seine Wut. Endlich befand er sich in der erforderlichen Stimmung, um mit sich selbst va banque zu spielen. Wenn er in einer halben Stunde noch keinen Schritt auf seiner Laufbahn vorwärts getan haben würde, so schwur er sich zu, wegzugehen und nie wiederzukommen.
Er wollte sich erheben, als zwei junge Leute dicht vor ihm stehenblieben. Sie sahen hinüber nach der Palmengruppe, vor der in einer Pompadour-Bergere eine große, starke Dame saß. Sie war nicht gerade jung, aber ihr weißer Teint hatte nichts verloren, und so prachtvolle Schultern konnte sie nach Andreas' Meinung in ihrer Jugend kaum besessen haben. Ihre zu starken Gesichtszüge erhielten etwas Charakteristisches durch den hohen schwarzen Helm von Haaren über der engen Stirn. Sie war in weiße Seide gekleidet, mit tief über die Büste fallenden Spitzen, worauf Brillantagraffen blitzten.
Der eine der jungen Leute bemerkte:
»Sie ist doch noch immer schön.«
»Die Hausfrau?« sagte der andere. »Selbstredend. Zwar 'n bißchen schwere Nahrung, aber es tut nichts. Je mehr, desto besser, nach der Taxe der Wüstenstämme.«
»Welche Taxe?«
»Als Schönste gilt diejenige, die nur auf einem Kamel fortbewegt werden kann. Nach ihr kommt die, die sich auf zwei Sklavinnen stützen muß. – Aber warum macht sie denn so 'n leidendes Gesicht?«
»Frau Türkheimer? Das wissen Sie nicht? Wo kommen Sie denn her? Ratibohr hat ja mit ihr gebrochen.«
»Der Esel! Und warum?«
»Wegen des Gatten, sagt man.«
»Türkheimer? Der wird sich doch nicht lächerlich machen? Er läßt doch seit bald einem Menschenalter seine Frau tun, was sie will. Was hat er denn gegen Ratibohr?«
»Ja, Ratibohr soll kein dankbarer Kunde sein. Durch die Vertraulichkeit mit Frau Adelheid ist er hinter allerlei Geheimnisse gekommen. Türkheimer hat gemerkt, daß ihm, seit seine Frau mit Ratibohr zusammensteckt, öfter was vor der Nase weggeschnappt ist. Das hat ihn entrüstet.«
»Wirklich?«
»Türkheimer ist ja ein sehr verständiger Mann, um die Privatangelegenheiten seiner Frau kümmert er sich nicht. Aber wenn die Geschäfte ins Spiel kommen, dann wird er strenge.«
»Und da hat er dem Ratibohr Krach gemacht?«
»Sie kennen ihn nicht. Er hat ihm die Beteiligung an einem Coup angeboten, mit der Bedingung, seine Frau aufzugeben.«
»Und Ratibohr hat eingeschlagen?«
»Was dachten Sie denn?«
In diesem Augenblick sah Andreas den eleganten Doktor Bediener, das Glas im Auge, in der Tür erscheinen. Der junge Mann stürzte jäh auf den Chefredakteur los.
»Herr Doktor!« sagte er hastig. »Gestatten Sie mir eine Bitte, würden Sie die Güte haben, mich der Dame des Hauses vorzustellen?«
»Comment donc, mon cher!« rief Doktor Bediener, der früher Korrespondent in Paris gewesen war. Er sah Andreas starr an und setzte hinzu:
»Ich suche Sie seit zwei Stunden, mein lieber Herr, Herr-re ...«
»Andreas Zumsee«, ergänzte Andreas.
Der Chefredakteur ergriff seinen Schützling leicht am Arm, trat mit ihm vor Frau Türkheimer und sprach:
»Schöne Frau, ich mache mir das Vergnügen, Ihnen einen talentvollen jungen Mann zuzuführen, Herrn Andreas Zumsee, den ich der kunstsinnigen Güte der gnädigen Frau empfehle.«
Alsbald