Tom Jones. Henry FieldingЧитать онлайн книгу.
hatte. Hierauf gab der erste seiner Munterkeit Raum, sang ein Paar oder mehr verliebte Lieder und fiel in alle jene Unordnung, welche eine ungezähmte Freude einzuflößen pflegt. Aber so weit war er entfernt von aller Neigung zum Zank, daß er womöglich noch zehnmal friedfertiger und aufgeräumter war, als bei gewöhnlichem nüchternen Mute.
In Wahrheit, nichts kann irriger sein als die gemeine Sage, daß bösartige, zänkische Menschen beim Trunke die würdigsten Personen bei nüchternem Mute sind, denn wirklich kehrt Trunkenheit die menschliche Natur nicht um, oder erschafft Leidenschaften in ihnen, welche vorher nicht da waren. Sie schafft allerdings die wachende Vernunft beiseite und nötigt uns folglich, uns in der Gestalt zu zeigen, welche manche, so lange sie nüchtern sind, Kunst genug besitzen, zu verbergen. Sie erhöht und entzündet unsre Leidenschaften (freilich am gewöhnlichsten diejenige, welche eben in unsrem Gemüt die Oberhand hat,) solchergestalt, daß die zänkischen Gemüter, die Verliebten, die Großmütigen, die Friedseligen, die Geizigen, kurz alle menschlichen Gemütsarten beim Trunke sich am deutlichsten zu Tage legen.
Und dennoch, weil keine Nation so viele Zänkereien im Trunke hervorbringt als die englische, besonders unter dem gemeinen Manne (denn wirklich heißt bei ihnen mit einander trinken und sich schlagen fast einerlei und ebendasselbe), so möchte ich doch nicht, nach meiner Ueberzeugung, daß man daraus schlöße, das englische Volk sei eben das schlimmste auf der Welt. Vielleicht liegt bloß die Liebe zum Ruhme dabei zum Grunde, so daß die reinste Schlußfolge zu sein scheint, unsre Landsleute besitzen mehr von dieser Liebe und mehr Tapferkeit als der Pöbel irgend eines andern Reiches. Und dies um so mehr, als selten etwas Ungroßmütiges, Hinterlistiges oder Niederträchtiges bei diesen Gelegenheiten verübt wird. Ja es ist gewöhnlich, daß die Fechter, selbst in dem Augenblick ihrer Balgereien, einer dem andern eine gewisse Gutherzigkeit bezeigt, und so wie ihre trunkene Fröhlichkeit sich gemeiniglich mit einer Schlägerei endigt, so endigen sich die meisten ihrer Schlägereien in Freundschaft.
Aber wieder zu unsrer Historie. Obgleich Jones keinen Vorsatz gezeigt hatte jemand zu beleidigen, so ward Herr Blifil doch sehr aufgebracht über ein Betragen, das zu der ehrbaren, klugen Mäßigkeit seiner eigenen Gemütsart so wenig stimmte. Er ertrug es mit desto größerer Ungeduld, weil es ihm höchst unanständig vorkam, besonders zu einer Zeit, da, wie er sagte, das Haus ein Haus der Trauer und Klage sei über den Tod seiner Mutter, und wenn der Himmel so gnädig gewesen, ihnen einige gute Hoffnung auf Herrn Alwerths Besserung zu verleihen, so würde es sich besser für sie schicken, die Freude ihrer Herzen durch Lob- und Dankpsalmen auszudrücken, als durch Saufen und Schwärmen, wodurch man den Zorn des Himmels reize, anstatt solchen von sich abzuwehren. Schwöger, der weit mehr Wein und Bier zu sich genommen hatte als Jones, nur daß ihm nicht so leicht etwas zu Kopfe stieg, unterstützte diese fromme Strafrede des Herrn Blifil; Quadrat aber blieb aus Ursachen, die der Leser vielleicht erraten wird, dabei völlig stumm.
Jones war vom Weine dergestalt überwältigt, daß er sich an Blifils Verlust gar nicht erinnerte, bis jetzt, als desselben erwähnt wurde. Da nun kein Mensch bereitwilliger war als Jones, seine Irrtümer und Fehler zu bekennen und zu verdammen, so bot er dem Herrn Blifil die Hand, um ihn um Verzeihung zu bitten, und sagte dabei: seine übermäßige Freude über Herrn Alwerths Genesung habe alle übrigen Gedanken aus seinem Kopf und Herzen verjagt.
Blifil schlug seine Hand mit Verachtung aus und antwortete mit zornigem Unwillen: »Es wäre eben kein Wunder, wenn tragische Schauspiele keinen Eindruck auf Blinde machten; für sein Teil aber habe er das Unglück, zu wissen wer seine Eltern gewesen, und folglich müsse ihr Verlust ihm wohl zu Herzen gehen.«
Jones, der ungeachtet seines aufgeräumten Gemüts doch eine kleine Mischung von Galle in seinem Blute hatte, sprang hastig von seinem Stuhle auf, faßte Blifiln bei der Halskrause und rief aus: »Ei, du verdammter Schurke! willst du mir das Unglück meiner Geburt in die Zähne werfen?« Er begleitete diese Worte mit so unsanften Handlungen, daß solche sehr bald das friedsame Gemüt des Herrn Blifil überwältigten; und es erfolgte auf der Stelle eine Balgerei, welche hätte unglücklich ablaufen können, wenn sich nicht Schwöger und der Arzt dazwischengelegt und es verhindert hätten; denn die Philosophie des Quadrats setzte ihn über alle Gemütsbewegungen hinaus und er schmauchte gelassen seine Pfeife fort, wie seine Gewohnheit bei jedem Zank und Streite war, es sei denn, daß er Gefahr besorgte, sie möchte ihm im Munde zerschlagen werden.
Nachdem die Fechter verhindert worden, für jetzt ihre Rache aneinander auszulassen, nahmen sie ihre Zuflucht zu den gewöhnlichen Mitteln einer ohnmächtigen Wut und machten ihrem Aerger Luft durch Schimpfen und Drohen. In dieser Art von Kampfe war das Glück, welches beim persönlichen Angriff sich auf Jones' Seite zu neigen schien, seinem Feinde hinwiederum ebenso günstig.
Nichtsdestoweniger ward endlich durch Vermittlung der neutralen Mächte ein Waffenstillstand beliebt, und die ganze Gesellschaft setzte sich wieder an den Tisch; wo man Jones dahin vermochte, daß er um Verzeihung bat, und Blifil, daß er sie erteilte und also der Friede hergestellt und alles wieder in statu quo zu sein schien.
Allein, obgleich der Streit nach allem Anschein völlig ausgeglichen war, so ward doch die gute Laune, welche dadurch unterbrochen worden, keineswegs wiederhergestellt. Alle frohe Munterkeit hatte nun ein Ende und das folgende Gespräch bestand in steifen Erzählungen von Thatsachen und in Anmerkungen darüber, die ebenso steif und trocken waren. Eine Art von gesellschaftlicher Unterredung, wobei zwar viele Würde und Belehrung, aber sehr wenig Unterhaltung stattfindet. Da wir also nur die letzte dem Leser zu verschaffen beabsichtigen, so wollen wir alles überschlagen was gesagt wurde, bis die übrigen von der Gesellschaft nach und nach fortgegangen waren und den Arzt und Quadrat allein bei einander gelassen hatten. Um diese Zeit ward das Gespräch etwas lebhafter durch diese und jene Anmerkung über dasjenige, was zwischen den jungen Herren vorgefallen war. Beide, meinte der Doktor, wären am Ende weiter nichts als ein paar dumme Jungen; welche Benennung der Philosoph durch ein sehr weises Achselzucken bestätigte.
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