Zehn Jahre später. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
werden.«
»Welchen Namen darf ich dem Hofmeister nennen?«
»Graf von Bragelonne aus dem Gefolge des Prinzen Condé.« – Der Soldat grüßte militärisch und eilte davon. Nach wenigen Minuten kam er zurück.
Ihm folgte die wohlbeleibte Gestalt des Herrn von Saint-Rémy, durch den raschen Lauf ganz außer Atem gebracht. – »Sie in Blois, Herr Graf von Bragelonne?« rief er, sich den Schmerbauch haltend. »Guten Tag! Wie wird sich Fräulein von Lavall ... hm, und meine Frau freuen, Sie zu sehen! Was bringen Sie denn? Hoheit frühstücken eben? Sind es gute Nachrichten?« – »Sehr gute und sehr wichtige.« – »Hoheit lassen sich nicht gern stören, doch in diesem Falle will ich es wagen, Sie sogleich zu melden. Hoheit sind zum Glück auch gerade in sehr guter Laune.« – Nach diesen Worten führte er den jungen Mann ins Schloß.
Monsieur und Madame saßen an ihrer reich gedeckten Tafel. Die Becher klirrten, die Schüsseln dampften, und Gaston von Orléans ließ sich's schmecken, als Saint-Remy mit der Meldung hereintrat, ein Bote vom Prinzen von Condé bitte um Einlaß. – Monsieur erschrak ein wenig. Es schien, als wenn der Name des großen Prinzen einen gespenstischen Schatten über die Tafel werfe. – »Wie heißt der Bote?« fragte er, um seine Bewegung vor seinem Haushofmeister zu verbergen. – »Graf von Bragelonne, ein Edelmann aus dieser Gegend,« antwortete Saint-Rémy. – Monsieur richtete einen fragenden Blick auf Madame. Sie nickte leicht mit dem Kopfe, und Gaston befahl, den Boten vorzulassen.
Rudolf von Bragelonne trat ein, verneigte sich tief vor dem erlauchten Paare und erwartete schweigend die Ansprache des Prinzen. Dieser wartete, bis der letzte der Dienerschaft das Zimmer verlassen hatte und die Türen geschlossen worden waren. – »Sie kommen von Paris?« fragte er dann, die Augen auf den Abgesandten heftend. »Was macht der König?« – »Es geht ihm gut, Königliche Hoheit.« – »Und meine Schwägerin?« – »Ihre Majestät die Königin-Mutter sind noch immer brustleidend, doch befinden sie sich besser.« – »Und Sie kommen im Auftrage des Prinzen von Condé?« – »Sehr wohl, und soll diesen Brief überreichen und auf Antwort warten.«
Gaston von Orléans nahm mit zitternder Hand das Schreiben in Empfang, betrachtete es mit verstörtem Blick, öffnete es dann, las es und rief in freudigem Tone: »Das ist ja eine sehr angenehme Ueberraschung! Madame lesen Sie nur! oder lesen Sie es bitte meiner Frau vor, Herr Graf!« – Rudolf sprang herzu, nahm Monsieur das Schreiben aus der Hand und las: »Königliche Hoheit! Majestät reisen an die Grenze. Binnen kurzem wird die Vermählung Seiner Majestät stattfinden. Nun würden Majestät gern einen Tag in Blois verleben, und ich bitte Sie, mir mitzuteilen, ob Sie damit einverstanden sind, daß ich Ihr Schloß in die Marschroute einsetze. Sollte Ihnen diese unvermutete Bitte Verlegenheit verursachen, so lassen Sie es mich durch den Ueberbringer dieses Schreibens alsbald wissen. Majestät würden dann eben nicht über Blois, sondern über Vendôme oder Romorantin reisen. In der Hoffnung jedoch, Eurer königlichen Hoheit damit einen Gefallen zu erweisen, bin ich Ihr Prinz von Condé.«
»Nichts könnte uns angenehmer sein,« rief Madame »Sagen Sie Herrn von Condé, wir danken für seine Aufmerksamkeit.« – »Wann wird Majestät kommen?« fragte der Prinz. – »Heute abend.« – »So schnell? Dann sind Majestät wohl schon in Orléans?« – »Noch näher, Hoheit. Wahrscheinlich schon in Meung.« – »Mit dem Hofe?« – »Jawohl.« – »Ich vergaß, zu fragen – wie geht es dem Kardinal?« – »Eminenz scheinen sich wohl zu befinden.« – »Seine Nichten sind jedenfalls bei ihm?«
»Nein, die Fräulein von Mancini sind auf Geheiß Seiner Eminenz nach Brouage gegangen und reisen am linken Loireufer, während der Hof am rechten reist.« – »Wie? Fräulein von Mancini verläßt den Hof?« rief Monsieur, und ein Funke seiner früheren Freude an Intrigen blitzte in seinen trübseligen Augen aus. Darauf entließ er den Grafen, klingelte und rief den hereintretenden Schranzen und Dienern die magischen Worte zu: »Seine Majestät der König werden heute abend hier eintreffen.«
»Es lebe der König!« riefen die Hofleute wie aus einem Munde, und Gaston von Orléans, der ein ganzes Menschenleben lang den Ruf: »Es lebe der König!« hatte mitanhören müssen, neigte betrübt das Haupt; denn er hatte diesen Ruf eine lange Zeit nicht mehr vernommen. Das erlauchte Paar verließ die Tafel, und Madame rief im Hinausgehen Herrn von Saint-Rémy zu, man solle dafür sorgen, daß Graf von Bragelonne aufmerksam verpflegt würde.
Der Haushofmeister nahm sich sogleich des jungen Mannes an, erhielt aber auf seine Einladung, im Schlosse zu bleiben, die Antwort: »Ich danke, Herr von Saint-Rémy aber ich habe Sehnsucht, den Grafen, meinen Vater, wiederzusehen.« – »Das ist begreiflich,« sagte der Haushofmeister. »Bitte, mich aufs beste zu empfehlen.« – Nach diesen Worten wollte Graf von Bragelonne in den Hof hinabsteigen, um sich sein Pferd vorführen zu lassen, doch plötzlich vertrat im dunklen Korridor die Gestalt eines Mädchens ihm den Weg. Es legte den Finger auf die Lippen und reichte ihm die Hand. – »Wollen Sie mir folgen, Herr Ritter?« fragte die junge Dame leise. – Der Graf zauderte nicht, sondern ließ sich von der zarten Hand, die die seine festhielt, fast willenlos fortführen. Der Weg war indessen zu kurz, als daß unterwegs der Graf Zeit gehabt hätte, sich wegen des Ziels, zu dem er geleitet würde, Gedanken zu machen. Die unbekannte Dame stieß eine Tür auf und zog ihn in ein Zimmer. Kaum trat er ein, so hörte er einen lauten Schrei und sah eine schöne Blondine mit blauen Augen und schneeweißen Schultern, die, seinen Namen nennend, mit gefalteten Händen in einen Stuhl sank. Rudolf erkannte sie, warf sich vor ihr auf ein Knie und vermochte nur das eine Wort hervorzubringen: »Luise!«
»O, Montalais,« flüsterte Luise, »wie konntest du mich so hintergehen?« – »Wieso denn hintergehen?« – »Du hast doch gesagt, du wolltest dich nur im Hofe erkundigen. Nun bringst du den Grafen zu mir!« – »Er muß sich doch den Brief abholen.« – Rudolf sah das Schreiben auf dem Tische liegen und streckte die Hand aus; da auch Luise eben danach griff, begegneten sich ihre Hände, und Rudolf zog die des jungen Mädchens ehrfurchtsvoll an die Lippen. Inzwischen nahm die Montalais den Brief an sich, faltete ihn zusammen und steckte ihn in den Busen. – »Hier ist er wohlgeborgen, Luise,« sagte sie. »Der Graf wird nicht so kühn sein, ihn aus diesem Versteck zu rauben. Nun, ich sehe, Luise, du hast mir verziehen, daß ich den Grafen herführte, und der Graf selbst wird mir deshalb gewiß auch nicht böse sein. So wollen wir denn wie alte Freunde miteinander reden. Luise, stelle mich zuerst dem Herrn Grafen vor.«
»Herr Vicomte,« sagte Luise mit holdem Lächeln, »gestatten Sie mir, Sie mit meiner besten Freundin, Aure von Montalais, Ehrendame an Madames Hofe, bekannt zu machen. Sie sind ihr bereits bekannt. Meine Freundin weiß alles.« – Die Montalais nickte lachend. – »Schluß nun mit den Höflichkeiten!« rief sie. »Nehmen Sie Platz, Graf, und erzählen Sie, was für eine Botschaft Sie zu bestellen hatten.« – »Es ist kein Geheimnis mehr, Fräulein,« antwortete Rudolf. »Der König kommt nach Blois.« – Die Montalais war sogleich wie aus dem Häuschen. »Den König und den Hof sollen wir sehen?« rief sie, in die Hände klatschend. »Aber wann denn, Vicomte?« – Als sie jedoch erfuhr, daß Majestät schon am Abend dieses Tages kommen werde, zog sie ein saures Gesicht. – »Da hat man ja nicht mal Zeit, sich zu putzen,« schmollte sie. – »Trösten Sie sich,« antwortete Rudolf galant, »Sie sind ja immer schön.« – »Sehr gütig, Herr Graf! Also heute abend – mit dem ganzen Hofe? Sind die Fräulein Mancini auch dabei?« – »Nein, die sind nicht im Gefolge.« – »Aber man sagt doch, der König könne ohne Fräulein Marie von Mancini nicht leben.« – »Er wird wohl ohne sie leben müssen, denn der Kardinal hat sie aus seiner Nähe verbannt.« – »O, dieser Heuchler!« rief die Montalais und ließ sich durch eine warnende Gebärde Luisens nicht abschrecken hinzuzusetzen: »Ach was, es hört uns hier niemand. Mazarino Mazarini ist ein Heuchler, ich wiederhole es. Es wäre ihm nichts lieber, als wenn er seine Nichte Maria zur Königin von Frankreich machen könnte!«
»Nicht doch,« versetzte der Graf. »Hat doch Mazarin selbst Seiner Majestät die Infantin Maria-Theresia zur Gemahlin bestimmt. Zwischen Don Louis de Hara und Seiner Eminenz ist der Ehekontrakt schon abgeschlossen worden.« – »Also liebt der König Fräulein von Mancini nicht?« – »Im Gegenteil, er betet sie an.« – »Na, dann wird er sie auch heiraten. Und wenn's darüber zum Kriege mit Spanien käme.« – »Rede