Zehn Jahre später. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
auf fünf. Durch das Geräusch geweckt, trat der Diener herein, aber der König schickte ihn zurück und befahl ihm strenges Schweigen. Dann ging er die Treppe hinunter und verließ das Schloß durch eine Seitentür. An der Mauer wartete der Offizier mit den Pferden. Der König schwang sich in den Sattel, und beide trabten der Brücke zu.
Am jenseitigen Ufer angelangt, hielt der König an. »Herr Leutnant,« befahl er, »reiten Sie voraus, und wenn Sie eine Kutsche bemerken, kommen Sie zurück und melden es mir; ich warte hier.« – »Was für eine Kutsche soll es sein?« – »Ein Reisewagen mit zwei Damen und wahrscheinlich auch ein paar Zofen.« – »Sonst kein Kennzeichen?« – »Allenfalls noch das Wappen des Kardinals.« – »Sehr wohl, Majestät,« antwortete der Offizier und ritt davon. Kaum war er fünfhundert Schritt weit, so erblickte er eine mit vier Maultieren bespannte Kutsche, der eine zweite folgte. Er kehrte sofort zum König zurück.
»Gut,« sagte der König, als er die Meldung vernahm, »tun Sie den Damen kund, ein Kavalier wünsche mit ihnen ohne Zeugen zu sprechen.« – »Potzblitz,« brummte der Offizier vor sich hin, indem er fortritt, »ich beklage mich über meine unbedeutende Stellung, und jetzt bin ich mit einem Schlage zum Vertrauten des Königs avanciert.« – Er ritt an den Wagen heran und entledigte sich seines Auftrags.
Es saßen zwei Damen im Wagen, die eine von ihnen war außergewöhnlich schön, wenngleich ein wenig hager, die andere weniger hübsch, aber doch auch anmutig, und nach der charakteristisch geformten Stirn zu schließen, auch von sehr energischem, herrschsüchtigem Temperament.
Ohne zu zögern, wendete der Leutnant sich an die letztere, obwohl die erstere durch ihre große Schönheit vielleicht den Vorzug verdient hätte. – »Meine Damen,« sprach er, »ich bin ein Leutnant im Dienste eines Kavaliers, der dort hinten auf der Landstraße auf Sie wartet und darum bitten läßt, Ihnen seine Reverenz machen zu dürfen.« – Die jüngere Dame mit den kohlschwarzen Augen stieß einen Schrei aus, der freudige Ueberraschung verriet; sie neigte sich zum Wagen heraus und sah nun auch schon den Kavalier, von dem die Rede war, heransprengen. Sie streckte die Arme aus und rief: »Ach, meine liebe Majestät!« Dabei rannen ihr die Tränen über die Wangen.
Der Kutscher hielt an, die Zofen standen verlegen auf, und die zweite Dame machte eine spöttische Verbeugung und verbarg unter einem diskreten Lächeln nur schlecht ihre Eifersucht. – »Marie, liebe Marie!« rief der König und streckte die Hand aus. Die Dame, aus dem Wagen gleitend, sank ihm in die Arme. Ludwig hielt sie fest umschlungen und gab dem Kutscher einen Wink weiterzufahren. Er überließ sein Pferd dem Offizier, der stumm, doch aufmerksam an seiner Seite geblieben war. Maria von Mancini brach zuerst das Schweigen. »Majestät verlassen mich also doch nicht?« rief sie. »Man hat mir gesagt, Sie würden bald nicht mehr an mich denken.« – »O, Marie, wir sind von Menschen umgeben, die uns entzweien wollen.« – »Aber weshalb geschieht diese Reise nach Spanien, Sire?« versetzte Maria, doch nur, um Sie zu verheiraten!« Bei diesen Worten blitzten ihre Augen wie ein aus der Scheide gezogener Dolch. – »Marie, fußfällig habe ich meine Mutter gebeten, mich nicht von dir zu trennen, ja, ich habe ihr sogar gedroht, und als dies alles fruchtlos blieb, verlangte ich wenigstens Aufschub meiner Vermählung mit der Infantin. Auf alle meine Tränen hat man mit Staatsgründen geantwortet, und was kann ich tun, wenn so viele sich gegen mich verbünden?« – »Dann muß ich Ihnen also auf ewig Lebewohl sagen, Sire, denn Sie wissen recht wohl,« antwortete die Italienerin, »man verbannt mich, man begräbt mich lebendig, man will auch mich vermählen. Sie sprechen von Staatsgründen, Sire. O, ich weiß recht wohl, der Kardinal hätte schließlich nachgegeben, wäre er doch durch mich der Oheim des Königs geworden! Ja er hätte sicherlich jeden fremden Widerstand überwunden, selbst einen Krieg nicht gefürchtet, um dieses Ziel zu erreichen. Als Oheim des Königs hätte er für immer die Gewißheit gehabt, daß ihm niemand das Staatsruder entreißen könne. O, jawohl, Sire, mit den Staatsgründen hätte Mazarin schon fertig zu werden verstanden.« –
Ludwig erblaßte und biß sich auf die Lippen. Es schien fast, als wenn diese Worte seine Leidenschaft dämpften, statt sie zu steigern. – »Ich sehe trotzdem keinen Ausweg mehr,« sagte er achselzuckend, »nichts kann uns noch helfen.« – »Außer Ihrem eigenen Willen, Majestät,« erwiderte Maria. – »Habe ich denn einen Willen?« versetzte der König. »Mein Wille wird von der Politik, von Staatsrücksichten diktiert.« – »Sie lieben mich eben nicht mehr,« sprach die Mancini, »wo Liebe ist, da ist auch ein Wille.«
Ludwig sah zu Boden, wie ein Verurteilter. Ein langes Schweigen folgte. – »So soll ich Sie morgen schon nicht mehr sehen!« fuhr die Schöne fort. »Soll fern von Paris leben, freudenlos, an der Seite eines mir fremden, alten Mannes. Es ist undenkbar!« Und sie brach in Tränen aus. Auch den König ergriff aufrichtige Rührung, er preßte das Schnupftuch vor den Mund und schluchzte. – »Die Kutschen haben haltgemacht, meine Schwester wartet auf mich,« sagte Maria. »Wir stehen beide am Wendepunkt. Entscheiden Sie, Sire. Soll ich einem andern angehören, als meinem König, meinem Herrn, meinem Geliebten? O, es kostet Sie nur ein Wort, Sire – nur das Wort: Ich will es so! so gehöre ich Ihnen fürs ganze Leben!«
Der König gab keine Antwort. – »Dann ade!« sprach sie. »Ade, Leben, Liebe und Himmel!« – Sie tat einen Schritt, der König hielt sie noch einmal zurück, ergriff ihre Hand und küßte sie. Und auf die schlanken Finger fiel eine Träne aus den Augen des Königs. Maria zuckte zusammen, als ob diese Zähre sie verbrenne.
»Was nützt es, daß sie weinen, Sire,« stieß Maria hervor, »entlassen bin ich dennoch.« – Der König antwortete nicht, er drückte wieder das Taschentuch vors Gesicht und schluchzte laut. Der Musketier-Leutnant gab einen so heftigen Laut des Unwillens von sich, daß die Pferde erschraken. Dann riß Maria von Mancini sich los und eilte zum Wagen. Sie stieg rasch ein, und die Kalesche fuhr davon.
Als sie entschwunden war, wendete der König sich zu dem Offizier. – »Aus!« murmelte er. »Aufgesessen!« – Und sie trabten beide von dannen. Jenseits der Brücke schlugen sie wieder die zum Schlosse führende Straße ein, und um sieben Uhr waren sie zurück. Der Graukopf, dessen scharfem Blick nichts entging, bemerkte, daß an einem Fenster, das zur Wohnung des Kardinals gehörte, die Ecke eines Vorhangs ein wenig gelüftet wurde. Der König hielt an und sprang vom Pferde. – »Unverbrüchliches Schweigen, Leutnant!« rief er seinem Begleiter zu. »Ich weiß, ich kann mich auf Ihre Verschwiegenheit verlassen.« – Der Haudegen verneigte sich. »Würden Majestät mir noch ein paar Minuten Gehör schenken?« antwortete er, und Ludwig, ins Schloß tretend, hieß ihn folgen.
Als sie im Zimmer allein waren, fragte der König: »Was haben Sie mir zu sagen, Leutnant?« – »Majestät,« antwortete jener, »ich muß Sie um eine Gefälligkeit bitten. Mit einem Worte, Sire, gewähren Sie mir huldvollst den Abschied.« – »Wie? Sie wollen Ihren Dienst quittieren?« rief der König erstaunt. – »Ich werde alt, Sire. Seit 35 Jahren trage ich den Panzer, und meine Schultern werden lahm. Ich muß jüngeren Leuten Platz machen. Wer weiß, ob ich nicht in sechs Wochen vor Podagra dienstunfähig bin.« – »Leutnant,« versetzte der König, »Sie sind ja rüstiger und kräftiger als ich. Bisher haben Sie Ihren Posten trefflich versehen und keine Spur von Ermüdung gezeigt. Sie geben nur nicht den wahren Grund an. Weshalb verhehlen Sie ihn mir? Wie soll ich dem besten Soldaten Frankreichs glauben, daß er der Ruhe bedürfe?«
»Sire!« rief der Leutnant in bitterm Tone, »Sie beschämen mich! Sie rechnen mein geringes Verdienst zu hoch an! Inwiefern bin ich denn ein unentbehrlicher, unersetzlicher Mensch? Majestät übertreiben.« – »So sprechen Sie doch aufrichtig, Mann!« entgegnete der König. »Behagt Ihnen der Dienst bei mir nicht mehr? Nur keine Umschweife! das mag ich nicht.« – Der Offizier sah auf und blickte dem König ruhig ins Auge. – »Eine offene Frage erfordert eine offene Antwort,« sprach er. »Ja, Sire, ich will den Dienst meines Königs verlassen, weil ich unzufrieden bin. Wie ich schon sagte, diene ich bereits 35 Jahre meinem Vaterlande und habe für Ihr Haus, Majestät schon manches gute Schwert schartig gemacht. Ihr Vater erkannte meine Fähigkeiten, meinen Mut, meine kriegerischen Eigenschaften, aber Richelieu witterte einen Feind in mir und ließ mich nicht aufkommen. Fünf Jahre lang war ich jeden Tag ein Held – und das ist keine Kleinigkeit. Ich lobe mich nicht selbst, ich führe nur unumstößliche Tatsachen an und berufe mich dabei auf das Urteil von Männern wie Richelieu selbst,