Die Bestie im Menschen. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.
Adern würden platzen. Er hatte ihre Handgelenke umschlungen und stand dicht vor ihr, um aus dem Widerspiegeln des Schreckens in ihren Augen lesen zu können, was sie nicht laut gesagt hatte.
»Verflucht,« würgte er heraus, »verflucht!«
Sie drückte furchtsam das Gesicht unter ihren Arm, denn sie ahnte den Schlag mit der Faust schon, der kommen mußte. Dieser kleine, elende, unbedeutende Umstand, das Vergessen einer an diesen Ring sich knüpfenden Lüge hatte nach wenigen Worten diese furchtbare Situation geschaffen. Nur eine Minute, dann warf er sie mit einem Stoß auf das Bett und bearbeitete sie auf das Gerathewohl mit den Fäusten. Während dreier Jahre hatte er sie nicht ein Mal geschlagen, jetzt aber war die Brutalität Herrin über ihn geworden, blind und trunken vor Wuth hieb er mit seinen groben Arbeiterfäusten, die früher die Waggons geschoben hatten, auf sie ein.
»Verfluchte Dirne! Du warst mit ihm zusammen ... mit ihm zusammen ... mit ihm zusammen!«
Die Wiederholung der Worte stachelte seine Wuth noch mehr an; bei jeder Wiederholung sauste ein Faustschlag nieder, als wollte er ihr die Worte für immer einbläuen.
»Du die Geliebte eines Greises, Du verfluchte Dirne! ... Du warst mit ihm zusammen ... mit ihm zusammen!«
Der Zorn erstickte seine Stimme, sie kam ihm schon pfeifend aus dem Munde und versagte schließlich ganz. Er hörte jetzt erst, wie sie, windelweich unter den Schlägen geworden, »nein« rief. Sie fand kein anderes Wort der Vertheidigung, sie leugnete, um nicht von ihm getödtet zu werden. Diese Ausrede, diese lügnerische Verbohrtheit machte ihn nur noch rasender.
»Gestehe, daß Du mit ihm zusammen warst!«
»Nein und nein.«
Er hatte sie aufgerafft und sie zu sich emporgezogen; er verhinderte das arme Geschöpf, daß der Kopf sich in die Kissen vergrub und zwang sie, ihm in das Gesicht zu sehen.
»Gestehe!«
Im Augenblick hatte sie sich gewandt seiner Umarmung entzogen und wollte zur Thür eilen. Doch ebenso schnell war er hinter ihr her und wieder schwebte seine Faust in der Luft; dicht neben dem Tisch streckte sein Schlag sie zu Boden. Er warf sich an ihre Seite und packte sie an den Haaren, so daß sie sich nicht rühren konnte. Ohne zu sprechen und ohne zu athmen, blieben sie so, Auge in Auge, auf dem Boden liegen. Und durch diese schreckensvolle Stille schallte das Singen und Lachen der Damen Dauvergne, deren Piano glücklicherweise einen solchen Lärm vollführte, daß man das Toben des sich über ihnen abspielenden Kampfes nicht vernahm. Claire sang Kinderlieder und Sophie spielte die Begleitung mit aller Macht.
»Gestehe!«
Sie wagte nicht nein zu sagen und schwieg.
»Gestehe, daß Du mit ihm zusammenwarst, oder ich schlage Dich todt!«
Er würde sie getödtet haben, sie las es in seinem Blick. Sie hatte beim Fallen das aufgeklappt auf dem Tisch liegende Messer gesehen. Das Schimmern der Klinge kam ihr in die Erinnerung, sie glaubte schon, daß er den Arm danach ausstrecke. Nun überkam sie ein Gefühl der Feigheit, eine Gleichgiltigkeit gegen sich und alles, der Wunsch, endlich mit Allem zu Rande zu kommen.
»Nun ja, es ist wahr, nun lasse mich aber gehen.«
Ein fürchterlicher Augenblick. Dieses Geständniß, von ihm in so grausamer Weise erpreßt, es glich einem Schlag, den er mitten in das Gesicht erhielt; es schien ihm unmöglich, ungeheuerlich. Eine solche Schändlichkeit hätte er nie für möglich gehalten. Er packte ihren Kopf und schlug ihn gegen ein Tischbein. Als sie sich sträubte, schleifte er sie an den Haaren durch das Zimmer, wobei er mit ihrem Körper die Stühle anrannte. So oft sie den Versuch machte, sich aufzurichten, warf er sie durch einen Faustschlag wieder zu Boden. Sein Athem flog und mit zusammengepreßten Zähnen tobte er wie ein Wilder und Thor zugleich in diesem Kampf. Der Tisch hätte beinahe den Ofen umgeworfen. Haare und Blut klebten an einer Ecke des Büffets. Als sie von diesem eklen Auftritte noch bebend wieder zu Athem kamen, müde vom Schlagen und der erhaltenen Prügel, befanden sie sich wieder neben dem Bett, sie noch immer in einem schweinartigen Zustande auf der Erde liegend, er auf ihr kauernd und sie an den Schultern gepackt haltend. Beide stöhnten. Unten ertönte noch immer die Musik und kräftiges, lustiges Lachen schallte herauf.
Mit einem Ruck hob Roubaud Séverine vom Boden und drängte sie gegen die Bettwand. Er blieb vor ihr auf den Knieen liegen und stemmte sich mit der ganzen Kraft seines Oberkörpers gegen sie. Jetzt konnte er endlich sprechen. Er schlug sie nicht mehr, er quälte sie mit seinen Fragen, in der heißen Begier, alles wissen zu wollen.
»Du hast Dich ihm also hingegeben, Dirne? ... Wiederhole es mir, daß Du diesem alten Menschen gefällig warst ... Wie alt warst Du, als es geschah? Ganz jung noch, nicht wahr, ganz jung?«
Ein plötzlicher Thränenausbruch ihrerseits, ein Schluchzen hinderten sie zu antworten.
»Himmel und Hölle, willst Du sprechen? ... He? Noch nicht zehn Jahre alt warst Du, als Du den Alten schon amüsirtest? Deshalb also hat er Dich wie eine vornehme Dame erziehen lassen, damit er unauffällig seine Schweinereien treiben konnte? Rede, sage ich, oder ich fange von vorn an!«
Sie weinte und brachte kein Wort über die Lippen. Er erhob die Hand und eine abermalige Ohrfeige betäubte sie. Das geschah dreimal, ebenso oft als er fragte und keine Antwort erhielt.
»Sprich, in welchem Alter geschah es?«
Warum den Kampf fortsetzen, sie fühlte ja ohnehin ihr ganzes Leben dahinschwinden. Er würde ihr mit seinen steifen Arbeiterfingern das Herz aus dem Leibe gerissen haben. Sein dringliches Fragen begann von Neuem und nun erzählte sie ihm in der Ohnmacht ihrer Schande und Furcht Alles. Ihre Worte wurden so leise geflüstert, daß sie kaum ihm verständlich waren. Seine wilde Eifersucht sog neue Nahrung aus dem Leiden, welches ihm die ihr entlockten Bilder schufen: er konnte nicht genug hören, er zwang sie, keine Einzelheit zur Vervollständigung der Thatsachen zu übergehen. Das Ohr auf die Lippen der bedauernswerthen Frau gepreßt, lechzte er wie ein Fiebernder nach dieser Beichte, deren Abbrechen seine aufgehobene Faust verhinderte, die jeden Augenblick bereit zum Niederfahren war.
Ihr ganzes vergangenes Leben in Doinville zog so noch einmal an ihm vorüber, ihre Kindheit, ihre Jugend. War das Unerhörte im Dunkel der Baumgruppen des Parks oder in einem verlorenen Winkel eines Korridors im Schlosse geschehen? Hatte der Präsident es schon auf sie abgesehen, als er sie nach dem Tode seines Gärtners zu sich in sein Haus nahm und sie mit seiner Tochter erziehen ließ? Begonnen hatte die Geschichte zweifellos schon zu jener Zeit, als die anderen Mädchen aus ihren Spielen heraus vor ihm flüchteten, wenn er plötzlich auftauchte, sie dagegen mit verzogenem Mündchen lächelnd auf ihn wartete, um von ihm im Vorübergehen auf die Backe geklopft zu werden. Und später, wenn sie ohne die Augen niederzuschlagen mit ihm zu sprechen wagte und von ihm jede Vergünstigung bewilligt erhielt, hatte sie sich nicht damals schon als die Herrin über ihn gefühlt, der, Anderen gegenüber so würdig und streng, durch seine Nachgiebigkeit von ihr sich das Anrecht auf alle Glückseligkeiten erwarb? O, über diesen schmutzigen Handel, diesen elenden Greis, der sich wie ein Großvater hätscheln ließ, das kleine Mädchen heranwachsen sah, fast stündlich dem Wachsthume ihres Körpers nachfühlte und die Zeit nicht erwarten konnte, bis die Frucht reif war.
Roubaud stöhnte.
»Wiederhole, in welchem Alter geschah es?«
»Als ich sechzehn und ein halbes Jahr alt war.«
»Du lügst.«
Leugnen, mein Gott, warum jetzt noch? Ihre Schultern zuckten im Gefühle unermeßlicher Oede und Schwäche.
»Und wo zum ersten Male?«
»In la Croix-de-Maufras.«
Er zögerte einen Augenblick, seine Lippen bewegten sich krampfhaft und ein gelblicher Schein flackerte in seinen Augen.
»Und es hatte Folgen?
Sie blieb stumm, doch als er die Faust schwang, sagte sie:
»Du würdest mir ja doch nicht glauben.«
»Sprich nur ... Also keine Folgen?«
Sie