Ein moderner Lederstrumpf. Robert KraftЧитать онлайн книгу.
was las er? Das Titelblatt lag aufgeschlagen. Ellen traute ihren Augen nicht. Es war eine französische Ausgabe von Larochefoucauld's Reflexionen und Maximen!
So berühmt dieses Buch des philosophischen Herzogs auch ist, Ellen hatte es doch nur einmal zufällig in die Hände bekommen. Und die bitteren Betrachtungen über das Leben unter Ludwig XIII. und XIV. bildeten die Abendlectüre dieses Menschen? Sie sah auf der Innenseite des Einbandes etwas Geschriebenes stehen; sie beugte sich herab, es zu lesen: Seinem Freunde Gurt Starke zur Erinnerung, Paris, im Februar 1889 — Alexandre, Vicomte de Larochefoucauld.
»Mumpitz,« sagte Starke, und sie dachte nicht mehr an diese Widmung.
»Wie meinen Sie?«
»Das heisst auf englisch: nonsense. Das riecht nach englischem Zeitungsklatsch.«
»Sie glauben nicht daran? Aber ich! Ich halte Sir Munro für fähig, mich so im Schmutze herum zu ziehen. Solch eine Gemeinheit!«
»Nicht so schnell. Man soll keinen Menschen verurtheilen, ohne ihn erst gehört zu haben, Jeder muss sich vertheidigen können. In Indianopolis treffen wir uns wieder, und ich werde ihn fragen, ob dies auf Wahrheit beruht oder nicht. Wenn es der Fall ist, stehe ich nicht mehr in seinen Diensten.«
Ellen stutzte. Deshalb war sie ja eben gekommen. Doch konnte sie ihn auch nicht recht verstanden haben.
»Dann würden Sie mich nicht mehr begleiten?« fragte sie mit leisem Staunen.
»Dann stände ich nicht mehr in seinen Diensten. Ich glaubte mich von einem Ehrenmanne engagirt, und wenn er wirklich diese Wette hinter meinem Rücken abgeschlossen hat, so ist er ein Lump, und einem Lumpen diene ich nicht.«
Ellen bekam doch etwas Hochachtung vor diesem Mann und seinen Kraftausdrücken. Ausserdem aber sah sie sich schon von dem ihr so unliebsamen Begleiter befreit, und wenn selbst nur unliebsam deshalb, weil er ihren Ruhm schmälerte.
»Ich zweifle nicht im geringsten, dass er es gethan hat, er liess mir gegenüber thatsächlich ganz dieselben Worte fallen. Wann werden wir in Indianopolis sein?«
»In 12 — 13 Tagen, wenn Sie so weiterfahren. Ich will 15 bis 16 rechnen.«
»Wir können telegraphisch anfragen ....«
»Nicht telegraphisch, nicht brieflich. Ich muss ihm in's Auge sehen, wenn ich ihn frage, dann weiss ich, ob er die Wahrheit spricht oder nicht.«
»Also nochmals: wenn dieser Bericht den Thatsachen entspricht, so werden Sie mich verlassen?«
,,Ja, wenn Sie es fordern.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Starke.« Sie nahm die Zeitung wieder mit.
Drüben las sie den Bericht noch einmal; erst jetzt brach die bittere Empfindung bei ihr durch, und diesmal waren es keine Thränen des Heimwehs, sondern solche des Jammers. Sie liebte ihn — oder sie hatte ihn doch geliebt, und unter Thränen schlief sie endlich ein.
Mitten in der Nacht erwachte sie. Der Mondschein hatte durch das unverhüllte Fenster ihr Gesicht getroffen, und dieser weckte sie immer. Ihre Uhr zeigte einhalb Drei. Einen Blick zum Fenster hinaus — klarer Himmel, Vollmond, anscheinend windstill. Schnell hatte das thatkräftige Mädchen seinen Entschluss gefasst. Jener Mann dort drüben sollte merken, dass sie ihn nicht brauchte, dass er ihr überhaupt gar nicht folgen konnte, wenn sie nicht wollte. Seine gelassene Ruhe, wie er gestern Morgen behauptete, er würde sie begleiten, ob sie nun wolle oder nicht, steckte ihr doch noch recht in den Gliedern, und diese Glieder waren auch recht steif; aber es würde gehen, es musste gehen, er sollte sie nicht einholen! Nur heimlich entfernen musste sie sich.
Also leise, ganz leise angekleidet, nicht einmal Licht gemacht, der Mond leuchtete hell genug, sie zog auch noch nicht die Stiefel an; nun zunächst die Thür geöffnet — aber oh weh, seinen Hund hatte sie ganz vergessen, den sie jetzt zurückschob.
Doch dieser schien sich nicht um die nächtliche Ausreisserin zu kümmern, lag wohl nur zufällig gerade vor der Thür. Er stand auf und rollte sich neben der Thür seines Herrn gleich wieder zusammen.
Jetzt das Rad über die Schulter genommen, auf dem Gange ein Streichholz angebrannt, geräuschlos schlich sie die Treppe hinab, geräuschlos öffnete sie die Hausthür, sie stand im Freien. Nun noch schnell die Stiefel angeschnürt und dann hinauf auf's Rad und losgetreten! Die Petroleumlampe brauchte sie nicht, es war tageshell; verfahren konnte sie sich nicht, hier gab es nur noch directe Hauptstrassen.
So, wenn dann die Sonne aufging, konnte sie ihr ungestört entgegenjubeln, und nun sollte er sie wieder einzuholen versuchen! Sie jubelte schon jetzt, weit genug entfernt war sie bereits.
Sie jauchzte nochmals auf, sie fühlte sich so leicht, so frei, gar nicht mehr so beengt ....
»Good morning, Miss!« sagte es da dicht hinter ihr. »Sie haben Ihren Gürtel mit dem Revolver und der Patronentasche liegen lassen.«
Beinahe wäre Ellen vor Schreck vom Rade gefallen.
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Im Lady-Champion-Club war »kleiner Abend«. Die Erste, welche ihre Garderobe abgab, war Judith; dann kam als Zweite die tolle Lady Oliva Hobwell.
Judith konnte sonst dieses verrückte Weib mit ihrem verrückten Benehmen und haarsträubenden Redensarten um den Tod nicht leiden, heute eilte sie ihr gleich entgegen,
»Wissen Sie schon? Es ist Thatsache, Sir Munro hat jenen Curt Starke engagirt, Miss Howard zu begleiten. Hiergegen lege ich ...!«
»Sie legen gar nichts, weder Eier noch Proteste,« unterbrach sie die tolle Lady, während sie die Handschuhe von den diamantengepanzerten Fingern streifte. »Sonst mache ich Sie herunter, dass kein Hund ein Stückchen Brot mehr von Ihnen nimmt.«
»Waas?« hauchte Judith erbleichend. Das war toller als toll.
»Lassen Sie mich ausreden. Mir ist es ganz gleichgültig, ob Ellen diese alberne Wette gewinnt oder verliert, aber wenn Sie etwas dagegen einzuwenden haben, dass dieser Curt Starke die Ellen begleitet, so werde ich etwas von Ihnen erzählen. Ich war nämlich heute Morgen auf der Redaction der »Chronicle Post«. Dieses Schundblatt hatte ohne meine Erlaubniss mein Bild gebracht. Da hörte ich im Nebenzimmer eine Unterhaltung .... Sehen Sie? Trotz Ihrer dunkelen Couleur werden Sie weisser als ein Schneeball. Gut, Sie wissen also, was ich meine. So lassen Sie sich nur noch Eines sagen und Sie werden mir kein Wort erwidern: Sie sind ein ganz miserabeles Frauenzimmer. Pfui Deibel!!«
Und die tolle Lady warf die knisternde Seidenschleppe über den Arm, dass man ihre spitzenbesetzten Beinkleider trotz deren Kürze sah, und liess Judith stehen.
Es kamen hier manchmal wuchtige Scenen vor, besonders wenn sich die Champion-Damen in die Haare geriethen, aber solche starke Worte waren doch noch nicht gefallen.
Es war noch nicht Alles: Zwei andere Damen traten ein, freudestrahlend hüpfte die tolle Lady auf sie zu.
»Wissen Sie schon? Zu übermorgen hat Lady Judith uns alle zum Souper in ihre Wohnung, eingeladen. Und extra für mich will sie selber die Schlagsahne peitschen, das könnte sie grossartig. Nicht wahr, liebste Judith?«
»Wenn es den Damen angenehm ist,« lächelte Judith höflich.
Da war die Lady Oliva schon wieder bei ihr, klopfte ihr hinten auf die Schulter und blickte ihr ebenfalls lächelnd in's Gesicht.
»Aber recht steif schlagen, liebste Judith, nicht wahr? Sonst frisst mein Mops sie nicht.«
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5. Capitel.
Wieder verdorben.
Neben einem klaren Bache im Schatten einer Sykomore lag Ellen da, wo vor Kurzem die Morgensonne noch den Thau getrocknet hatte, und verzehrte zum Frühstück das aus dem Papiere gewickelte Brathuhn. Erst 8 Uhr und schon fast 30 Meilen zurückgelegt. Erst der fünfte Tag und schon über 250 Meilen hinter sich.