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Ein moderner Lederstrumpf. Robert KraftЧитать онлайн книгу.

Ein moderner Lederstrumpf - Robert Kraft


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fährt man mich auf einem Wagen, hebt mich auf ein Pferd, so kann dies nicht einen definitiven Verlust der Wette für mich bedeuten.«

      Man gab ihr vollkommen Recht. Die Damen wussten ja, um was es sich im Princip handelte, und auf Miss Howard konnte man sich verlassen, da gab es keine Deutelei. Wenn die in einem weltverlassenen Winkel der Erde dies Radfahren überdrüssig bekam, so begab sie sich auf die nächste Station, fuhr mit der Eisenbahn und telegraphirt, so bald sie kommt, nach London: ich habe verloren — und nicht etwa, dass sie, wenn sie sich in der Eisenbahn ausgeruht hatte, ihre Radtour wieder aufnahm. Ja, fast alle Damen glaubten, so würde es kommen, weil eben 10 000 Pfund für sie gar kein Verlust waren; nur eine dachte gerade das Gegentheil, Lady Judith, und sie grub die weissen Zähnchen noch tiefer in die Unterlippe.

      Durch die vielen auf sie gerichteten Blicke, durch diese Förmlichkeiten, besonders auch durch das Bewusstsein, dass es nun Ernst geworden, war über Ellen eine unnatürliche Ruhe und Besonnenheit gekommen.

      »Heute haben wir den 29. August. Jeden Ersten geht von Liverpool ein Schnelldampfer nach New-York, das weiss ich. Lange vorzubereiten habe ich mich nicht. So werde ich am 1. September England verlassen — und wann müsste ich da wieder hier sein?«

      »Am 27. Juni,« wurde ausgerechnet.

      »Am 27. Juni werde ich wieder den Boden Englands betreten. Meine Damen, auf Wiedersehen morgen Abend.«

      Sie gewinnt nicht, es ist unmöglich, sie wird es bald aufgeben, und ein Glück ist es nur, dass sie mit den Vereinigten Staaten beginnt, wo sie mehr Gelegenheit zur schnellen Rückfahrt mit der Eisenbahn hat als dort unten bei den Heiden - so lautete das allgemeine Urtheil der Zurückgebliebenen, als man sich die Tour auf der Landkarte näher besah und nach gegenseitiger Uebereinstimmung wurden die kleinen Wetten ohne Reugeld zurückgenommen, da aber doch etwas dabei sein musste, wettete man, wie weit sie kommen würde.

      Nur die tolle Oliva Hobwell, die Tochter eines der sieben Lords, denen ganz London gehört, welche immer grübelte, wie sie allein ihr Nadelgeld auf eine anständige Weise los würde, sagte phlegmatisch:

      »Ich mache Buch für Miss Howard, wer wettet gegen Lady Barrilon, und ganz London soll sich daran betheiligen; die armen Leute, die immer auf ihr Pferd verlieren, wollen auch einmal gewinnen.«

      ____________________

      2. Capitel.

       Zu spät gekommen.

      »Ist Miss Ellen Howard zu sprechen? Dann bitte diese Karte abgeben.«

      Mit Kennerblick musterte die Zofe den jungen Herrn. Dunkle Beinkleider bei der Hitze? Das hübsche Gesicht mit dem flotten Bärtchen war doch für gewöhnlich sicher nicht so feierlich wie jetzt? Und seit wann nennt man denn den Vornamen, wenn man einer Dame einen Besuch abstattet? Entweder war's ein Crimineller, die Gnädige hatte wieder einmal etwas auf dem Kerbholze, obgleich sie doch gar nicht mehr Rad fuhr — oder er wollte sie heirathen.

      Der verdächtige Mann stand im Empfangssalon vor einem Gemälde und schlug mit dem Cylinder auf seinem eigenen Rücken den Tact zu dem Concert, welches »Die beiden Musikanten« machten.

      Sir Robin Munro war der zweite Sohn eines Lords, führte daher nur den Titel Baronet mit einem »right honorable«, hatte keinen Sitz im Parlament, dagegen, als einziges Kind aus zweiter Ehe, eine sehr reiche Mutter gehabt, und so konnte er unabhängig Zinsen verzehren, die sein Stiefbruder, der Lord im Oberhause, nicht besass. Auch stand auf seinen gewöhnlichen Visitenkarten einfach »Robin Munro«, nichts weiter. Viele, die mit ihm schon jahrelang verkehrten, wussten nicht einmal, dass er mit jener gräflichen Familie auch nur verwandt sei, und aus alledem lässt sich schliessen, dass der junge Mann Verstand genug besass, um sich aus seiner Freiheit und seinem Gelde ein recht hübsches Leben zusammenzuzimmern. Anstatt die kostbare Zeit in tausend Thorheiten zu vertändeln, wie es meist die jeunesse d'orée that, erweiterte er seine Sprachkenntnisse; er trieb Musik, malte und daneben huldigte er mit weiser Vernunft einem gesunden Sport; er ritt, er spielte jeden Dienstag Nachmittag mit Anstand Lawn-Tennis; er übte Hand und Auge durch Fechtstunden, er war überhaupt keinem Sport abgeneigt — — — — aber nur nicht radfahren! Er hasste das Radfahren! Er verachtete alle Radfahrer! Radfahrer kamen gleich hinter Anarchisten! Rowdies, Raufbolde, Räuber, Raubmörder, Radfahrer ....

      Er übertrieb immer etwas mit Absicht, lächelte über sich selbst. Aber nicht, wenn die Sprache auf die radelnde Frau kam! Oh Schmach der Menschheit, Scandal der Weltgeschichte, barbarischer Hohn aller Aesthetik! Jawohl, da sitzt sie und trampelt — womöglich gar noch in Pumphosen — und zu Hause liegen die zerrissenen Strümpfe; der Mann näht sich die Knöpfe selbst an, das Essen kocht über, und aus der Wiege stürzt das Kind. Wenn er in Eifer kam, konnte er auch noch weiter erzählen: der erschrockene Vater springt auf, reisst den Petroleumofen um, die Gardine brennt, die Stube brennt, das Haus brennt, die Strasse brennt, das Stadtviertel brennt, ganz London brennt, die Bank von England verbrennt mit, die Soldaten bekommen keinen Lohn, Meuterei, Irland reisst sich los, die Russen fallen in Indien ein, die Vereinigten Staaten nehmen Canada, Frankreich macht auch mit, Deutschland wird mit in den allgemeinen Weltkrieg verwickelt, Oesterreich und Italien helfen natürlich, die Chinesen gehen gegen die Japaner los — und dies Alles wegen solch einer Radlerin in Pumphosen! Doch nein, Scherz bei Seite — die radelnde Frau war ihm eine unästhetische Scheusslichkeit. —

      Lady Barrilon war es gewesen, welche dafür gesorgt, dass Sir Munro einmal zu dem grossen Herrenabend des Damen-Clubs eingeladen wurde, denn sie hatte auf den jungen reichen Mann, dessen Titel so gut zu dem ihren passte, schon speculirt, als ihr kränklicher Gatte noch gar nicht richtig todt gewesen. Er war gekommen. Sie fuhren gern Alle Rad — na, schliesslich waren es doch auch Menschen, und er wollte sich diese Champion-Damen einmal in der Nähe betrachten.

      Da hatte er auch Miss Howard kennen gelernt, und schon an jenem Ahend dachte Lady Judith ernstlich darüber nach, ob es nicht ein unauffällig, aber sicher wirkendes Gift gäbe, das die Gerichtsärzte dann nicht an der Leiche nachweisen könnten.

      Sie sahen sich noch öfters, Miss Howard und Sir Munro, auf Bällen, im Theater, im Hyde-Park, und obgleich er sie auch mehrmals zu Rade gesehen hatte, sagte er doch eines Abends in einer Tanzpause, als sie in einer einsamen Fensternische sassen: Ich möchte Sie heirathen.

      Das heisst, er gebrauchte viel mehr Zeit dazu; aber diese vier Worte bildeten doch den kurzen Inhalt seiner langen, wohlgesetzten Rede.

      Sie hatte ein paar Mal den Fächer auf- und zugeklappt, betrachtete nachdenklich die Spitzen ihrer Tanzschuhe und wendete das Gesicht ihm zu.

      »Nicht wahr, Sie fahren wohl Rad?''

      »Nein, und wenn Sie meine Gattin sind, wenn Sie also Liebe für mich empfinden, so werden Sie mir zu Liebe das Radfahren aufgeben.«

      »Ach, wie schade, mein lieber Sir Munro! Ich habe mir nämlich gerade gestern eine neue Maschine mit zweijährigem Garantieschein gekauft.«

      »Und Sie wollen diesen Garantieschein erst abnutzen.«

      »Wenigstens für ein Jahr. Länger hält das Ding doch nicht.«

      »So werde ich mir erlauben, in einem Jahre wieder vorzufragen.«

      Sprach's, stand auf, machte eine vorschriftsmässige Verbeugung und ging.

      »Vorausgesetzt, dass Sie radeln,« erklang es ihm nach. Natürlich war es nur Scherz gewesen. Sie liebte ihn, er wusste es. Wie könnte ein Rad der Liebe im Wege stehen! Sie war noch jung, sie wollte noch ein Jahr frei sein, und er wartete geduldig. Aber radeln that sie doch noch. Allerdings nur noch dreiviertel Jahr, dann rannte ihr eine scheu gewordene Droschke in die Maschine. Sie kam mit einer verstauchten Hand weg, das Rad dagegen ging in tausend kleine Stücke, und das Geschäft, welches den Garantieschein ausgestellt hatte, wollte von einer kostenlosen Reparatur nichts wissen; sie solle sich an den Droschkengaul halten. Seit dieser Zeit radelte Ellen nicht mehr. Nun hätte er kommen können, aber er kam nicht; Munro war in allen Geschäftssachen auffallend pünktlich.

      Aber jetzt war das Jahr um; jetzt hatte er seine Visitenkarte mit Titel und


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