Die geheimnisvolle Insel. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
– Kein einziges, und folglich auch kein Feuer!
– O, rief Nab, da müßte mein Herr zur Stelle sein, der würde bald Rath schaffen!«
Bewegungslos und doch nicht ohne Unruhe sahen sich die vier Schiffbrüchigen an. Harbert brach zuerst das Schweigen und sagte:
»Mr. Spilett, Sie sind Raucher und haben doch wohl immer ein Feuerzeug bei der Hand. Vielleicht haben Sie nur nicht gründlich nachgesehen? Bitte, thun Sie es noch einmal. Ein einziges Zündhölzchen würde uns ja genügen!«
Von Neuem durchwühlte der Reporter alle Taschen seiner Kleidung, wobei er endlich zur größten Freude Pencroff's und zum höchsten eigenen Erstaunen ein zwischen das Westenfutter gelangtes Hölzchen fühlte. Gleichzeitig mit dem Stoffe hatte er dasselbe zwar erfaßt, vermochte es aber nicht hervorzuholen. Da nur dieses einzige vorhanden war, galt es sich vor der Losstoßung des Phosphorköpfchens sorgsam zu hüten.
»Wollen Sie mich gewähren lassen?« sagte der junge Mann.
Sehr geschickt und ohne es zu zerbrechen gelang es ihm, das erbärmliche und jetzt doch so kostbare Splitterchen hervorzuziehen.
»Ein Zündhölzchen! rief Pencroff, o, das ist ebenso viel, als ob wir eine ganze Ladung solcher hätten!«
Er nahm das Hölzchen in Empfang, und Alle begaben sich nach den Kaminen zurück.
Das kleine Stückchen Holz, das man unter anderen Verhältnissen doch ganz achtlos verschwendet, verlangte hier die Anwendung der peinlichsten Vorsicht. Der Seemann überzeugte sich zunächst, ob es auch trocken sei.
»Wir sollten Papier zur Hand haben, sagte er.
– Hier ist welches«, antwortete Gedeon Spilett, der nicht ohne einiges Zaudern ein Blatt aus seinem Notizbuche riß.
Pencroff ergriff das Stück Papier, das ihm der Reporter hinreichte, und kauerte sich vor dem Herde nieder. Auf diesem wurden einige Hände voll trockener Kräuter, Blätter und Moose so unter den Holzstücken ausgebreitet, daß die Luft leichten Zugang hatte, um das Ganze in Flammen zu setzen.
Pencroff knitterte das Papier zusammen und schob es unter, suchte sich dann einen trockenen, etwas rauhen Kiesel und versuchte mit angehaltenem Athem und nicht ohne Herzklopfen das Zündhölzchen sanft darauf zu reiben.
Das erste Streichen blieb erfolglos. Pencroff hatte, aus Furcht, daß der Phosphor abspringen könnte, zu wenig aufgedrückt.
»Nein, ich kann's nicht, sagte er, mir zittern die Hände. Das Hölzchen könnte versagen ... Ich kann nicht ... ich mag nicht!« Er erhob sich und hieß Harbert seine Stelle einnehmen.
Gewiß war der junge Mensch noch nie in seinem Leben so erregt gewesen. Das Herz schlug ihm heftig. Als Prometheus das Feuer vom Himmel stahl, konnte er nicht ängstlicher ergriffen sein. Entschlossen strich Harbert mit dem Hölzchen schnell über den Kiesel. Mit leisem Knistern schlug eine bläuliche Flamme auf, die einen scharfen Rauch verbreitete. Langsam wendete Jener das Hölzchen, um es weiter anbrennen zu lassen, und hielt es dann unter das Papierbäuschchen. Dieses fing Feuer, und in wenigen Augenblicken standen die dürren Moose und Blätter in Flammen. Bald nachher knisterte auch das Holz und loderte, unterstützt durch das kräftige Anblasen des Seemanns, lustig durch die Finsterniß empor.
»Endlich! rief Pencroff. Ich bin doch in meinem ganzen Leben noch nie so aufgeregt gewesen!«
Auf den glatten Steinen des Herdes brannte das Feuer ganz nach Wunsch; der Rauch fand einen bequemen Ausweg, der Schornstein »zog«, und es verbreitete sich eine behagliche Wärme.
Dieses Feuer durfte nun freilich niemals verlöschen und mußte wenigstens etwas Gluth unter der Asche erhalten werden. Da es an Holz nicht fehlte und dessen Vorrath stets ergänzt werden konnte, so machte das nur einige Sorgfalt und Arbeit nöthig.
Pencroff trug zuerst Sorge, dieses Herdfeuer zu benutzen, und eine consistentere Mahlzeit, als sie ein Gericht Steinmuscheln gewährt, zu bereiten. Harbert holte dazu zwei Dutzend Eier herbei. Der Reporter lehnte in einer Ecke und betrachtete diese Vorbereitungen, ohne ein Wort dazu zu sagen. Ein dreifacher Gedanke beschäftigte sein Inneres. Lebte Cyrus überhaupt noch? Wenn er lebte, wo konnte er sein? Wenn er den Sturz aus dem Ballon überstand, sollte er kein Mittel gefunden haben, ein Lebenszeichen von sich zu geben? – Nab endlich streifte am Ufer hin und her und erschien nur noch wie ein Körper ohne Seele.
Pencroff, welcher Eier auf zweiundfünfzig verschiedene Weisen zuzubereiten verstand, hatte jetzt doch keine Wahl. Er mußte sich damit begnügen, dieselben in heiße Asche zu legen und hart werden zu lassen.
Nach Verlauf weniger Minuten war das geschehen und lud der Seemann den Reporter ein, an dem Nachtmahl theilzunehmen, an der ersten Mahlzeit der Schiffbrüchigen auf der unbekannten Küste. Die harten Eier schmeckten ausgezeichnet, und da das Ei fast alle zur Ernährung des Menschen nothwendigen Bestandtheile enthält, so befanden sich die Verunglückten recht wohl dabei und schöpften neue Kräfte.
O, wenn Einer von ihnen jetzt nicht gefehlt hätte! Wenn alle fünf aus Richmond entflohenen Gefangenen hier zusammen gewesen wären, unter diesem Haufen von Felsstücken, vor dem flackernden Feuer auf dem trockenen Sande, sie hätten gewiß aus überquellendem Herzen dem Himmel ihren Dank dargebracht! Aber der erfindungsreichste, der unterrichtetste von ihnen, ihr natürlicher Anführer, Cyrus Smith, fehlte ja, ach, und seine Leiche hatte nicht einmal ein Grab gefunden!
So verlief der 25. März. Die Nacht kam heran. Draußen hörte man das Pfeifen des Windes und das eintönige Rauschen der Brandung an der Küste. Die von den Wellen hin und zurück gerollten Strandsteine erzeugten ein betäubendes Geräusch.
Nachdem der pflichtgewöhnte Reporter kurz die Ereignisse des Tages, die erste Erscheinung des neuen Landes, das Verschwinden des Ingenieurs, die Auskundschaftung der Küste, die Geschichte bezüglich der Zündhölzchen u.s.w. kurz verzeichnet hatte, zog er sich in einen dunkleren Raum zurück und fiel daselbst, von der Müdigkeit überwältigt, in erquickenden Schlummer.
Auch Harbert schlief bald ein. Mit halboffenen Augen lag der Seemann neben dem Herde, den er mit reichlicher Nahrung versorgte. Ein Einziger der Schiffbrüchigen suchte keine Ruhe. Das war der untröstliche, verzweifelte Nab, der trotz der Mahnungen seiner Gefährten, sich einigen Schlaf zu gönnen, die ganze Nacht den Namen seines Herrn rufend auf dem flachen Ufer umherlief.
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Sechstes Capitel
Das Inventar der Schiffbrüchigen. – Nichts! – Ersatz für eine Lunte – Ausflug in den Wald. – Die Flora der grünen Bäume. – Der Jacamar auf der Flucht. – Spuren wilder Thiere. – Die Kurukus. – Die Tetras. – Eine sonderbare Angelfischerei.
Das Verzeichniß der Besitzthümer dieser Schiffbrüchigen des Luftmeeres, welche nach einer scheinbar unbewohnten Küste verschlagen waren, ist leicht aufzustellen.
Außer den Kleidern, die sie zur Zeit des Unfalls trugen, besaßen sie eben gar Nichts. Auszunehmen wären höchstens ein Notiz- und Skizzenbuch, nebst einer Uhr, die Gedeon Spilett mehr aus Versehen behalten hatte; doch war keine Waffe, kein Werkzeug, nicht einmal ein Taschenmesser vorhanden. Alles hatten die Insassen der Gondel ausgeworfen, um den Ballon zu erleichtern.
Daniel Defoe's und Wiß' erdichtete Helden, ebenso wie Selkirk und Raynal, die bei Juan Fernandez und im Aucklands-Archipel gescheitert waren, sahen sich nie so sehr alles Nothwendigen beraubt. Entweder blieben ihnen reiche Hilfsquellen durch die gestrandeten Schiffe, aus denen sie Getreide, Thiere, Werkzeuge, Munition u. dergl. nachträglich bargen, oder irgend eine Seetrift versorgte sie mit den dringlichsten Lebensbedürfnissen. Nie standen sie so ganz macht-und waffenlos ihrem Schicksale gegenüber. Hier fand sich aber kein Geräth, kein Werkzeug vor. Alles mußte aus Nichts geschaffen werden.
Wäre noch Cyrus Smith bei den Verunglückten gewesen, hätte er seinen praktischen Verstand, seinen erfindungsreichen Geist in den jetzigen Umständen verwerthen können, so brauchte man wohl nicht jede Hoffnung aufzugeben! Ach, und gerade auf Cyrus Smith's Hilfe