Graf Petöfy. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.
der andern die büßende Magdalena von Carlo Dolci zeigte. Alles machte den Eindruck von Behagen und Stille. Dicke Teppiche lagen ausgebreitet, und ein feiner Parfüm wie von Ambra war in der Luft. Er schien von einem Lämpchen zu kommen, das auf einem Ecktisch stand und mit einer kleinen blauen Flamme brannte. Darüber hing der Gundolskirchensche Lieblingsheilige, der heilige Florian.
Es schien, daß der Pater eben aufbrechen wollte. Die Gräfin hielt ihn aber zurück und sagte: »Nein, lieber Freund, Sie müssen noch bleiben und den Tee mit uns nehmen. Es liegt mir daran. Und doch andererseits...«
Er verbeugte sich, um seine Zustimmung auszudrücken.
»Und doch andererseits«, wiederholte die Gräfin, »bin ich in einiger Sorge vor Ihrer Kritik. Es entgeht Ihnen nichts, und ich fürchte, Sie werden allerlei sehen und hören müssen, was Sie, das mindeste zu sagen, nur wenig angenehm berühren kann. Denn um was wird es sich handeln? Um Rivalitäten und Theaterintrigen. Aber ich konnt es meinem Bruder, dem Grafen, nicht abschlagen und mocht auch nicht.«
Feßler schien hier unterbrechen zu wollen, aber die Gräfin fuhr fort: »Und dann ist sie Lutheranerin oder Kalvinistin, oder was weiß ich, und wird also sehr wahrscheinlich an der ewig wiederkehrenden protestantischen Ungezogenheit kranken, ihre ketzerischen Naivitäten in einem Tone vorzutragen, als ob ein Appell unmöglich sei.«
»Lassen wir sie, meine Gnädigste«, sagte der Pater. »Ich für meine Person habe nichts lieber als diesen Ton und vergnüge mich immer wieder, die verlorengegangenen oder doch in Abfall geratenen Kinder unserer Kirche von kirchlichen Dingen reden zu hören, von Dingen also, die sie nicht verstehen und doch auch wieder sehr gut verstehen. Es ist immer unterhaltlich und lehrreich. Und am unterhaltlichsten und lehrreichsten erscheinen mir allemal diese Preußen in ihrer rechthaberischen Ausgesprochenheit und ihrem ehrlichen Glauben an eine preußische Verheißung mit dem Alten Fritzen als Gott oder wenigstens als Nationalheiligen. Ich habe viel gegen sie zu sagen und nehme sie, wie sich von selbst versteht, als unsere geschworenen und allerechtesten Feinde, zugleich aber doch als solche, denen gegenüber mir das sonst so schwierige ›Liebet eure Feinde‹ nie sonderlich schwer geworden ist. Sie haben etwas Anregendes und überhaupt manches vor uns voraus. Und darunter sogar Großes.«
»Und das wäre?«
»Beispielsweise die Freiheit. Nicht die politische, die nicht viel, und auch nicht die soziale, die noch weniger bedeutet, aber die innerliche. Sie prüfen die Dinge, sind kritisch und leben selbständig aus sich heraus. Und das ist ein Heilsweg; ja, lassen Sie mich hinzusetzen: unter richtiger Voraussetzung der einzige Weg, der zum Heile führt.«
Die Gräfin sah ihn verwundert an, Feßler aber fuhr fort: »Sie sind überrascht, gnädigste Gräfin, und doch bin ich Ihrer schließlichen Zustimmung sicher. Es gibt eine höchste Lebensform, und diese höchste Lebensform heißt: ›in Freiheit zu dienen‹. Das Dienen aus bloßem Zwang heraus ist tot, und erst aus einem selbstgewollten, weil als unerläßlich erkannten Verzicht auf die Freiheit erblüht uns der echte, welterlösende Glauben. Aber um auf die Freiheit verzichten zu können, dazu muß man sie vorher haben. Sie haben ist das Erste, sich ihrer begeben das Zweite. Den ersten Schritt hat der Protestantismus getan. Vermag er auch den zweiten Schritt zu tun, den Schritt zu Rückkehr und freiwilliger Unterordnung unter das Gesetz, so haben wir in ihm das Ideal. In hoc signo vinces. Da liegt die Zukunft, das Geheimnis einer höher potenzierten Welt.«
Als die Gräfin eben antworten wollte, wurde der als Portière dienende Teppich zurückgeschlagen, und die junge Dame, die zu diesem Gespräche wenigstens mittelbar die Veranlassung gegeben hatte, trat ein und schritt rasch und mit einem leisen Anfluge von Verlegenheit auf die Gräfin zu. Diese hatte sich erhoben und bot ihr die Hand, die die junge Schauspielerin mit Devotion küßte. Dann verneigte sie sich gegen den Geistlichen, der sich mit erhoben hatte, während die Gräfin vorstellte: »Pater Feßler – Fräulein Franziska Franz.
Ich erwarte seit einer halben Stunde schon meinen Bruder, den Grafen«, fuhr die Gräfin fort, während sie die junge Dame neben sich einlud. »Er ist sonst die Pünktlichkeit selbst. Bis zu seinem Erscheinen, liebes Fräulein, werden wir uns also mit Pater Feßler einzurichten haben. Glücklicherweise sind Sie lange genug in Wien, um zu wissen, daß die Jesuiten, um das Schrecklichste vorwegzunehmen, aller Schrecklichkeit unerachtet, doch sehr umgängliche Leute sind. Und die Liguorianer eifern ihnen wenigstens nach. Nicht wahr, Pater Feßler?«
Dieser lächelte, während Franziska nicht zögerte, das Wort »umgänglich«, das ihr sehr apropos ausgesprochen worden war, geschickt aufzugreifen, um nun ihrerseits daran anknüpfend die »Tugend der Umgänglichkeit« als eine spezifisch wienerische zu preisen.
»Ich hör es gern«, erwiderte die Gräfin, »daß Ihnen unser Wien gefällt. Es ist nicht immer so. Das norddeutsche Wesen ist doch sehr anders.«
»Sehr anders«, wiederholte die junge Schauspielerin. »Gewiß. Aber vielleicht liegt gerade hierin der Grund, daß sich das Norddeutsche zu dem Wienerischen hingezogen fühlt, denn das Wienerische hat neben dem Vorzuge der Umgänglichkeit auch noch andere Vorzüge, die das in den Schatten stellen, was gelegentlich mit zu viel Güte gegen uns als unsere besondere Tugend betrachtet wird. Wir empfinden tief das Unausreichende des bloß Angelernten. Eine Sehnsucht nach dem Einfacheren, Natürlicheren regt sich beständig in uns, und diese Sehnsucht ist vielleicht unser Bestes.«
Ein freundlicher Blick Feßlers, der mit feinem Ohre heraushörte, daß all das, wenn nicht selbständig gedacht und gefühlt, so doch wenigstens aufrichtig nachempfunden war, streifte die Künstlerin, die, nunmehr ihrerseits durch diesen Blick ermutigt, in ihrem Thema fortfuhr:
»Und diese sich in gefällige Formen kleidende Natürlichkeit, die Wien so zweifellos vor uns voraushat, woher kommt sie? Wenn mich nicht alles täuscht, so spricht die Kirche dabei mit, die ja von alten Zeiten her die Formen des Lebens bestimmte, die Kirche samt den Dienern der Kirche. Pater Feßler wolle mir nach einer nur nach Minuten zählenden Bekanntschaft eine solche Liebeserklärung in Überfallsform freundlichst zugute halten. Aber dabei muß es auf jede Gefahr hin bleiben, außer Ihrer schönen Kaiserin hat Wien nichts, das mich so sympathisch berührte wie seine Geistlichkeit, Jesuiten und Liguorianer mit eingeschlossen.«
Viertes Kapitel
Das Erscheinen des alten Grafen, der sich lebhaft und beinahe hastig entschuldigte, die Stunde so schlecht gehalten zu haben, unterbrach das Gespräch. Graf Egon war mit ihm. Eine Vorstellung fand nicht statt; man kannte sich bereits von der Soiree her.
»Oh, nichts von Entschuldigungen!« sagte die Gräfin, als beide Herren ihre Plätze genommen hatten. »Wir haben dich, um die Wahrheit zu gestehen, nicht vermißt, auch Egon nicht, am wenigsten in dieser letzten Minute, wo wir in der bevorzugten Lage waren, Confessions entgegennehmen zu können. Und du weißt ja, Bruder, wieviel uns Confessions bedeuten! Unser lieber Gast sprach nämlich mit Vorliebe von Wien und nicht bloß von Wien, sondern auch von Liguorianerpatres, was dich vielleicht am meisten überraschen wird. Ob auch erfreuen?«
»Mich erfreut alles, was unsere liebe Freundin sagt oder tut, und selbst Feßler wird mir in diesem Falle zustimmen.«
Dieser nickte.
Die junge Schauspielerin aber warf einen Blick auf Egon, dessen Gegenwart sie befangen zu machen schien, und sagte dann, während sie den leichten Ton ihres voraufgegangenen Geplauders wiederzugewinnen trachtete:
»Fast muß ich fürchten, mich mit meinen Confessions ins Komische gestellt zu haben. Aber mein Rollenfach, das das Naive wenigstens streift, mag mich entschuldigen. Unser Beruf gibt uns schließlich unsern Ton und unsere Haltung.«
»Und wenn nun das Naive vielleicht Ihre Naturanlage wäre?« scherzte der alte Graf.
»Das ist es leider nicht. Ich bilde mir wenigstens ein, überlegend und beinahe berechnend zu sein, eine nüchterne norddeutsche Natur. Und wenn sich mir meine Wünsche erfüllen, so werd ich eine Kaufmannsfrau.«
»Das werden Sie nie«, warf Egon kurz und mit großer Bestimmtheit ein. »Angenommen selbst, meine Gnädigste, daß Sie's in Ihrer Charakteraufrechnung in jedem Einzelpunkte