Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2. Jochen KlepperЧитать онлайн книгу.
Visiten.
Der König schenkte ihm Bier ein. Er nahm selbst den neuen Humpen vom Bord. Grumbkow verbarg sein inneres Lächeln vollkommen. Der Graf, so sagte er dem König, wisse sich noch gar keinen Rat, wie er einen längeren Aufenthalt in Potsdam bewerkstelligen solle. Man ersuchte Majestät um einen Kurier nach Wien, und Seckendorff bat, diesem ein paar Zeilen über seine Berliner Eindrücke mitgeben zu dürfen. Der König war selig.
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An dem Tage, an dem ein Vierteljahrhundert über der Gründung des Königreiches Preußen hingegangen war, am 18. Januar 1726, spät am Nachmittag, gebar die Welfin Sophie Dorothea dem Hause Brandenburg den sechsten Sohn. Drei tote Söhne waren vergessen angesichts der drei lebenden. Monate hindurch hatte der Gedanke, dass ihr neues Kind, vielleicht ein Sohn, um den 18. Januar geboren werden würde, im Zusammenhang mit ihren britischen Träumen die Königin mit eigentümlicher Erregung erfüllt. Unter solch erhebenden Auspizien musste auch diesem Kinde aus welfischem Mutterblut mit aller Gewissheit eine Krone bestimmt sein! Die Tochter des Königs von England gebar keine apanagierten Prinzen!
So wurde nun der Jubiläumstag des jungen Königreiches doch noch mit Prinzensalut und Glockengeläut gar feierlich begangen, obwohl der König für das Fest seiner Dynastie und seines Staates keinerlei Anordnungen getroffen hatte.
Der Gatte und die acht Kinder erschienen bald am Bett der Wöchnerin. Ernst sah der König auf den neuen Sohn; er betrachtete, den Kopf tief über die Wiege geneigt, lange das überzarte, welke Kleine. Nun erst winkte er Ewersmann, dem Diener, er möge näher treten. Der trug ein großes Tablett an das Lager Ihrer Majestät; neun goldene Kästchen standen darauf, geschmückt mit Wappen, Initialen und reichen Emblemen; nur auf dem neunten war ein Schild für das Monogramm des Neugeborenen noch frei. Der König erklärte der Gattin die Gabe; jede der Dosen trage den Namenszug von einem ihrer Kinder. Auf einem Pergamente sollten die Umstände von eines jeden Geburt verzeichnet und in den goldenen Kästchen aufbewahrt werden.
Wie er da stand, ernst und blank im langen, blauen Uniformrock, ohne Orden, goldene Schnüre und Perücke, hätte kein Fremder den Herrn für einen König zu halten vermocht, der einen großen Tag seines Reiches und Hauses beging. Aber er schien unermesslich stolz, als er nun verfügte, der Kronprinz solle das Brüderchen über die Taufe halten. Da Friedrich aber noch so jung war, bedurfte es eines theologischen Gutachtens. Es musste auf der Stelle eingeholt werden. Die Königin ließ die Königinnen des Erdteils zu Patinnen bitten. Nun fühlte sie sich hoch erhaben über sie.
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Noch auf diesen Abend hatte König Friedrich Wilhelm den Präsidenten von Creutz zu sich bestellt, wie stets in die Räume des Generaldirektoriums. Keine Unterredung zwischen dem König und seinem einstigen Geheimsekretär und Wusterhausener Regimentsschreiber hatte mehr anders stattgefunden als im Anblick all der Kassenschränke und Regale mit den Rechnungsfolianten des Königreichs Preußen.
Präsident von Creutz, der sonst nur noch im eigenen fürstlichen Empfangssaal zu verhandeln gewohnt war, erschien zu der Audienz in ungleich prächtigerer Aufmachung als der König selbst. Das flatterte von Spitzen um die Handgelenke und den Westenausschnitt seines goldverbrämten Staatsrockes! Das schimmerte von überreich gestickten Ornamenten! Die langen, harten Hände des einstigen Schreibers dufteten von teurem, modischem Balsam. Früher war seine Rechte an Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger von nächtelangem Umklammern des Federkieles manchmal wund und entzündet und verschwollen gewesen.
Aber die Rede vom Sparen, Erwerben und Vermehren blieb seine größte Leidenschaft. Noch immer erschienen die dichten und klaren Gefüge der Zahlen dem harten Kontrolleur als das schönste Poem; und ihre langen, dunklen Reihen in schmalen, scharfbegrenzten Kolumnen aufs glatte, weiße Papier zu setzen, war ihm vom bitteren Anfang bis zur gegenwärtigen Höhe der Inbegriff beschwingten Malens, der Klang des Goldes aber, das auf harte Bretter aufgezählt wurde, die süßeste Musik. Er hatte es zuvor gewusst, dass sein Gespräch mit dem König an diesem Freudentage des Hauses nichts anderes bringen würde als eine Bilanz. Noch immer ging es zwischen ihnen beiden allein um das Plus, und den Namen Der Plusmacher trugen sie beide noch immer gemeinsam.
In dieser abendlichen Unterhaltung enthüllte sich aber über die Erkenntnisse der bloßen Bilanz hinaus dem Generalkontrolleur der preußischen Kassen etwas von dem Sinn des Wortes Rechenschaft.
„Über unseren Kassenbüchern“, so begann der König, „scheint mir Ihr Gesicht ein wenig verkniffen geworden zu sein.“
Creutz, wie der glattesten Hofleute einer, entgegnete: „Dann kann es nur die Spur der Anfangszeiten sein. Zum mindesten neuerdings hätte ich keinen Anlass zur Düsterkeit, Majestät.“
Für einen Augenblick sah König Friedrich Wilhelm heiter auf. „Dass nun mein deutsches Geld das beste im Lande ist, das freut mich“, gestand er. „Diese Reform hat mir der liebe Gott eingegeben im Herumfahren, denn ich kann versichern, dass mir kein Mensch davon gesprochen hat.“
Bilanzen enthielten das einzige Lob, das der König ertrug; doch schloss er nach der nüchternen Erörterung der Fakten und Summen: „Im Anfang war immer der Widerstand. Aber von all den Neuerungen des Kommerzes ist Gott bekannt, dass ich sie anordne, damit das platte Land floriere.“
Der Präsident hörte es nicht gern, dass der König immer noch und immer wieder Gott in Rechnung stellte; selbst die Pläne zur Währungsreform sollte Gott ihm eingegeben haben! Aber um dieses seines Gottes willen hatte der König schon manches Creutzsche Projekt in dem Augenblick durchquert, da es den größten Erfolg verhieß. In einem strengen Winter gab er die reichen Vorräte des Tuchmagazins an die Armen ab. Und als die Überschwemmungen der Oder arge Not über die schlesischen Lande des Kaisers brachten, verkaufte der Herr sein aufgespeichertes Getreide, statt mit dem Schatz zu spekulieren, zu Schleuderpreisen an die Untertanen des Kaisers, der selber nicht imstande war, zu helfen! Vor derlei unberechenbaren Zwischenfällen war der Generalkontrolleur bei dem Generaldirektor von Preußen nie sicher. Und nur die ungeheure Unternehmungslust und der unversiegliche Erfindungsgeist des Königs boten Creutz dann Ausgleichsmöglichkeiten, wenn der Chef wieder einmal mit allerlei leichtsinnigen und verschwenderischen Auflockerungsabsichten hervortrat, damit nur ja „keine Anlagen gemacht werden sollten, bei denen die Untertanen nicht bestehen könnten“, oder dass nur ja „der Untertanen Aussaugung durch Plackereien, Sudeleien, Sportulieren unbedingt verhütet werde“.
Manchmal war der König fassungslos, dass solche Verfügungen überhaupt zu Auseinandersetzungen mit dem Präsidenten der Generalrechenkammer führen konnten. Warum in aller Welt hatte er ihn denn damals trotz des Geschreies all seiner hohen Beamten geholt? Doch wohl, weil Creutz das Volk, aus dem er stammte, kannte!
„Ich habe es erst kennengelernt, als ich aus ihm herausgehoben war“, pflegte der große Rechner zu sagen. „Ich habe den Daumen auf den Beuteln. Ich stehe nach allen Schichten des Volkes hin gesondert da. Das schafft Abstand zu denen, die ewig begehren; es macht sie alle nichtig und gleich; der Unterschied liegt nur im Hundert und Tausend der Forderung. Ich öffne die Kassen. Ich sehe, wie die Menschen nehmen. Ich habe neue Augen bekommen.“
Creutz hasste es, dass der König im Statistischen Büro eines Generaldirektoriums – die statistische Abteilung war eine der Lieblingsschöpfungen des Königs und nach großen systematischen Gesichtspunkten angelegt – besondere „Historische Tabellen vom platten Lande“ führte, die nur die Menschen betrafen. Die Menschen! Hundertmal, wenn Creutz seine kühnen Zusammenziehungen der Unterstützungsetats in Vorschlag brachte, hatte der Herr „vom Menschlichen her“ ihm den Einwand entgegengehalten: „Wo die Räson?“ Und diese seine Räson war leider nie in Summen auszudrücken und in Multiplikationen zu erfassen.
Und wieder sprach der Herr solch verruchtes Wort: „Das Ersparte geht nach dem Osten. Ich darf es nicht behalten. Es gehört auch nicht der Mark oder Cleve oder Pommern oder Magdeburg. Im Osten ist Mangel. Hier ist die Anweisung auf vorerst dreiundfünfzigtausend Taler. Ich zweifle nicht, dass dies einen guten Effekt tun wird.“ So machte er sich arm am Abend des Festes. Er hatte schon zu oft so gesprochen.
Der Präsident der Rechenkammer zuckte nur die Achseln. Was sollte man von einem Herrscher denken, der in dieser verrotteten Welt in dem patriarchalischen