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Das einfache Leben. Ernst WiechertЧитать онлайн книгу.

Das einfache Leben - Ernst Wiechert


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… und nun er selbst, ebenso … das Wasser ist kühl und tief, und ich denke, daß man dort schlafen kann, auf dem Grunde, wo die fremden Pflanzen wehen … aber so, verkohlt und verbrannt … Gottes Ebenbild zerstört und geschändet …«

      Er hob nicht die Hand vor die Augen, er sah immer noch geradeaus, dorthin, wo der Abendstern mit sanftem Strahlen über dem Walde stand.

      »Nein«, sagte Thomas mit Entschiedenheit, »dann hat man Ihnen Falsches gesagt und geschrieben. Wir haben es in den Hafen gebracht, das zerschossene Schiff, und von meinen Kameraden waren einige dabei, als sie die Türme öffneten … nichts war geschändet, sie waren … sie zerfielen in Staub und Asche, als man sie heraustrug … ich sage Ihnen die Wahrheit, und Sie müssen es mir glauben!«

      »Staub und Asche«, flüsterte der alte Mann, »das ist besser, viel besser … das ist, wie Gott es vorgeschrieben hat in der Bibel … Staub und Asche, das ist gut, und ich brauche nicht mehr zu hadern …«

      Er blieb noch sitzen, bis der Waldkauz lautlos über ihnen kreiste. Dann gingen sie den dunklen Weg zurück. »Gruber hieß er«, sagte er, »Valentin Gruber … aber Sie haben ihn nicht gekannt? Nein, die Schiffe waren ja auch so groß … keiner von uns weiß, weshalb er so aufs Meer wollte, niemals gab es das in unserer Familie … Der See hat es ihm angetan, dort am Hause, nicht der Wald, nur der See. Sie werden noch merken, daß er einen Zauber über den Menschen wirft. Valentin hieß er, weil ich katholisch bin, und in meinem Glauben wurde er getauft und aufgezogen. Die Frau hat immer gesagt, wir hätten einen falschen Gott, und davon sei es alles gekommen … Sagen Sie ihr nichts und wundern Sie sich auch nicht. Wer leidet, ist in allem entschuldigt, nicht?«

      »Ja«, sagte Thomas leise.

      Der Tisch war schon gedeckt, aber die Frau stand am Fenster und sah hinaus. Sie wendete sich erst um, als Gruber sagte, ein Gast sei da. »Willkommen!« sagte sie und streckte ihre Hand aus. Die Hand war kalt und fast wie Holz, und ihre Stimme kam wie aus einem Automaten heraus. Dann ließ sie die Hand wieder fallen und ging an Thomas vorbei, um ein drittes Gedeck zu holen. Sie sah ihn nicht. Ihr Gesicht war nicht vergrämt oder versteint, sondern erloschen. Es war erblindet und ertaubt, ausgehöhlt vom Schmerz, und nur die Hülle war noch zurückgeblieben, brüchig und tot wie die Haut einer Larve.

      Als sie an den Tisch traten und die Frau die Hände zum Gebet zusammenlegte, machte Gruber eine Bewegung, als wollte er sie hindern, aber dann sah er nur vor sich nieder. Die Frau blickte auf den Brotkorb in der Mitte des Tisches, und ihre Lippen bewegten sich, wie von einer verborgenen Maschine getrieben. Sie betete:

      »Lieber Gott, sei unser Gast

       und sieh, was du angerichtet hast.

       Sollen die Toten dir gut bekommen,

       alle Heiden und alle Frommen,

       und was du ertränkt hast und verbrannt

       nimm es fröhlich in deine Hand!

       Amen.«

      Dann setzte sie sich. Ihr schwarzes, zerschlissenes Seidenkleid knisterte bei jeder Bewegung, und wenn sie einen Bissen zu sich nahm, sah es aus, als fütterten fremde, nicht ihr gehörige Hände ein starres, totes Götzenbild. Sie sprach kein Wort und sah auch Thomas nicht an. Sie wußte sicherlich nicht, daß ein Fremder am Tisch saß. Sie hatte es längst vergessen. Vielleicht sah sie ein Kind, das mit dem Ruder durch den Wald lief, zum Seeufer hinunter, oder sie sah die Feuersäule aus den Geschütztürmen brechen, oder sie sah die Gestalt eines Gottes, der mit blutigen Händen seine Toten aß. Sie war hinausgetreten aus allem Menschlichen, und Thomas schien es, als gehe ein kühler Hauch von ihrem Kleide aus, wie von einem Grabgewölbe. Es fröstelte ihn, und er schwieg.

      Nach dem Essen räumte sie den Tisch ab und kam nicht wieder.

      »So ist es nun«, sagte Gruber, als sie ihre Pfeifen angezündet hatten. »Sieben Jahre, mein lieber Herr … sieben Jahre … andere würden trinken oder fluchen, aber ich kann das nicht. Er war doch auch mein Sohn, nicht wahr? Und so bin ich doch auch schuldig, nicht wahr? Sehen Sie, manchmal im Walde, wenn ich so vor mich hingehe, dann spreche ich für mich, laut und lange, um zu sehen, ob ich es noch kann, und ich lächle auch, denn das will man doch nicht verlernen. Ich spreche mit ihm, wie früher, als wir zusammen durch den Wald gingen. Er war immer fröhlich, und wir lachen, damit er nicht tot ist, verstehen Sie? Hier, im Hause, ist er immer aufgebahrt, wissen Sie, und das will ich nicht. Der Krieg hat ihn genommen, aber er ist immer bei mir, und seitdem Sie das gesagt haben, das von Staub und Asche, da will ich wieder ganz fröhlich sein … so gut ist es, daß Sie gekommen sind …«

      Wenn er sie sähe, dachte Thomas und sah den schweren Mann vor dem hölzernen Christus stehen, aber auch er würde nicht helfen … sieben Jahre, und ich habe mich beklagt? Es war ihm fast, als liebte er diesen alten Mann, der wieder fröhlich sein wollte. Das Haar fiel ihm noch schwarz in die Stirne, nur die Schläfen waren weiß, und nun wußte er auch, weshalb der Sohn zur See gefahren war: die Augen mußten es sein. Er mußte dieselben Augen gehabt haben, denen die Dinge immer zu nahe waren und die erkennen wollten, was hinter den Dingen war. Er hatte geglaubt, daß man das auf dem Meere lerne, dem einzigen Element, das keinen Vordergrund hatte. Aber er hatte wohl nur gelernt, daß der Tod in allen Elementen zu Hause ist.

      »Und … es gibt keine Hilfe?« fragte er.

      Der andere schüttelte den Kopf. »Pfarrer und Ärzte«, sagte er, »die arbeiten immer mit den Dingen, die für sie aufgehört haben, wissen Sie. Gott und Pflicht und guter Wille und so weiter.« Er sah sich vorsichtig um. »Ich bin ein einfacher Mensch«, fuhr er leise fort, »aber ich weiß es. Es gibt Mütter und Kinder, bei denen man die Nabelschnur nicht zerschnitten hat, verstehen Sie? Und so war es hier. Sie bleiben immer eins, sie werden nie zwei. Sie hat es auch gewußt, als das dort geschah. Sie kam zu mir auf den Hof, weiß wie eine Tote, und zeigte mit dem Arm in den Wald. ›Jetzt haben sie ihn fortgerissen‹ sagte sie. ›Mein Blut fließt aus.‹ Und so war es auch, daß ihr Blut ausgeflossen ist … Mein lieber Herr, das muß man nun so lassen, und nun ist es so gut, daß Sie hierbleiben und ich manchmal ein bißchen bei Ihnen sitzen darf … wie ist Ihr Name, lieber Herr?«

      Sein Gesicht war von innen beglänzt, als er sich vorbeugte und lächelnd in Thomas' Augen sah.

      »Orla«, sagte Thomas. »Thomas Orla … es ist ein märkischer Name. Aber weshalb meinen Sie immer, daß ich hierbleiben werde?«

      »Sie sind gesandt, lieber Herr Orla, ja, ich muß es wohl so nennen. Gesandt wie ein Engel des Herrn. Sehen Sie, manchmal in diesen Jahren habe ich gezweifelt, an Gott, ja, das habe ich getan. Aber an den Heiligen nicht. Von Kind auf war ich bei ihnen, das ist in unserem Glauben so, näher bei ihnen mitunter als bei Gott. Er ist so weit, so schrecklich weit. Aber sie sind nahe, an unserer Seite, denn sie haben auch gelitten, ebenso wie wir, mehr noch. Aber Gott leidet nicht, wissen Sie. Nun, und die Heiligen, sie haben Sie gesandt. Sie haben gesehen, daß ich nicht mehr weiter wußte, und da haben sie mir das geschickt, das von Staub und Asche, nicht wahr? Das ist wie ein neues Leben, denn ich glaube es. Und dafür werden Sie hier finden, was Sie suchen. Alles hängt zusammen bei den Menschen, gute Tat und guter Lohn … Der See hier, er ist zu verpachten, oder nicht zu verpachten, sondern der Fischerposten ist zu vergeben, Fischer und Jäger, beides zusammen. Ein ruhiger Posten, auch wenn der General wunderlich ist … alle sind hier wunderlich … man kann leben davon, bequem leben, wenn man einfach ist. Ein kleines Haus auf der Insel, mir gegenüber, einen Büchsenschuß weit, ein Rohrdach, ein großer Herd, ein Netzschuppen. Und ein kleiner Wald, ein schöner Wald, Jungholz mit Fichten und Birken und dazwischen alte Eichen mit trockenen Wipfeln, wo die Reiher abends einfallen. Und ganz allein, verstehen Sie? Ganz allein, nur Wasser und Wald in der ganzen Runde. Man braucht ein Boot, um zu Ihnen zu kommen …«

      »Und der General?« fragte Thomas. Seine Pfeife war ausgegangen, und er lauschte wie in einem Märchen. Ein Zauber fiel von dem alten Mann über ihn.

      »Ja, ihm gehört das alles, lieber Herr. Das Schloß und das Gut und der See. Ein armer Mann, beide Söhne gefallen, und ich habe sie beide auf den Knien gehalten. Nur eine Enkelin ist bei ihm, und sie ist wie ein Engel in dem dunklen Haus … und Sie werden die Stelle bekommen, ich selbst


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