Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte. Georg Wilhelm Friedrich HegelЧитать онлайн книгу.
und Katholiken in beständigem Widerstreit begriffen waren, und bald die einen, bald die andern die Oberhand hatten, wanderten viele aus, um in einem fremden Weltteile die Freiheit der Religion zu suchen. Es waren industriöse Europäer, die sich des Ackerbaues, des Tabak- und Baumwollenbaues usw. befleißigten. Bald trat eine allgemeine Richtung auf die Arbeit ein, und die Substanz des Ganzen waren die Bedürfnisse, die Ruhe, die bürgerliche Gerechtigkeit, Sicherheit, Freiheit und ein Gemeinwesen, das von den Atomen der Individuen ausging, so dass der Staat nur ein Äußerliches zum Schutze des Eigentums war. Von der protestantischen Religion ging das Zutrauen der Individuen gegeneinander aus, das Vertrauen auf ihre Gesinnung, denn in der protestantischen Kirche sind die religiösen Werke das ganze Leben, die Tätigkeit desselben überhaupt. Dagegen kann bei den Katholiken die Grundlage eines solchen Zutrauens nicht stattfinden, denn in weltlichen Angelegenheiten herrscht nur die Gewalt und freiwillige Unterworfenheit, und die Formen, die man hier Konstitutionen nennt, sind nur eine Nothilfe und schützen gegen Misstrauen nicht.
Vergleichen wir Nordamerika noch mit Europa, so finden wir dort das perennierende Beispiel einer republikanischen Verfassung. Die subjektive Einheit ist vorhanden, denn es steht ein Präsident an der Spitze des Staates, der zur Sicherheit gegen etwaigen monarchischen Ehrgeiz nur auf vier Jahre gewählt wird. Allgemeiner Schutz des Eigentums und beinahe Abgabenlosigkeit sind Tatsachen, die beständig angepriesen werden. Damit ist zugleich der Grundcharakter angegeben, welcher in der Richtung des Privatmannes auf Erwerb und Gewinn besteht, in dem Überwiegen des partikularen Interesses, das sich dem Allgemeinen nur zum Behufe des eignen Genusses zuwendet. Es finden allerdings rechtliche Zustände, ein formelles Rechtsgesetz statt, aber diese Rechtlichkeit ist ohne Rechtschaffenheit, und so stehen denn die amerikanischen Kaufleute in dem üblen Rufe, durch das Recht geschützt zu betrügen. Wenn einerseits die protestantische Kirche das Wesentliche des Zutrauens hervorruft, wie wir schon gesagt haben, so enthält sie anderseits eben dadurch das Gelten des Gefühlsmoments, das in das mannigfaltigste Belieben übergehen darf.
(Band 144e in dieser gelben Buchreihe)
Jeder, sagt man von diesem Standpunkte, könne eine eigne Weltanschauung, also auch eine eigne Religion haben. Daher das Zerfallen in so viele Sekten, die sich bis zum Extreme der Verrücktheit steigern, und deren viele einen Gottesdienst haben, der sich in Verzückungen und mitunter in den sinnlichsten Ausgelassenheiten kundgibt. Dieses gänzliche Belieben ist so ausgebildet, dass die verschiedenen Gemeinden sich Geistliche annehmen und ebenso wieder fortschicken, wie es ihnen gefällt; denn die Kirche ist nicht ein an und für sich Bestehendes, die eine substantielle Geistigkeit und äußere Einrichtung hätte, sondern das Religiöse wird nach besonderem Gutdünken zurechtgemacht. In Nordamerika herrscht die ungebändigtste Wildheit aller Einbildungen, und es fehlt jene religiöse Einheit, die sich in den europäischen Staaten erhalten hat, wo die Abweichungen sich nur auf wenige Konfessionen beschränken. Was nun das Politische in Nordamerika betrifft, so ist der allgemeine Zweck noch nicht als etwas Festes für sich gesetzt, und das Bedürfnis eines festen Zusammenhaltens ist noch nicht vorhanden, denn ein wirklicher Staat und eine wirkliche Staatsregierung entstehen nur, wenn bereits ein Unterschied der Stände da ist, wenn Reichtum und Armut sehr groß werden und ein solches Verhältnis eintritt, dass eine große Menge ihre Bedürfnisse nicht mehr auf eine Weise, wie sie es gewohnt ist, befriedigen kann. Aber Amerika geht dieser Spannung noch nicht entgegen, denn es hat unaufhörlich den Ausweg der Kolonisation in hohem Grade offen, und es strömen beständig eine Menge Menschen in die Ebenen des Mississippi. Durch dieses Mittel ist die Hauptquelle der Unzufriedenheit geschwunden, und das Fortbestehen des jetzigen bürgerlichen Zustandes wird verbürgt. Eine Vergleichung der nordamerikanischen Freistaaten mit europäischen Ländern ist daher unmöglich, denn in Europa ist ein solcher natürlicher Abfluss der Bevölkerung, trotz aller Auswanderungen, nicht vorhanden: hätten die Wälder Germaniens noch existiert, so wäre freilich die französische Revolution nicht ins Leben getreten. Mit Europa könnte Nordamerika erst verglichen werden, wenn der unermessliche Raum, den dieser Staat darbietet, ausgefüllt und die bürgerliche Gesellschaft in sich zurückgedrängt wäre. Nordamerika ist noch auf dem Standpunkt, das Land anzubauen. Erst wenn wie in Europa die bloße Vermehrung der Ackerbauer gehemmt ist, werden sich die Bewohner, statt hinaus nach Äckern zu drängen, zu städtischen Gewerben und Verkehr in sich hineindrängen, ein kompaktes System bürgerlicher Gesellschaft bilden und zu dem Bedürfnis eines organischen Staates kommen.
Die nordamerikanischen Freistaaten haben keinen Nachbarstaat, gegen den sie in einem Verhältnis wären, wie es die europäischen Staaten unter sich sind, den sie mit Misstrauen zu beobachten, und gegen welchen sie ein stehendes Heer zu halten hätten.
Kanada und Mexiko sind für das selbige nicht furchtbar, und England hat seit fünfzig Jahren in Erfahrung gebracht, dass das freie Amerika ihm nützlicher ist als das abhängige. Die Milizen des nordamerikanischen Freistaates haben sich allerdings im Befreiungskriege so tapfer erwiesen als die Holländer unter Philipp II., aber überall, wo nicht die zu erringende Selbständigkeit auf dem Spiele ist, zeigt sich weniger Kraft, und so haben im Jahre 1814 die Milizen schlecht gegen die Engländer bestanden.
Amerika ist somit das Land der Zukunft, in welchem sich in vor uns liegenden Zeiten, etwa im Streite von Nord- und Südamerika die weltgeschichtliche Wichtigkeit offenbaren soll; es ist ein Land der Sehnsucht für alle die, welche die historische Rüstkammer des alten Europa langweilt. Napoleon soll gesagt haben: Cette vieille Europe m'ennuie. Amerika hat von dem Boden auszuscheiden, auf welchem sich bis heute die Weltgeschichte begab. Was bis jetzt sich hier ereignet, ist nur der Widerhall der Alten Welt und der Ausdruck fremder Lebendigkeit, und als ein Land der Zukunft geht es uns überhaupt hier nichts an; denn wir haben es nach der Seite der Geschichte mit dem zu tun, was gewesen ist und mit dem, was ist, – in der Philosophie aber mit dem, was weder nur gewesen ist, noch erst nur sein wird, sondern mit dem, was ist und ewig ist, – mit der Vernunft, und damit haben wir zur Genüge zu tun. –
Nachdem wir die Neue Welt und die Träume, die sich an sie knüpfen können, abgetan, gehen wir nun zur Alten Welt über, das heißt, zum Schauplatze der Weltgeschichte, und haben zuvörderst auf die Naturmomente und die Naturbestimmungen aufmerksam zu machen. Amerika ist in zwei Teile geteilt, welche zwar durch eine Landenge zusammenhängen, die aber nur einen ganz äußerlichen Zusammenhang bildet. Die Alte Welt dagegen, welche Amerika gegenüberliegt und von demselben durch den Atlantischen Ozean getrennt ist, ist durch eine tiefe Bucht, das Mittelländische Meer, durchbrochen. Die drei Weltteile derselben haben ein wesentliches Verhältnis zueinander und machen eine Totalität aus. Ihr Ausgezeichnetes ist, dass sie um das Meer herumgelagert sind und darum ein leichtes Mittel der Kommunikation haben. Denn Ströme und Meere sind nicht als dirimierend zu betrachten, sondern als vereinend. England und Bretagne, Norwegen und Dänemark, Schweden und Livland waren verbunden. Für die drei Weltteile ist also das Mittelmeer das Vereinigende und der Mittelpunkt der Weltgeschichte. Griechenland liegt hier, der Lichtpunkt in der Geschichte. Dann in Syrien ist Jerusalem der Mittelpunkt des Judentums und des Christentums, südöstlich davon liegt Mekka und Medina, der Ursitz des muselmännischen Glaubens, gegen Westen liegt Delphi, Athen, und westlicher noch Rom; dann liegen noch am Mittelländischen Meere Alexandria und Karthago. Das Mittelmeer ist so das Herz der Alten Welt, denn es ist das Bedingende und Belebende derselben. Ohne dasselbe ließe sich die Weltgeschichte nicht vorstellen, sie wäre wie das alte Rom oder Athen ohne das Forum, wo alles zusammenkam. – Das weite östliche Asien ist vom Prozesse der Weltgeschichte entfernt und greift nicht in dieselbige ein; ebenso das nördliche Europa, welches erst später in die Weltgeschichte eintrat und im Altertume keinen Anteil an derselben hatte; denn dieses beschränkte sich durchaus auf die um das Mittelländische Meer herumliegenden Länder. Julius Cäsars Überschreiten der Alpen, die Eroberung Galliens und die Beziehung, in welche die Germanen dadurch mit dem römischen Reiche kamen, macht daher Epoche in der Weltgeschichte, denn hiermit überschreitet dieselbe nunmehr auch die Alpen. Das östliche Asien und das jenseitige Alpenland sind die Extreme jener bewegten Mitte um das Mittelmeer,