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Auferstehung. Лев ТолстойЧитать онлайн книгу.

Auferstehung - Лев Толстой


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in der Kirche während der Osternacht und der Prostituierten, die sich dem sibirischen Kaufmanne hingegeben hatte und die heute Morgen verurteilt worden war. Damals war er ein rüstiger, freier Mensch, vor dem sich unendliche Möglichkeiten eröffneten. Jetzt fühlte er sich allenthalben gefesselt durch die Fangnetze eines dummen, leeren, zwecklosen, nichtigen Lebens, aus welchem er keinen Ausgang fand, ja, in den meisten Fällen nicht einmal finden wollte.

      Er erinnerte sich, wie er früher einmal stolz auf seine Offenheit und Geradheit gewesen war, wie er sich damals zur Regel gemacht hatte, immer die Wahrheit zu sprechen, und auch wirklich aufrichtig gewesen war, und wie er jetzt ganz in der Lüge steckte, in der entsetzlichsten Lüge, in der Lüge, die von allen Leuten, die ihn umgaben, für Wahrheit ausgegeben wurde. Und es gab aus dieser Lüge keinen Ausweg, wenigstens konnte er ihn nicht sehen. Und er blieb in ihr stecken, gewöhnte sich an sie, fühlte sich wohl in ihr.

      Wie sollte er seine Beziehungen zu Marja Wassiljewna, zu ihrem Manne lösen, daß er sich nicht zu schämen brauchte, ihm und seinen Kindern in die Augen zu sehen? Wie sollte er ohne Lüge sein Verhältnis zu Missy lösen? Wie sich heraus arbeiten aus dem Widerspruch zwischen der Ungerechtigkeit des Grundeigentums und dem Besitz des mütterlichen Erbes? Wie feine Sünde Katjuscha gegenüber wieder gut machen? So konnte es doch nicht bleiben. »Ich darf doch eine Frau, die ich geliebt habe, nicht verlassen, und mich damit begnügen, daß ich das Geld dem Advokaten bezahle und sie von der Zwangsarbeit, die sie gar nicht verdient, befreie. Das hieße die Schuld wieder mit Geld tilgen, so, wie ich es damals gethan, als ich geglaubt hatte, daß es so sein müsse!«

      Und er erinnerte sich lebhaft des Augenblickes, als er Katjuscha im Korridor eingeholt, ihr das Geld zugesteckt hatte, und dann weggelaufen war. »O, dieses Geld!« dachte er mit demselben Schrecken und Ekel, wie damals, an jenen Augenblick. »O, o! welch eine Scheußlichkeit!« rief er jetzt, wie auch damals aus. »Nur ein Schuft, ein Scheusal konnte das thun! Und ich, ich bin dieser Schuft, dieses Scheusal!« sprach er laut vor sich hin. »Aber bin ich denn wirklich . . . « er hielt im Gehen inne — »bin denn wirklich ich in der That ein Schuft? — Wer denn sonst?« antwortete er sich selbst. »Und ist es denn dieses allein?« fuhr er fort, sich zu überführen. »Sind denn deine Beziehungen zu Marja Wassiljewna und ihrem Manne keine Niederträchtigkeit, keine Schufterei? Und deine Stellungsnahme gegenüber dem Eigentum? Daß du unter dem Vorwande, daß das Geld von der Mutter komme, den Reichtum genießt, welchen du selbst für eine Ungerechtigkeit hältst? Und dein ganzes müßiges Luderleben? Und die Krone von allem, deine an Katjuscha verübte Schandthat? Du Schuft, du Scheusal! Sie, die Menschen, mögen über mich urteilen, wie sie wollen, sie kann ich betrügen, aber mich selbst übertölpele ich nicht!«

      Und plötzlich begriff er, daß jener Abscheu, welchen er in der letzten Zeit und besonders heute gegen die Menschen empfand, gegen den Fürsten Kortschagin, gegen die Fürstin, gegen Missy, gegen Kornej, der Abscheu gegen sich selbst war. Und wie seltsam, in diesem Geständnis seiner Niedrigkeit war etwas Krankhaftes und zugleich Freudiges und Beruhigendes.

      Nechljudow erfuhr nicht zum ersten Male im Leben das, was er »Seelenwäsche« nannte. Seelenwäsche pflegte er jenen Zustand der Seele zu nennen, da er plötzlich, nach einem größeren Zeitraum, die Verzögerung oder bisweilen auch den Stillstand in seinem inneren Leben erkannte und die Seele von all dem Schmutz zu säubern begann, der durch seine Anhäufung den Stillstand verursacht hatte.

      Jedes Mal nach solcher Erweckung stellte Nechljudow sich Regeln auf, die er sich für immer zur Richtschnur nehmen wollte. Er begann ein Tagebuch zu führen und fing ein neues Leben an, welches er nie mehr zu ändern hoffte, — turning a new leaf, wie er zu sagen pflegte.

      Aber jedesmal nahmen ihn die Verführungen der Welt wieder gefangen, und ohne es selbst zu merken, fiel er von neuem und zuweilen noch tiefer, als er vordem gestanden hatte.

      Auf diese Weise hatte er sich mehrere Mal gereinigt und erhoben; so zum ersten Mal, als er damals den Sommer bei den Tanten verbrachte. Das war damals die aller lebhafteste und begeisterste Erweckung gewesen, und die Folgen derselben hatten lange angehalten. Eine ähnliche Erweckung geschah dann, als er seine staatliche Beamtenstellung aufgegeben hatte und in der Absicht, sein Leben aufzuopfern, während des Krieges in den Militär dienst getreten war. Da war aber die Verschmutzung sehr bald eingetreten. Die darauf folgende und letzte Erweckung war gewesen, als er seinen Abschied genommen, ins Ausland gereist war und sich mit Malerei zu beschäftigen begonnen hatte.

      Von da an und bis zum heutigen Tage war eine lange Periode ohne Säuberung verflossen. Und daher war er auch noch nie bis zu einem solchen Grade von Verschmutzung und Zerwürfnis zwischen dem Gebot feines Gewissens und dem Leben, das er führte, gekommen. Und er entsetzte sich, als er den Zwischenraum gewahrte.

      Der Zwischenraum war so groß, die Verschmutzung so stark, daß er im ersten Augenblick an der Möglichkeit einer Säuberung verzweifelte. »Ich habe doch schon versucht, mich zu vervollkommnen und besser zu werden, und es ist nichts daraus geworden . . . « sprach in seiner Seele die Stimme des Verführers, »wozu also es noch einmal probieren? Nicht du allein, sondern alle sind so, so ist das Leben«, sagte diese Stimme. Aber jenes freie geistige Wesen, welches allein wahr, allein mächtig, allein ewig ist, war schon in Nechljudow erwacht. Und er konnte nicht umhin, ihm zu glauben. Wie groß sich auch der Unterschied zwischen dem, was er war, und dem, was er sein wollte, erwies, dem erwachten geistigen Wesen erschien alles möglich.

      »Ich zerreiße diese Lüge, in die ich verstrickt bin, möge es kosten, was es wolle . . . Ich sage alles und allen die Wahrheit und thue die Wahrheit«, sagte er laut und entschieden. »Ich werde Missy die Wahrheit sagen, sagen, daß ich ein Wüstling bin und sie nicht heiraten kann und umsonst ihre Ruhe gestört habe. Ich werde Marja Wassiljewna, der Frau des Adelsmarschalls — übrigens, ihr brauche ich es nicht zu sagen — ich werde ihrem Manne sagen, daß ich ein Schuft bin und ihn betrogen habe. Mit der Erbschaft werde ich so verfahren, wie es die Wahrheit gebietet. Ihr, Katjuscha, werde ich sagen, daß ich ein Schuft und ihr gegenüber schuldig bin, und ich werde alles thun, was ich kann, um ihre Lage zu erleichtern. Ja, ich werde sie sehen und sie bitten, mir zu vergeben. Ja, ich werde um Verzeihung bitten, wie Kinder bitten . . . «

      Er blieb stehen.

      »Ich werde sie heiraten, wenn es nötig ist.« Er blieb wieder stehen und faltete die Hände vor der Brust, wie er es als Kind gethan hatte.

      Er erhob die Augen und stammelte die Worte des Gebetes:

      »Herr, Herr Gott, hilf mir, lehre mich, komme zu mir, Herr, und ziehe in mich ein und läutere mich von allem Übel . . . «

      Er betete und bat Gott, ihm zu helfen, ihn zu läutern, und während er dieses that, war das, worum er bat, schon geschehen. Gott, der in ihm lebte, nahm Besitz von seiner Seele. Nechljudow sah nicht nur das Leben bereits frei, rüstig und freudig an, sondern empfand auch die ganze Macht des Guten. Alles, alles Beste, was der Mensch nur thun konnte, fühlte er sich jetzt bereit zu vollbringen.

      In seinen Augen standen Thränen, als er sich das alles sagte; gute und schlimme Thränen. Gut waren die Thränen, weil es Thränen der Freude über die Erweckung des geistigen Wesens waren, das alle die Jahre über in ihm geschlummert hatte. Und schlimm waren die Thränen, weil es Thränen der Rührung über sich selbst, über seine eigene Tugend waren.

      Ihm wurde heiß. Er trat an das bereits für den nahenden Frühling hergerichtete Fenster und öffnete es. Das Fenster lag zum Garten hinaus. Es war eine stille, frische Mondnacht, auf der Straße rasselte ein Wagen und alles wurde wieder still. Gerade unter dem Fenster sah man den Schatten der entblößten Äste einer hohen Pappel, der in allen seinen Verzweigungen deutlich auf dem Sande eines freien Platzes lag. Links war das Dach eines Wirtschaftsgebäudes, das in dem hellen Mondlicht weiß erschien; vorn verschlangen sich die Äste der Bäume, hinter welchen der schwarze Schatten eines Zaunes lag.

      Nechljudow blickte auf den im Mondschein flimmernden Garten, auf das Dach und auf den Schatten der Pappel, horchte hinaus und atmete die frische, belebende Luft ein.

      »Wie schön, wie schön! Mein Gott, wie schön!« sprach er von dem, was in feiner Seele war.

      Конец


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