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Unterwegs und Daheim. Mark TwainЧитать онлайн книгу.

Unterwegs und Daheim - Mark Twain


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es führen Pfade hinauf und herunter, welche die Schweizer täglich benutzen.

      Manchmal hingen die Gipfel der mächtigen Riesenberge weit nach vorn über, wie ein vorstehendes Mansardendach, und auf der äußersten Spitze desselben, dem Auge kaum sichtbar, klebten winzige Dingerchen wie Schwalbennester, – die Hütten der Bauern, die sich wahrlich einen luftigen Wohnort aufgesucht hatten! Wenn nun aber ein Bauer dort oben nachtwandelt, – oder sein Kind aus dem Vordergarten hinunterstürzt, – was für eine lange Reise für die Verwandten aus ihren Wolkenhöhen herab, ehe sie die Gebeine des Verunglückten auffinden können! Und doch sehen diese Heimstätten da oben so verlockend aus, so fern von der unruhigen Welt, und in einer Atmosphäre von so süßem, traumseligem Frieden, daß, wer einmal gelernt hat, dort oben zu wohnen, gewiß nicht wieder in niedere Regionen herabsteigen mag!

      Zwischen den ungeheuren grünen Mauern wand sich der See in reizenden Krümmungen dahin, und wir sahen mit stets wachsendem Entzücken das großartige Panorama sich hinter uns zusammenrollen und verschwinden und sich vor unsern Blicken in neuer Schönheit entfalten! Dann und wann durchzuckte uns ein wonnevoller Schauer der Überraschung, wenn sich plötzlich als glänzend weiße Masse die ferne, alles beherrschende Jungfrau vor uns erhob, oder ein anderer ähnlicher Schneeriese, der mit Haupt und Schultern über die Spitzen der mittelhohen Alpen hervorschaute.

      Während ich einen solchen Anblick mit den Augen verschlang und mir Herz und Sinn daran weidete, so lange er zu genießen war, hörte ich plötzlich eine junge und harmlose Stimme neben mir die Worte sagen:

      »Sie sind wohl ein Amerikaner? Ich auch!« –

      Er war zwischen 18 und 19 Jahre, schlank, von mittlerer Größe, das Gesicht offen, frei und froh, der Blick unstät, aber selbstbewußt, die Nase leicht nach oben gerichtet, als suche sie der Begegnung mit dem ersten Flaum des jungen Bartes auszuweichen, die Kinnbacken lose hängend und äußerst beweglich. Er trug einen niedrigen Schlapphut mit schmaler Krempe und blauem Band, auf dem vorn ein weißer Anker gestickt war; sein kurzer Rock, die Beinkleider, die Weste, alles saß sauber und nett nach der Mode; die rotgestreiften Strümpfe steckten in vorschriftsmäßigen, mit schwarzen Bändern gebundenen Lederschuhen; ein blauer Schlips unter dem weit offenen Kragen, kleine Diamantknöpfe im Hemd, tadellos sitzende Handschuhe, vorstehende Manschetten mit großen Knöpfen von oxydiertem Silber und einem Hundekopf darauf – einem englischen Mops; auch auf seinem Spazierstöckchen war der Kopf eines Mopshundes mit roten Glasaugen. Unter dem Arm trug er Ottos deutsche Grammatik, sein Haar war kurz geschnitten, glatt und – wie ich bemerkte, als er sich umwandte – hinten sorgfältig gescheitelt. Er nahm eine Zigarette aus einer zierlichen Schachtel heraus, steckte sie in eine Meerschaumspitze, die er in einem Futteral von Marokkoleder bewahrte, langte nach meiner Zigarre, und wahrend er sich Feuer machte, sagte ich:

      »Ja, ich bin Amerikaner!« –

      »Das wußte ich, – ich erkenne die Amerikaner immer. In welchem Schiff sind Sie herübergekommen?«

      »In der Holsatia.«

      »Wir in der Batavia, – Cunard, Bekannte Linie dieses Namens. – wissen Sie. Was für eine Überfahrt hatten Sie?«

      »Ziemlich rauh.«

      »Wir auch. Der Kapitän sagte, so rauh wäre es nur selten. Wo sind Sie her?«

      »Von Neu-England.«

      »Ich auch, aus Neu-Bloomfield. Mit wem reisen Sie?«

      »Mit einem Freunde.«

      »Meine ganze Familie ist mit; allein zu reisen ist schrecklich langweilig, meinen Sie nicht auch?«

      »Jawohl!«

      »Waren Sie schon früher hier?«

      »Ja.«

      »Ich nicht. Es ist meine erste Reise, aber wir waren allenthalben – in Paris und überall. Nächstes Jahr soll ich in Harvard studieren und ich lerne hier Deutsch; ehe ich nicht Deutsch kann, werde ich nicht aufgenommen. Französisch ist mir ganz geläufig; in Paris bin ich sehr gut damit durchgekommen. In welchem Hotel wohnen Sie?«

      »Im Schweizerhof.«

      »Was? wirklich? Ich habe Sie ja nicht im Salon gesehen! Ich gehe sehr viel in den Salon, weil da so viele Amerikaner sind, und mache Bekanntschaften. Ich finde die Amerikaner immer gleich heraus, dann spreche ich sie an und werde mit ihnen bekannt. Ich mache sehr gern neue Bekanntschaften. Sie nicht auch?«

      »Ja, freilich!«

      »Das macht eine Fahrt wie diese viel unterhaltender; man langweilt sich nie, wenn man neue Bekanntschaften macht und mit jemand sprechen kann; wenn man niemand fände und keine Bekanntschaften machte, müßte solch eine Fahrt sehr langweilig sein. Ich unterhalte mich sehr gern, Sie nicht auch?«

      »Leidenschaftlich gern!«

      »Haben Sie sich heute auf der Fahrt gelangweilt?«

      »Nur eine Zeit lang, nicht immer.«

      »Da sehen Sie es, – man muß herumgehen, sprechen und bekannt werden, – so mache ich es, ich gehe immerfort herum und spreche in einem zu, dabei langweile ich mich nie. Sind Sie schon auf dem Rigi gewesen?«

      »Nein.«

      »Wollen Sie hin?«

      »Ich denke.«

      »In welches Hotel gehen Sie?«

      »Ich weiß nicht. Giebt es denn mehrere?«

      »Drei. Gehen Sie zu Schreiber; da finden Sie Amerikaner die Menge. In welchem Schiff sagten Sie, daß Sie herübergekommen sind?«

      »In der City of Antwerp.«

       »Deutsche Linie, nicht wahr? – Gehen Sie nach Genf?«

      »Ja.«

      »In welchem Hotel wollen Sie wohnen?«

      »Im ›Ecu de Genève‹.«

      »Thun Sie das ja nicht! Da sind keine Amerikaner. Gehen Sie in eins der großen Hotels an der Brücke, da sind immer viele.«

      »Aber ich will mich im Arabischen üben!«

      »Gerechter Himmel, können Sie arabisch?«

      »Ja, genug, um mich verständlich zu machen.«

      »Aber in Genf können Sie sich damit nicht verständlich machen, da spricht man nicht arabisch – man spricht französisch. In welchem Hotel wohnen Sie hier?«

      »In der Pension Beau-Rivage.«

      »O, Sie sollten im Schweizerhof wohnen! Wissen Sie nicht, daß der Schweizerhof das beste Hotel in der Schweiz ist? Sehen Sie nur im Bädeker nach.«

      »Ja, aber ich dachte, da wären keine Amerikaner.«

      »Keine Amerikaner! Du meine Güte! Es wimmelt von ihnen! Ich halte mich meistens im großen Salon auf und mache Bekanntschaften; allerdings nicht mehr so viele wie im Anfang, weil augenblicklich weniger Gäste da sind. – Wo sind Sie her?«

      »Aus Arkansas.«

      »Wirklich? – Ich komme aus Neu-England, und bin in Neu-Bloomfield zu Hause. Heute ist es wunderschön, finden Sie nicht auch?«

      »Herrlich!«

      »Das will ich meinen! Ich spaziere gern so frei herum, unterhalte mich und mache Bekanntschaften. Die Amerikaner erkenne ich immer gleich heraus, dann gehe ich auf sie zu und rede sie an. Deshalb langweile ich mich nie auf solcher Fahrt, weil ich neue Bekanntschaften machen kann und mich unterhalten; das thue ich sehr gern, wenn ich nur die richtige Person finde, mit der sich sprechen läßt. Geht es Ihnen nicht auch so?«

      »Ja, es giebt nichts Angenehmeres.«

      »Das denke ich auch! Manche Leute nehmen ein Buch vor und lesen immerzu, andere schwärmen die Natur an, den See und die Berge, – aber so mache ich's nicht! Sie mögen's thun, wenn sie wollen, nach meinem


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