Dog Soldiers. Thomas GASTЧитать онлайн книгу.
sah von der Brücke müßig auf uns herab. Ihm war es sichtlich egal, wen er wohin beförderte, solange er nur die Münzen in der Kasse klingeln hörte. Was ihm nicht egal schien, war sein Steamer, die Chippewa, die außer uns und unserem Hab und Gut noch große Mengen von Alkohol und Schwarzpulver beförderte, wie ich später erfahren sollte. Für die tapferen Frauen und Männer in den Forts, wie der Pilot des Steamers schmunzelnd immer wieder betonte. Ich ertappte ihn während der Reise dennoch mehrmals dabei, wie er mit sorgenvoller Miene zu den Depots hinüberschielte, in denen das gefährliche Pulver lagerte, und ehrlich gesagt, auch mir war das nicht ganz geheuer. Ein Funke würde genügen, um uns alle ins Grab zu schicken, auf den schlammigen Grund des Missouri in diesem Fall. Die Reise auf der Chippewa war ansonsten ein einziges Abenteuer. Der Missouri, an vielen Stellen reißend und Erde und Schlamm mit sich führend, war gewaltig. Oft kamen wir an kilometerlangen ockerfarbenen Sandbänken vorbei. Weites Land mit sanften Hügeln erstreckte sich vor unseren Augen bis zum Horizont, wo hohe Gebirgszüge in der klaren vor Kälte flirrenden Luft sichtbar waren. Links und rechts am Ufer kam es nicht selten vor, dass Büffel, die den Fluss überqueren wollten, uns den Weg versperrten. Bei einer solchen Gelegenheit ließ es sich der Kapitän nicht nehmen, das Boot kurzum zu stoppen, nur um höchstpersönlich drei oder vier Büffel zu erlegen. Lagen die Büffel dann tot am Ufer, schickte er einen Trupp hinaus, der nur das kostbarste Fleisch aus den Rümpfen schnitt, die Lende und ein ganz spezielles Stück vom Hinterschinken, den Rest aber einfach liegen ließ, woraufhin schon bald Schakale und Wölfe gierig darüber herfielen. Auch Indianer sahen wir. Diese hielten jedoch respektvollen Abstand. Warum, das sollte ich in einem Gespräch mit Lebœuf erfahren. Ich stand gerade auf dem verschneiten Deck und starrte mit größtem Interesse zu einer Gruppe Indianer hinüber, die ängstlich, aber auch voller Neugierde das Boot betrachtete.
Lebœuf hatte sich mir genähert, ohne sich durch einen einzigen Laut zu verraten. Er stand ganz plötzlich neben mir.
»Pocken! Sie haben Angst vor den Pocken.«
Ich erschrak heftig, worauf Lebœuf lachte.
»Nun ja. 1838 wurden die Blackfeet von den Pocken dezimiert, doch nicht nur sie. Auch die Crees und Assiniboin. Die Krankheit ist ausgebrochen, nachdem sie einem Dampfboot wie diesem einen Besuch abgestattet hatten. Deswegen ihre Angst.«
Nickend zog ich von dannen. Ich war geschockt. Nicht etwa von dem, was Lebœuf mir über die Indianer erzählt hatte, sondern von der Tatsache, dass er so plötzlich wie ein Schatten neben mir aufgetaucht war. Er hätte mich töten können, ohne dass ich je erfahren hätte, von wem und woher die Gefahr gekommen war. Das zeigte mir eindrucksvoller, als mir lieb war, dass ich ein verdammtes Greenhorn war, wie Debütanten und Stadtmenschen hier genannt werden. Unerfahren, schwach, verletzbar, und das wiederum gefiel mir nicht, machte mich wütend auf mich selbst. Wenn es nur irgend ging, hielt ich mich von Lebœuf fern, denn von ihm ging eine Bedrohung aus, die ich nicht in der Lage war genauer zu beschreiben.
Am vierten Tag auf der Chippewa kam es zu einem Vorfall, mit dem niemand gerechnet hatte, ich am allerwenigsten. Wir saßen bei sonnigem Wetter auf klobigen Holzbänken. Diese waren auf dem ersten Deck um eine aus Brettern gezimmerte Tanzfläche gruppiert. Am Rande spielte ein Trio einen langsamen Walzer, wenn man das Geplänkel, das sie zustande brachten, so nennen mochte. Es war ein feuchtfröhlicher Nachmittag und die Chippewa glitt langsam schlingernd Richtung Westen, der untergehenden Sonne entgegen. Es war kühl, doch die Getränke heizten allen mächtig ein, erhitzten auch die Gemüter. Lebœuf war betrunken, was man ihm jedoch kaum ansah, denn er hatte sich sehr gut unter Kontrolle.
»Und wenn alles klappt, ziehen wir von Fort Benton hinauf bis nach Helena. Das sind rund 130 Meilen. Bei gutem Wetter und wenn die Ochsen gesund und kräftig sind, schaffen wir das in einer Woche. Ich kenne da ’ne Abkürzung.«
»Helena?«
Ich hörte den Namen dieser Stadt zum ersten Mal.
Lebœuf nickte.
»Etwa die Gegend wo Sie hinwollen. Im Bett des Last Chance Creek, so munkelt man, liegt Gold. Na ja, zumindest ist es das, was die Blackfeet behaupten.«
Er zwirbelte seine Bartenden zwischen den Fingerspitzen nach oben, nahm einen kräftigen Schluck direkt aus der Flasche und rülpste. Dann flüsterte er einen Namen, ’Grizzly Gulch’ vermeinte ich zu verstehen, war mir aber nicht ganz sicher, während sein Blick schwer auf Annemarie, Ernst Bodenhausens Frau fiel. Mit zuckersüßer Stimme sprach er sie sogleich an.
»Darf ich um diesen Tanz bitten?«
In Annemaries Augen spiegelte sich Überraschung.
Der Franzose hatte sich fein rausgeputzt. Er trug einen schwarzen Anzug, der seine imposante Gestalt jedoch nicht verbarg, im Gegenteil. Wenn er sich bewegte, was er ständig tat, konnte man deutlich das Muskelspiel seines gut trainierten Oberkörpers erkennen. Gut einen Kopf größer als alle anwesenden Männer, war er sich sehr wohl bewusst, allein durch sein Aussehen schon im Mittelpunkt zu stehen. Lebœuf war auch ein perfekter Tänzer. Er führte Annemarie im Dreivierteltakt so eng, als wären sie miteinander verwachsen, und seine Drehungen waren gekonnt. Annemaries Abneigung Lebœuf gegenüber wich von Sekunde zu Sekunde und schon bald wich auch ihr sonst so bodenständiger Blick dem der absoluten Entzückung. Hierbei sei bemerkt, dass Annemarie eine attraktive Frau im besten Alter war. Ich selbst hatte sie heimlich schon oft bewundert und mich im Stillen gefragt, wie Ernst es angestellt hatte, eine so zierliche und bezaubernde Frau dazu zu bewegen, ihm hierher in die Wildnis zu folgen. Sie hätte besser in eine Modegalerie in Berlin oder in Paris gepasst.
Bodenhausen selbst saß mit verkrampfter Miene neben mir, seinen Blick voller Wut und Unverständnis auf das tanzende Paar gerichtet.
»Wie lange muss ich mir das noch gefallen lassen?«, fragte er.
Er trank eindeutig zu viel.
»Wir sind jetzt fast zwanzig Jahre lang verheiratet und Annemarie hat noch nie mit jemand anderem getanzt als mit mir ... zumindest nicht so! So was aber auch!«
Ratlosigkeit mischte sich in seine Stimme, die einst entschlossen und zielstrebig geklungen hatte.
Ich zuckte nur mit der Schulter, denn ehrlich gesagt interessierte mich das im Augenblick nicht allzu sehr. Mit zunehmender Stunde hatte ich nur noch Augen für Carmen, deshalb achtete ich nicht besonders auf Bodenhausens für mich unwichtige Probleme. Auch ich hatte tief ins Glas geschaut.
»Es würde nicht auffallen, wenn wir kurz verschwinden«, flüsterte ich ihr zu und versuchte meiner Stimme einen männlichen, festen Klang zu geben. Carmen jedoch lachte nur schelmisch und unterhielt sich weiter angestrengt mit Margaret und Phillip über eine neue Tanznummer.
Plötzlich saß Lebœuf neben mir. In der einen Hand hielt er ein Blatt Papier und in der anderen einen schwarzen Kohlestift.
»Hier!« Er malte eine Linie, die zickzackförmig von Nordosten nach Südwesten verlief. »Das ist der Missouri zwischen Fort Benton und Helena. Und das ...«
Kenneth und Paul waren inzwischen aufmerksam geworden und hatten sich zu uns gesetzt. Auch Bodenhausen rückte, wenn auch widerwillig, näher.
Lebœuf zeichnete einen kleinen Kreis. »Das ist Helena.«
Alle nickten, rückten noch näher.
Fast theatralisch zog er nun eine direkte Linie in das linke untere Eck des Blattes. »Meine Herren, ich stelle vor ... Grizzly Gulch! Unser Ziel!«
Wir hielten den Atem an. So lange zumindest, bis es fast aus allen Kehlen gleichzeitig nur so sprudelte und alle auf einmal zu Wort kommen wollten.
»Grizzly Gulch?«
Kenneth verrenkte sich fast den Hals.
»Und da wollen wir hin?«
»Oh Gott, hört sich aufregend an!«, entfuhr es Annemarie.
»Was gibt es in Grizzly Gulch, was es in Helena nicht gäbe?«, fragte Carmen und es wurde plötzlich still.
Lebœuf warf ihr einen Blick zu, der mir gar nicht gefiel. Er tat, als wäre ich Luft, und starrte sie an, als sähe er sie zum