Herr Fuchs (86) kauft ein Auto. Joachim KathЧитать онлайн книгу.
bin technikaffin, ohne das Geringste von Technik zu verstehen. Technik ist das Eine, Design das Andere. Ich bin ein leidenschaftlicher Anhänger der Mischung von Wissenschaft und Kunst. Ich kaufe kein neues Auto, das ich noch nicht mit eigenen Augen mehrmals und von allen Seiten auf der Straße stehend und fahrend gesehen habe. Dann weiß ich zumindest, dass es den Praxistest bestanden hat und mir optisch gefällt. Für mich ist gutes Design, wenn man nichts mehr weglassen kann.“
„Also gut, Sie überweisen die Restsumme und kommen mit Ihrem Altwagen, samt Brief und Schein um 10 Uhr hierher. Ich habe dann den Neuwagen vorbereiten lassen und nehme mir zwei Stunden Zeit, Ihnen alles im Detail zu erklären. Außerdem schicke ich Ihnen per Mail noch die Code-Nummer für Ihre Kfz-Versicherung, damit die alles ausstellen kann. Es reicht, wenn Sie die Unterlagen mitbringen, und ich kann dann gleich an dem Morgen das Fahrzeug zulassen.“
„10 Uhr ist gut! Morgens wird weniger gelogen als abends!
„Woher wissen Sie das?“
„Es gibt Studien, dass die Moral nach 17 Uhr dramatisch sinkt, nicht nur die Arbeitsmoral!“
„Also, wir sehen uns dann wie besprochen, Herr Fuchs!
„Moment, junger Mann. Ich will meine jetzige Autonummer behalten!“
„Ja, die Schilder montiere ich dann ab!“
„Genau, aber ich will neues Blech für das neue Blech!“
„Ist klar, nicht die alten Schilder, nur die alte Nummer! Alles in ein paar Minuten zu erledigen! Die Zulassungsstelle ist ja gleich gegenüber!“
„Wissen Sie übrigens, dass die Schildermacher oft Mieter der Zulassungsbehörden sind, oder auch umgekehrt. Genauso wie die Ärzte oft Mieter der Apotheker sind. Fällt mir nur gerade so ein!“
„Ja, und was ist schon dabei?“, fragte der smarte Verkäufer.
„Na ja, solche unsäglichen Verquickungen kann ich nicht leiden. Wenn ich so in der Presse lese, dass rund 90 Zulassungsstellen in Deutschland Mieter bei Schilderfirmen sind, dann fange ich an, mir Gedanken zu machen. Beispielsweise über den Wettbewerb und so“, sagte Herr Fuchs.
„Der Wettbewerb auf dem Automarkt ist jedenfalls beinhart!“ sagte der Verkäufer.
„Kein Wunder, es gibt in Europa erhebliche Überkapazitäten bei manchen Autobauern. Ich will Sie ja nicht langweilen, aber das Wachstum einzelner Marken in Ihrer Branche basiert auf unserem Kontinent ausschließlich auf der Verdrängung anderer Marken. Wachstum findet bei Autos nur noch woanders auf der Welt statt. Vor allem in Asien.“
„Die Besten setzen sich eben durch!“ sagte der Verkäufer.
„Das kann ich mir gut vorstellen, dass Sie auf Ihren Schulungen immer zu hören bekommen, dass Sie die Besten sind! Survival of the Fittest, das hat schon Darwin erkannt, und der Kapitalismus braucht die wenigen Reichen und die vielen Armen, um überhaupt zu funktionieren. Vermutlich nicht auf Dauer, wenn das soziale Ungleichgewicht nicht immer wieder irgendwie ausbalanciert wird. Unser Gesellschaftssystem hängt von der permanenten Steigerung ab – eine Sackgasse, wie vielleicht nicht mehr ich, aber vermutlich Sie noch erleben werden!“
„Mit Hartz IV-Empfängern und sozialen Randgruppen haben wir hier im Autohaus gar keinen Kontakt. Wohl aber gelegentlich mit Betrügern, Einbrechern und Dieben, die sich vorstellen können, Wertvolles zu erbeuten“, sagte der Verkäufer.
„Sie leben in Ihrem Glaskasten im Grunde in einer Luxuswelt. Dieser Glamour verführt jedoch manche Leute dazu, sich Karossen zu leisten, die sie gar nicht bezahlen können. Und dann leasen sie eben einfach, statt Verzicht zu üben.“
„Rund 60 Prozent unserer Kunden sind Leasingkunden“, sagte der Verkäufer.
„Glaube ich sofort! Heute will niemand mehr warten. Doch für Privatpersonen lohnt es sich nicht. In wenigen Schritten zum Traumwagen, kann in den Abgrund führen. Außerdem bekommt man bei seriösen Unternehmen keinen Leasingvertrag ohne Bonitätsprüfung. Es gibt zwar genug Anbieter am Markt, die angeblich jedem Interessenten sein Auto vor die Tür stellen. Doch erstens muss man das nicht glauben und zweites gibt es nicht so etwas wie ein kostenloses Mittagessen. Irgendjemand bezahlt immer, und der Dumme im Zweifel zu viel.“
Für Sie trifft das doch alles nicht zu, Herr Fuchs! Oder habe ich Sie missverstanden und Sie wollen gar nicht bar kaufen. Ich bin aber bei meiner Preiskalkulation von cash ausgegangen!“
„Keine Sorge! Mich interessieren nur die Geschehnisse über den Tellerrand hinaus. So ein Autokauf mag für Sie alltäglich sein, für mich kommt er bestenfalls alle paar Jahre vor und da weiß man gerne mehr über die Hintergründe.“
„Das finde ich auch ganz toll, Herr Fuchs! Das Sie sich für alles interessieren!
Wissen Sie, ich fahre gar nicht gerne Auto, aber wenn ich schon etwas ungern tue, dann wenigstens auf relativ hohem Niveau. Das ist wahrscheinlich dekadent und objektiv wäre es besser zu Fuß zu gehen, aber weiter als sieben Kilometer mag ich im Flachland nicht mehr laufen. Bis zu Ihrem Autohaus sind es jedoch 15 Kilometer, da komme ich ja nur knapp bis zur Hälfte.“
„Ja, Sie können aber mit der S-Bahn fahren oder ein Taxi nehmen!“
„Genau, das könnte ich, falls das Auto einmal zu einem Service muss, auf den man nicht warten kann, was jedoch niemals vorkommt, wie Sie mir sicherlich sofort versichern werden.“
„Nun, soweit würde ich nicht gehen, dass Autos niemals in die Werkstatt müssten, denn sonst hätten wir keine. Und den Teileverkauf brauchten wir auch nicht. Bei einem Neuwagen, wie Sie Ihn kaufen wollen, ist die Wahrscheinlichkeit schon relativ gering, dass Sie damit gleich eine Panne haben.“
„Ich weiß, die anderen Autos haben Pannen, aber Ihre Autos haben schlimmstenfalls Irritationen oder Vermissungserlebnisse. Oder wie nennen Sie das intern?“
„Wir sagen gerne außerordentliche Vorkommnisse!“
„Und die kommen selbstverständlich außerordentlich selten vor. Ich muss mir also nicht unbedingt ein OBD2-Diagnosegerät anschaffen, das zur Schnittstelle passt, oder? Die Dinger sind ja inzwischen erschwinglich, aber dass man damit auch die elektronische Wegfahrsperre aushebeln können soll, finde ich nun wieder nicht so lustig!“
„Was Sie alles wissen“, sagte der Verkäufer.
„Wusste ich es doch, dass Ihre Nobelmarke eine eigene Sprache kultiviert. Ist Ihnen bewusst, dass diese Sprachkultur dazu dient, keine Worte zu benutzen, die Kunden erschrecken könnten? Deshalb sind die Texte in der Automobilwerbung auch so nichtssagend und rund geschliffen. Das sind alles nur noch glatte Kieselsteine. Da ist davon die Rede, dass ich mobil lebe und denke. Was heißt das überhaupt? Und woher wissen die das? Vielleicht will ich das Auto nur besitzen und in die Garage stellen, weil ich eine habe und sie nicht leer stehen lassen möchte. Da wird davon gesprochen, dass mich meine Persönlichkeit auszeichnet. Ja, was denn sonst? Mein Aussehen etwa? Und das es schön ist zu wissen, dass man könnte, wenn man wollte, beispielsweise ins Gelände zu fahren. Ich will aber gar nicht, sondern finde es blöd, staubig, holprig und unbequem.“
„Ja, Herr Fuchs, man darf die Werbung nicht wörtlich nehmen!“
„Habe ich Ihnen schon erzählt, dass ich ein Motorrad habe?“
„Nein, haben Sie nicht - aber Sie fahren doch nicht etwa mit der Maschine, oder doch?“
„Natürlich nicht mehr, sie ist abgemeldet. Obwohl sie dringend darauf wartet, wieder in Gang gesetzt zu werden. Aber bisher bin ich standhaft geblieben und nur deshalb, weil ich Angst vor den vielen Autofahrern habe, die seit Jahren nicht beim Augenarzt waren.“
„Waren Sie denn schon dort?“
„Ja, mit Brille 100 Prozent Sehkraft!“
„Gratuliere!“
„Wenn das zu Ihrer Beruhigung beiträgt, ich fahre über sechs Jahrzehnte unfallfrei, was nur möglich ist, wenn man ausreichend Phantasie