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Die Kostenvermeidungsdirektive. Jens WahlЧитать онлайн книгу.

Die Kostenvermeidungsdirektive - Jens Wahl


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einer Zigarette.

      Über das Hermigua-Tal, das Klarmanns etwas an in einem Bildband gesehene Bilder von Hawaii erinnerte, ging es durch Agulo zum Mirador de Agulo. Dieser Aussichtspunkt lag oberhalb des Dorfes vor einem Tunnel mit fast klarem Blick zum Teide. Der höchste Berg Spaniens hatte nur eine kleine Bauchbinde aus Wolken. Die wenigsten drehten sich mal in die Gegenrichtung und legten den Kopf in den Nacken. Wer dies tat, konnte oberhalb auf dem Berg die gläserne Aussichtsplattform des Mirador de Abrante sehen - diese war aber nicht Ziel des heutigen Ausfluges.

      Über den Nationalpark Garajonay und den Nebelwald bei La Laguna ging es wieder talabwärts. Einen letzten Stopp machte Rico am Roque de Agando, dem „Zuckerhut Europas“. Dieser gefiel den beiden besser als der echte Zuckerhut in Rio. Wahrscheinlich war es das rechts steil abfallende Tal, das ihn deutlich höher und wuchtiger aussehen ließ als das Original. Am liebsten hätten sich Klarmanns hier auf die Wiese gesetzt und mehrere Stunden die Aus- und Ansicht sowie die nur durch wenige Autos unterbrochene Ruhe genossen. Die Welt konnte so schön sein! Während sie noch schauten, stiegen die anderen Teilnehmer nach ein paar schnell geknipsten Bildern schon wieder in den Bus. Schade, dass dieses Glück so schnell schon zu Ende war. Solch ein Glücksgefühl konnten sie bei etwas Gekauftem nie empfinden, egal, wie wertvoll es sein sollte.

      Im Bus stellte Torsten erst einmal die Lehne so weit wie möglich nach hinten - sein Rücken schmerzte wieder mal. Glücklicherweise war die Sitzreihe hinter ihnen leer, sodass keiner dadurch eingeengt wurde. Während die Implantate leicht nach vorn gebogen waren, hatte er versucht, sich beim Betrachten des Roque de Agando nach hinten zu beugen - gegen die Implantate. Das war eine Anstrengung, die sein Körper nicht ungestraft hinnahm. Aus diesem Grund hatte er auch mit seinem Arbeitgeber vereinbart, dass er sich bei Schmerzen auf die Nothilfeliege legen und den Rücken entspannen durfte - natürlich musste er vorher ausstempeln.

      Wieder auf der „Atlantico“ angekommen, war nicht mehr viel Zeit zum Mittagessen. Erst danach zogen sie sich um, duschten und begaben sich auf Deck 11, um noch etwas Sonne zu tanken und diese wunderbare Aussicht genießen zu können. Doch schnell bedeckte sich der Himmel und ein leichter Nebel zog auf - der normale Nachmittagsnebel auf La Gomera.

      Nach dem Kaffee wurde die Sicht wieder klarer und die immer weiter sinkende Sonne zauberte kräftige Schatten in die Steilküste links vom Teide. Zum Abendessen lief die „Atlantico“ schon aus und beide Inseln sollten schnell am Horizont verschwinden. Als es dunkel wurde, gingen Klarmanns in ihre Kabine und sahen sich die heute geschossenen Bilder und Videoclips mithilfe eines USB-Adapters am Fernsehgerät an. Gudrun war immer noch hoch begeistert: „Also diese Reise würde ich am liebsten noch mehrmals mit AHOS machen! Das Gomera hat mir äußerst gut gefallen, nur schade, dass es nicht auch bei den Einwochentouren mit den größeren Schiffen angelaufen wird. Und schade finde ich auch, dass wir hier nur so kurz waren. Ich glaube, dass es auf dieser Insel noch viele schöne Ecken zu sehen gibt.“ „Dann lass uns doch hier mal ein bis zwei Wochen Urlaub machen - ganz ohne Schiff“, schlug er vor. „Nein, auf diesen ‘Luxus’ möchte ich auch nicht mehr verzichten - ohne Überbuchung, eine relativ gute Sauberkeit, tolles Essen. Ich habe nicht vor, noch mit sechzig die Nacht am Strand zu verbringen, wie wir das 1994 auf Mallorca mussten, weil das Hotel überbucht war. Und vergiss nicht 1997, als uns das Hotel auf Gran Canaria zu viert in ein Zweibettzimmer stecken wollte, obwohl wir zwei Zweibettzimmer gebucht und bezahlt hatten - und deren Büfett war ja auch gerade so zum Überleben, verglichen mit dem, was uns AHOS bietet“, spöttelte sie. „Ich werde nur noch mit AHOS verreisen - wenn die nur mal ein paar neue Reiseziele anbieten würden; solche, die uns noch interessieren.“ „Das wäre?“, fragte er sie, obwohl er die Antwort schon jetzt kannte. „Na, die Pazifikküste von Alaska bis Chile, Neuseeland, die Südsee und Südafrika kann ich dir da gleich nennen.“ „Ich glaube nicht, dass die wenigstens einen Teil davon realisieren werden, solange wir noch reisefähig sind beziehungsweise das Geld noch dafür haben“, bezweifelte er die weitere Entwicklung. „Allerdings verstehe ich nicht so ganz, wie man ein Schiff ‘Pazifico’ taufen kann und es dann meist nur in Ost- und Nordsee kreuzt - der Name sollte doch Programm sein, genau wie bei der ‘Atlantico’!“, äußerte Gudrun nicht ganz so ernst gemeint.

      Abends gingen sie noch an die AHOS-Bar, um vor dem Zubettgehen einen Cocktail zu trinken. Dort unterhielten sie sich mit einem Paar, das heute an einem anderen Ausflug teilgenommen hatte, und ließen sich deren Erlebnisse schildern.

      Die beiden nächsten Tage waren sogenannte „Seetage“, also ohne Landausflüge. Während dieser beiden Tage trug die „Atlantico“ ihre Passagiere Richtung Süden zu den Kapverden. „Seetag“ bedeutete Frühstück, Mittag, Kaffee, Abendessen. Dazwischen das Sonnendeck zum Chillen oder „sich-selbst-grillen“, wenn man sich nicht eine der Informationsveranstaltungen zu den kommenden Landausflügen antat oder an einem Kurs teilnahm. Gudrun hätte eigentlich gern am Tanzkurs teilgenommen. Aber Torsten war ein totaler Tanzmuffel - nicht weil er nicht gern tanzen würde, sondern weil ihm der Rhythmus im Blut fehlte, wie er immer selbst sagte. Er befürchtete, Gudrun dabei mehr auf den Füßen herumzutrampeln. Seine Frau war nicht gerade schlank (das waren beide über dreißig Jahre lang gewesen, also kann man auch mal dreißig Jahre nicht ganz so schlank sein), hatte aber den Rhythmus und das Temperament einer Brasilianerin im Blut. Sag mal einer, dass vollschlanke Frauen nicht auch beweglich sein können! „Und beim Schimpfen hast du das Temperament einer Italienerin“, frotzelte er immer wieder gern. Da er dabei ständig so lausbübisch grinste, konnte sie ihm diese Feststellung nie übel nehmen - sie war ja auch berechtigt.

      Als Klarmanns während des ersten Seetages auf dem Sonnendeck lagen, erzählte sie ihm schmunzelnd, was sich an ihrem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub ereignet hatte: "Zur Mittagszeit war es, wie so oft, an den Kassen ziemlich voll - um diese Zeit gehen nicht nur die Arbeitenden sich schnell etwas zum Essen holen, sondern ich habe das Gefühl, dass zu dieser Zeit alle Rentner, Urlauber und Arbeitslosen im Supermarkt einkaufen müssen. Hinten in der Schlange an meiner Kasse stand ein Handwerker, der lautstark rief, dass alle heute nicht Arbeitenden gefälligst die arbeitende Bevölkerung vorlassen sollen - deren Mittagspause sei im Gegensatz zu der aller anderen stark begrenzt. Was meinst du, was dann los war?", lachte sie bei der Erinnerung daran. Torsten vermutete, dass der Handwerker vorgelassen worden war. "Überhaupt nicht, es brach eine Empörungswelle gegen ihn los mit dem Grundtenor, dass die Rentner und Urlauber einen vollen Terminkalender haben und deshalb die 'arbeitende Bevölkerung' nicht vorlassen können - da war etwas los! Und zwar so gewaltig, dass sich der Handwerker an einer anderen Kasse hinten anstellte, ohne nochmals seine Frage zu wiederholen." Torsten schmunzelte bei der Vorstellung über die 'Rentner-Revolte': "Und trotzdem empfinde ich das ebenso wie dieser Handwerker. Die Rentner und Urlauber müssen doch nicht genau dann einkaufen, wenn diejenigen, die ihre Rente verdienen, sich mittags etwas zu Essen holen möchten!"

      Am zweiten Seetag nachmittags bemerkte sie, dass er ständig in die gleiche Richtung starrte. Dort lag ein etwa gut siebzigjähriges Paar. Musste sie da eifersüchtig werden? Sie schubste ihn an und fragte leise: „Was starrst Du denn die ganze Zeit auf die Frau im blauen Bikini? Gefällt sie dir?“ „So a Schmarrn, ich habe nur das Ergebnis ihres Gesichtsliftings beobachtet. Die Frau kann doch kaum noch grinsen, geschweige denn richtig lachen. Und die sehen alle so gleich aus, wie vom Fließband einer Fabrik“, wehrte er ihre aufkommende Eifersucht ab. „Soll ich mich auch liften lassen?“, fragte sie ihn. „Bloß nicht, ich liebe dich so, wie du bist!“ „Das hast du mir aber schon lange nicht mehr gesagt“, lächelte sie zurück. „Aber es ist doch so, dass ich immer mehr Falten bekomme und dieses glatte Gesicht sieht doch jung aus. Gefällt dir das nicht?“ „Dann schaue einfach mal auf ihren Hals und du weißt, wie alt die Alte wirklich ist!“ Er musste über seine eigene Formulierung grinsen. Nein, er wollte seine schon vorhandenen wie die noch dazukommenden Falten in Ehren tragen. Damit sah er garantiert nicht mehr so jugendlich im Gesicht aus, aber er hatte ein individuelles, sein eigenes, Gesicht. Das war ihm deutlich lieber. Von seiner Frau würde er auch nicht verlangen, sich für ihn unters Messer zu legen. Falten gehören nun mal zum Alter! Und was nutzt das jugendlichste Gesicht, wenn man am Hals aussieht, als würde man dort das gegerbte Leder einer Bergziege tragen. Oder die Vorstellung, dass ein jugendliches Gesicht einen Rollator vor sich herschieben würde! Er musste bei diesem Bild schon wieder innerlich grinsen. Außerdem würde er


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