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Der ganz normale Wahnsinn. Anton WeißЧитать онлайн книгу.

Der ganz normale Wahnsinn - Anton Weiß


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möchte im Verlauf dieser Arbeit zeigen, wie das Leben vom Ich her aussieht, wie sehr es unser Leben bestimmt und welche Konsequenzen eine solche Lebensführung hat und welches Leid dadurch hervorgerufen wird. Die Auseinandersetzung mit seinem Ich halte ich für die Hauptaufgabe des menschlichen Lebens.

      Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen: Wenn bei Beispielen, mit denen ich meine Ansichten illustrieren möchte, einem mitdenkenden Leser Gegenbeispiele in den Sinn kommen, wo sich Menschen doch anders verhalten als ich es beschreibe, möchte ich zu bedenken geben, dass ich ja die Ich-Struktur zu charakterisieren versuche. Ich behaupte nicht, dass der Mensch immer nur vom Ich her handelt. Der Mensch ist viel mehr als nur Ich, er ist viel umfassender, als er in seinem Ichbewusstsein von sich erfasst. Aber er ist auch immer ein Ich, und dieses Ich ist gekennzeichnet durch eine besondere Struktur, die ich herauszuarbeiten versuche. Wenn ein Mensch in seinem Handeln von dieser Struktur abweicht, d. h. nicht nur als Ich denkt und handelt, sondern als ganzheitlicher Mensch – und das tun zum Glück viele, sonst wäre Zusammenleben schon längst nicht mehr möglich –, dann ergeben sich natürlich andere Verhaltensweisen. Mir geht es in dieser Arbeit darum, die spezifische Struktur des Ichs, die im Grunde ein Charakteristikum des Menschseins darstellt, herauszuarbeiten. Es wird sich zeigen, wie tiefgreifend die Ich-Struktur unser menschliches Zusammenleben bestimmt und wie nahezu alle Missstimmigkeiten unter Menschen durch diese Ichverhaftetheit hervorgerufen werden.

      Um es etwas scharf zu formulieren: Der ganz normale Wahnsinn im Leben der Menschen entsteht durch das Ich! Wenn einer mit der Flinte auf seinen Nachbarn losgeht, weil von dessen Baum Blätter auf sein Grundstück fallen, dann ist das schier unglaublich und zeigt, wie weit sich ein Mensch von der Unduldsamkeit seines Ichs fortreißen lassen kann.

      1. Glück, Erfüllung und das gespaltene Ich

      Glück und Erfüllung

      Im Grunde genommen geht jeder Mensch hoffnungsfroh in das Leben hinein. Natürlich kann durch Vernachlässigung und Misshandlung in frühester Kindheit sehr viel irreparabel zerstört werden. Wenn aber eine normale Entwicklung stattgefunden hat, dann ist ein Heranwachsender offen und erwartungsfroh. Erst durch Enttäuschungen, die darin bestehen, dass die Erwartungen, die man hat, nicht erfüllt werden, lernt der Mensch, dass die Welt nicht so ist, wie man sie gerne hätte. Und auf diese Enttäuschungen kann nun verschieden reagiert werden: Man kann mit Wut, Verbitterung und vielleicht Rückzug aus der Welt reagieren oder man erkennt, dass man Illusionen und falsche Vorstellungen von der Welt gehabt hat, die nun korrigiert werden müssen. Es gibt kein Leben ohne Enttäuschungen. Es wird häufig anders sein, als wir gerne hätten. Diese Frustration ertragen zu können, scheint mir ein sehr wichtiger Schritt zu einem echten Selbstbewusstsein zu sein. Es würde die Erkenntnis beinhalten, dass es auch andere Ichs gibt, die ganz andere Vorstellungen haben, mit denen meine Vorstellungen konkurrieren.

      Es ist doch unabweislich, dass das Leben des Menschen nicht gelingt. Man braucht nur die Tageszeitung aufzuschlagen und es wird einem vor Augen geführt, wie es um die Welt und den Menschen in ihr steht: Da verlieren Leute ihr Geld, das sie in Aktien angelegt haben, weil sie gehofft haben, dadurch schnell und ohne große Mühe zu Geld zu kommen, andere verlieren ihren Arbeitsplatz, den sie als sicher glaubten, ein Mann tötet seine Familie und sich selbst, in vielen Ländern herrscht Bürgerkrieg, ein Schüler läuft Amok und tötet Lehrer und Mitschüler, ein Mann trennt sich von seiner Frau nach 20 Jahren Ehe, ein Radrennfahrer wird ausgeschlossen, weil er gedopt hat, ein Schiedsrichter wird verurteilt, weil er sich bestechen hat lassen. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

      Ich möchte die Überschriften nur der untere Hälfte der Seite 12 der Süddeutschen Zeitung vom 22.4.08 vollständig anführen: „Wieder Stein auf Autobahn geworfen“ – ein 24-jähriger Autofahrer hatte Glück, da der Stein ihn knapp verfehlte; einen Monat zuvor wurde eine Frau durch einen 6 kg schweren Holzklotz tödlich verletzt. „Anklage gegen Chef der Wegberg-Klinik“, weil er aus Gewinnsucht völlig unnötige Operationen durchführte, „Scham und Peinlichkeit - ein britischer Spitzenpolitiker litt zehn Jahre unter Bulimie“, nicht einmal seine Ehefrau wusste davon, „Heimliche Schwangerschaft“ – eine Medizinstudentin bringt heimlich ein Kind zur Welt, angeblich tot, und versteckt es auf dem Dachboden der Eltern, „18-jähriger erschlägt 17-jährige nach Party“ und „Von Lehrern überführter Kinderschänder gesteht“ – der Mann hatte seinen eigenen Sohn, der jetzt 14 Jahre alt ist, mindestens 6 Jahre lang sexuell missbraucht und die Fotos ins Internet gestellt. Der Titel „Rückkehr der Piraten“ – wieder haben vor der somalischen Küste Piraten ein Schiff gekapert – ragt noch etwas in die obere Hälfte der Zeitungsseite hinein.

      Kann man wirklich der Meinung sein, dass das alles nur ganz seltene Einzelfälle sind, dass es zwar so etwas gibt, aber im Großen und Ganzen wir doch eine Gesellschaft von Menschen sind, die glücklich und mit ihrem Leben zufrieden sind und die ein rechtschaffenes Leben führen, oder zeigen diese Vorkommnisse nicht in erschreckender Weise, dass etwas grundlegend nicht stimmt in der menschlichen Struktur?

      Alles Leid, das Menschen widerfahren kann, lässt sich auf zwei Ursachen zurückführen: Erstens auf das, was durch die Natur verursacht ist, wie Erdbeben, Vulkanausbrüche, Tsunami-Wellen und den Tod, und zweitens – und das ist der weitaus größere Anteil an dem, was Menschen Leid zufügt – auf das, was vom Menschen selber verursacht wird, und zwar dem Menschen, insofern er vom Ich her lebt. Durch Naturkatastrophen kommen vielleicht einmal zehn-, zwanzig- oder ganz selten zweihunderttausend Menschen ums Leben, allein durch den 2. Weltkrieg sind 55 Millionen Menschen ums Leben gekommen, und seither bis heute noch einmal so viele.

      Deshalb möchte ich die Struktur des Ichs darlegen, weil ich sie als die tiefste Ursache dessen ansehe, warum es dem Menschen nicht möglich ist, das zu erreichen, wonach er sich so sehr sehnt: in einem glücklichen, sinnvollen Leben Erfüllung zu finden, Liebe, Freunde, Harmonie, Geborgenheit, Freude am Leben und Frieden zu erlangen. Es ist sein Verhaftetsein an das Ich, das es ihm unmöglich macht, das zu erreichen, was er in seinem tiefsten Inneren zu erlangen hofft und woraufhin er angelegt ist. Und es ist die Quelle unendlichen Leids, das Menschen anderen Menschen seit Beginn der Menschheitsgeschichte zugefügt haben und immer noch zufügen. Und vieles, was sich heute als Naturkatastrophe zeigt, ist Verschulden des Menschen, wie z. B. die Trockenheit in verschiedenen Ländern, die durch das Abholzen der Wälder durch frühere Generationen verursacht wird, so wie heute die Vernichtung der Regenwälder zur Klimakatastrophe beiträgt.

      Dies aufzuzeigen ist das Anliegen vorliegender Darlegung und sie ist nicht gedacht als Anklage, sondern als Klärung der Hintergründe. Gelänge es, ein Wissen um die Tatsache des Ichs zu vermitteln und die Möglichkeit zu dessen Überwindung aufzuzeigen, dann würde jedenfalls für die Menschen, die sich um eine Lösung der Tragik menschlicher Existenz bemühen, ein Ansatzpunkt sichtbar.

      Man kann das Streben aller Menschen, das Grundanliegen allen menschlichen Lebens auf einen einzigen Nenner bringen: Alle wollen glücklich werden. Jeder strebt aus seinem innersten Wesen heraus nach Glück. Oder anders ausgedrückt: Alle Menschen wollen ein erfülltes Leben. Das Streben nach einem erfüllten Leben ist die tiefste Antriebskraft des menschlichen Daseins. Auch noch der Selbstmörder begeht die Tat in der Überzeugung und Hoffnung, dass ihm der Selbstmord größere Erfüllung bringt als das Leben, das er führt. Der Drogensüchtige und Alkoholabhängige erleben in der Sucht eine größere Befriedigung als in ihrem Lebensalltag. Wenn die Neurose das Leiden darstellt, das der Betroffene nicht bereit war, freiwillig auf sich zu nehmen, dann ist auch die Neurose, obwohl leidvoll, das größere Glück gegenüber dem konkreten Leben, in dem er unerträglich leidet. Diese Beispiele sollen die Behauptung untermauern, dass alles Streben des Menschen und alles, was er unternimmt, sein Glücklichsein fördern soll.

      Auch die Sehnsucht nach Erlösung entspringt dem gleichen Drängen, der gleichen Quelle, die den Menschen zu einem Zustand bewegen will, der mehr ist, als sein derzeitiger. Und wer ahnt, dass er aus eigener Kraft diesen Zustand nicht erreichen kann, der glaubt an einen Heilbringer, sei es ein Religionsstifter, ein Sektenführer oder eine politische Gestalt.

      Es ist die Tragik des Lebens, dass im Grunde alles, was


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