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Algarveflimmern. Birte PröttelЧитать онлайн книгу.

Algarveflimmern - Birte Pröttel


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es romantisch, wenn der Putz bröckelt. Jedes Jahr flog er mit seinen Kumpeln aus dem Golfclub zur Quinta. Die brauchten nur ein Bett und ein Dach überm Kopf. Und im Kopf selber hatten sie nur pitchen, putten und driven und am neunzehnten Loch ein eiskaltes Bier schlürfen.

      Wir ahnten nicht, dass auf der Quinta ganzjährig der ulkige Paul wohnt. Und der kümmerte sich um das „Alte Gemäuer“ wie ein Schönheitschirurg sich um die Runen von Millionärsgattinnen.

      „Quinta Velha“ heißt eigentlich altes Bauernhaus. Das steht auf weiß-blau glänzenden Keramikkacheln am Gartentor. Aber das war nicht wirklich ein Bauernhaus, das war bestimmt mal ein Herrenhaus gewesen mit allen Drum und Dran. Die Quinta thront auf einem kleinen Hügel, nicht weit von der felsigen Steilküste der Algarve. Von weitem sieht man als erstes eine riesige Araukarie, die neben dem Gebäude wächst. Sie reckt sich imposant in den stahlblauen Himmel. Ihre Form und ihre dunklen Zweige, die dicht benadelt sind, erinnern an einen Weihnachtsbaum. Wenn man drüber streicht, fühlen die Äste sich kühl und zart an, ein wenig wie glatte Haut einer Blindschleiche. Ich kann nie an der Araukarie vorbeigehen, ohne sie zu streicheln.

      Hinter dem einstöckigen Haus strotzt eine Handvoll riesiger Pinien dem rauen Wind und der sommerlichen Trockenheit. Ursprünglich war die gesamte Küstenlandschaft von saftig grünen Pinien bedeckt. Heute haben wuchernden Hotelpaläste und elegante Ferienvillen sie verdrängt. Zwei mächtige Eukalyptusbäume werfen Schatten auf den hinteren Garten. Die ganze Gegend duftet nach Hustenbonbons.

      Vor dem Haus an der niedrigen Gartenmauer mit dem blauen Eisentor vertrocknen die traurigen, zerfransten Stümpfe zweier Palmen. Sie waren einmal der Glanz und das Wahrzeichen der Quinta. Jetzt hatten die Maden des Palmrüsselkäfers sie ausgehöhlt wie Frühstückseier. Der blöde Käfer hat ganze Arbeit geleistet. Es hingen nur noch einige vertrocknete Palmzweige dran. Da hatte wohl jemand gehofft, es würden Wunder geschehen und die Palmen fröhlich neue Triebe fabrizieren. Nach dem Motto: die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber Palmen haben nun mal nur ein Herz und können keine Seitentriebe wachsen lassen.

      Hier wollten wir uns treffen: Mama, Papa, Moritz und ich. Hier wollten wir meinen achtzehnten Geburtstag feiern. Ganz allein unter uns. Nicht mit Freundinnen ins Kino oder in die Disco. Nein, nur wir vier.

      Die alte Quinta gehörte meiner geliebten, etwas schrägen Großmutter, Oma, Granny oder Paula, wie sie genannt werden wollte. Sie lebte seit Jahren in den Staaten oder war auf Reisen. Oma war schon ewig nicht mehr auf der Quinta gewesen, darum fiel es uns auch nicht im Traum ein, dass sie dort sein könnte.

      Ich selber war mal als kleiner Pups durch den Garten gestolpert, aber daran konnte ich mich natürlich nicht erinnern. Mama hat nach ihrem ersten und letzten Besuch verkündetet: „Ich geh lieber ins Hotel!“ Für Mama ist Urlaub in einem Ferienhaus der reine Horror. Da muss man Betten beziehen, Spinnenweben beseitigen, Vorräte auffüllen. All das braucht man in einem Hotel nicht. Sie fand die Quinta grässlich und nur, weil ich mal einen etwas anderen Geburtstag feiern wollte, hatte sie unüberlegt und mir zu liebe dieser Reise zugestimmt.

      Dazu muss ich kurz die Story der Quinta erzählen. Sie ist genauso schräg, wie meine Oma Paula. Sie hatte das alte Bauernhaus von ihrem schwerreichen Großvater geerbt. Es war eine Ruine, wie Ausgrabungsstätte aus der Spätbronzezeit. Hätte man glatt als Touristenattraktion ausbauen können, erzählte Papa mal.

      Aber Oma wollte selber da wohnen. Mit ihrem Mann, meinem zukünftigen Opa, hatte sie alles liebevoll und mit viel Mühe restauriert. Glück und Stolz erfüllte sie, wenn sie ihr Werk anschauen und genießen konnte. Es war ihr verzaubertes Paradies bis, na ja, bis sie meinen Großvater mit einer anderen im Bett erwischte. Vor Schreck bekam Opa einen Herzinfarkt und segnete das Zeitliche. Echt krass!

      Und na ja, Oma wollte die Quinta nicht mehr betreten. Papa liebt die Quinta. Sie ist für ihn das Symbol unbeschwerter Sommerferien. Und jetzt lustiger Golfreisen.

      Ich hatte die Quinta noch nie mit Bewusstsein erlebt. Ich stellte es mir romantisch wie in französischen Ferienfilmen vor, dort den Geburtstag zu feiern. Als einziger „Fremder“ durfte Moritz mitkommen. Wir wollten so einen richtig gemütlichen Urlaub machen. Mit chillen, schwimmen, sonnen, lecker essen und trinken und vielleicht auch mal in die Dorfdisco gehen. Und mit meinem Freund wollte ich das genießen, na ja, was man halt in der Sommerhitze so tut.

      Ach ja, Moritz!

      Aus dem traulichen Tête à Tête zu viert wurde nichts.

      6 Von Blitzen und Küssen oder Lächle und sei froh, es kann schlimmer kommen

      Wie alle meine Freundinnen schleppe ich immer meinen riesigen Stoffbeutel mit mir rum. Da ist alles drin, was ich bin. Ohne den Beutel verlasse ich nie das Haus. Nie ohne Handy, mein Samsung Tablet und das schwarze Notizbuch: „Für Nachtgedanken!“ hatte Papa gesagt, als er mir das Büchlein schenkte. Ich schreibe niemals nachts, da schlaf ich wie ein Murmeltier. Senile Bettflucht heb ich für später auf. In dieses schwarze Büchlein kommen kleine Gedankensplitter und kurze Gedichte oder Aphorismen. Wann immer mir etwas auf- oder einfällt, kritzele ich es auf die rauen Seiten des Werkdruckpapiers.

      Moritz ist furchtbar neugierig und er versucht immer einen Blick ins Buch zu erhaschen. Er denkt, es gibt für mich kein anderes Thema als nur immer Moritz! Manchmal sind männliche Wesen sehr auf sich beschränkt, zumindest die, die ich kenne. Als wenn es nicht auch noch andere Themen als „Moritz“ gäbe! Ich hatte ihm bei Todesstrafe verboten, in dem Buch zu schnüffeln. Entsprechend verschnürte ich es mit einem komplizierten Makramee Knoten. Keiner würde es nach dem Öffnen wieder hinkriegen, dass ich nichts merkte. Nur, außer Moritz interessierte sich sowieso keiner für meine Ergüsse. Wenn ich gut drauf war und Moritz total süß fand, las ich ihm auch mal daraus vor.

      Er verstand nicht alles oder sogar meistens gar nichts. Es machte ihn glücklich, wenn ich ihn ins Vertrauen zog. Wir waren ja noch nicht wirklich lange ein Paar. Wir trafen uns in unserer Clique auf dem Tennisplatz und flirteten mit den Augen. Er hatte eine Tussi. Und ich konnte mit all den Testosteron gesteuerten Typen nicht viel anfangen. Zu unsensibel, zu selbstbesoffen, zu unaufmerksam und zu uninteressiert. Nicht an mir, sondern an allem. In dieser Schublade steckte Moritz auch.

      Dann passierte es bei einem Gewitter in dem Häuschen an unserer Bushaltestelle. Dieses gläserne Ungetüm verdiente den Namen Schutzhütte nicht. Wir wurden beide klatschnass und kalt. Moritz, zog mich näher zu sich, legte seine Jacke um mich. Ein warmer Duft von Leder und Mann kitzelte meine 30 Millionen Duft-Rezeptoren.

      „Komm ich wärme dich!“ dabei klapperten seine Zähne noch mehr als meine. Er schob seine Hand auf meinen Rücken, sie war eiskalt und ich ließ einen kleinen Schrei los. Er hielt mir mit der anderen Hand den Mund zu und zog mich näher an sich: „He, stellt dich nicht an, wir müssen uns gegenseitig wärmen. Der nächste Bus kommt erst in zwanzig Minuten.“

      Den nächsten Bus haben wir verpasst. Unsere Küsse hatten die Wirkung von Heizöfchen oder sogar offenen Feuerstellen! Man sollte im Winter viel mehr küssen! Das Knutschen heizte ein und wir dampften in der Kälte wie Thermalquellen. Der Regen rann in Sturzbächen an der Glaswand des Bushäuschens runter. Es roch nach Moder und verfaulten Bananenschalen im Papierkorb. Aus unsren Schuhen triefte das Wasser wie Softeis von der Eistüte.

      Blitze und Donnerschläge am Himmel, Blitze und Entladungen bei uns! Es knisterte und funkte gewaltig! Die Blitze am Himmel konnten kaum mit unseren mithalten! Irgendwie merkten wir davon nichts. Je mehr es krachte und donnerte, umso mehr explodierten unsere Gefühle. Aber bei allem Begehren war er so zärtlich, streichelte meine Seele mehr als ich es je erfahren hatte. Ich brannte lichterloh!

      Eigentlich ist Mo­ritz zu alt für mich, immerhin fünf Jahre älter. Er wirkt aber nicht irgendwie überlegen und keineswegs besserwisserisch, wie die anderen im Klub, die schon über zwanzig sind. Mir gefällt, dass er immer gute Laune versprüht, lächelt und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. Manchmal tut er gelangweilt, weil das cool und überlegen wirkt. Aber vielleicht ist ihm das nicht bewusst und er ist einfach so. Die meisten Mädchen himmelten ihn an. Er ist die Lässigkeit in Person.

      Aber dieser erste Kuss in der Bushaltestelle,


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